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Antisemitismus als Mittel zum kreativen Prozess

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Der Künstler Richard Wagner: Neue Forschungsergebnisse
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Richard Wagners Antisemitismus, der aus den Schriften und den Tagebüchern Cosima Wagners deutlich wird, hat der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek (Der zweite Tod der Oper. Berlin 2003) unlängst öffentlich bestritten, und selbst Daniel Barenboim verteidigt in einem unlängst erschienenen Buch nicht nur Wagners Angriffe gegen Mendelssohn im Pamphlet „Das Judentum in der Musik“, sondern widerspricht auch dem Vorhandensein antisemitischer Tendenzen in dessen Musikdramen (Daniel Barenboim/Edward W. Said: Parallelen und Paradoxien. Über Musik und Gesellschaft. Berlin 2004). Zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangt Ulrich Drüner in seiner Abhandlung „Schöpfer und Zerstörer“. Hier wird Wagners Antisemitismus zum Agens und zur Sinngebung seiner Kunst überhaupt und zum maßgeblichen Faktor von Wagners Schöpfertum. Durch „seine immer aggressiveren Motivationen, Kunst als Sprachrohr zu gebrauchen“ wurde Wagner zum Zerstörer, „durch die künstlerische Syntax“, mit welcher er seine Kunst verwirklichte, hinge-gen zum Schöpfer. Den Vorgang des Schöpferischen untersucht Drüner kreativitätspsychologisch. Demnach war die „negative Inspiration“ ein von Wagner gesuchter, in der „unmöglichen Liebe“ oder – besonders häufig – durch antisemitische Attacken gefundener Weg zur Kreativität. Durch den „sadistisch-sexuelle(n) Kick des Judenhasses“ hätten sich „Der Ring des Nibelungen“ und „Das Judentum in der Musik“ gegenseitig bedingt. Aber nicht nur die in der Rezeption häufig als Judenkarikaturen gedeuteten Rollen Beckmesser, Mime, Alberich, Hagen und Kundry, sondern auch Venus und Ortrud werden bei Drüner als Bilder des Jüdischen gedeutet, die Heldengestalten Tannhäuser, Tristan, Wotan und Amfortas hingegen als „Verletzte“ im Kampf um die „Moderne“.

Wagners Absicht war es, die „Moderne“ zu zerstören und an deren Stelle das „Neue“ zu erschaffen. Der Begriff der „Moderne“ ist in der Philosophie seit Hegel bereits verknüpft mit dem Feindbild des Jüdischen. Seinen „Albträume(n) über die Moderne“ habe Wagner seine „kulturelle Regeneration“ entgegengesetzt. Den Mythos habe Wagner „als Schutzschild für verdeckte Aussagen“ verwendet um sein Publikum durch einen offenen Antisemitismus nicht „kopfscheu“ zu machen. Ohne selbst christlich zu sein, habe er die christliche Antinomie von Geist und Körper verinnerlicht, christliche Bilder und Mythen als ästhetischen Eros und in der jahrhundertealten Tradition antijüdischer Konnotation verwendet. Bereits bei Johann Gottlieb Fichte traf Wagner auf die Forderung, den Juden „den Kopf abzuschneiden oder sie ins ‚gelobte Land’ zu schicken“.

Tristans geschlechtliche Doppelbindung zu Melot und zu Isolde deutet Drüner als „Doppelkonstrukt von heterosexueller und homoerotischer Bindung“. Mit seinen Bildern der zweierlei Liebesarten setze Wagner „die gegen die Moderne gerichtete Kulturkritik“. Die Rolle des Melot verkörpere den „scharfen (ebenso jüdischen) Rationalismus“.

Aufschlussreich sind Drüners Forschungsergebnisse über Wagners Musik. Das Tagesmotiv aus dem „Tristan“ das auch im „Siegfried“ und in der „Götterdämmerung“ Verwendung findet, deutet er als „Thema destruktiver Rationalität“, Das Todesmotiv stehe für den „Ausbruch aus den Banden von Gesetz und Realität“, nicht für den realen Tod und bedeute daher den „Verlust des rationalen Denkens“. Drüner weist nach, dass Beckmessers Ständchen bereits 1870 als Persiflage auf ein jüdisches Lied rezipiert wurde, ohne Wagners Widerspruch auszulösen. Er liefert musikalisch den Nachweis mittels eines jiddischen Strophenliedes, insbesondere anhand der von Wagner übernommenen Terz- und Quintschleifer. In Siegfrieds Partie entdeckt der Autor eine „zweimalige Verwendung des ominösen Triolenmotiv aus Meyerbeers ‚Krönungsmarsch‘“ zur Erkenntnis, dass „viel üblere Schächer unerschlagen noch leben“, womit Siegfried in seinem Ziehvater Mime „auch den Juden entdeckt“. Gleichwohl verweist Drüner auf die „mehrschalige Struktur“ der Bühnenwerke Wagners und folgert, trotz antisemitisch motivierter Initialzündung reiche das fertige Kunstwerk „weit darüber hinaus“.

Leider finden sich in Drüners Abhandlung neben beachtlichen Erkenntnissen auch eine Reihe von Irrtümern. Insbesondere ist die Behauptung, der gebräuchliche Strich im dritten Aufzug des „Lohengrin“ mit der Weissagung des Helden gehe bereits auf Richard Wagner selbst zurück, unter Berufung auf einen Klavierauszug Felix Mottls aus dem Jahre 1858. Mottl wurde aber erst 1856 geboren und der zu jener Zeit bei Breitkopf verlegte Klavierauszug von Theodor Uhlig verzeichnet keinen Strich. Und im „Meistersinger“-Kapitel treibt der Autor Beckmessers Verhunzung des Preisliedes unbeabsichtigt auf die Spitze, indem er diesem die Version der Festwiese, nicht die kommensurable der Schusterstube gegenüberstellt.

Vieles ist jedoch gut recherchiert, klug zusammengetragen und bisweilen auch köstlich zu lesen („Fricka ist unmusikalisch“). Die verknappte Aussage der „Regenerationsschriften“ Richard Wagners gelingt diesem Autor trefflicher als Martin Gregor-Dellin oder Joachim Köhler. Drüners Entschlüsselung jüdisch-antijüdischer Bilder in Wagners Kunst ist durchaus erhellend.

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