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Der neue Nestor der Jiddisch-Szene

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Der Sänger und Akkordeonist Aaron Eckstaedt: Klezmer in Deutschland
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Was ist Klezmer-Musik und was ist Klezmer-Musik in Deutschland? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht; dazu ist die „neue deutsche Klezmer-Szene“ zu bunt und zu vielseitig. Dennoch hat ein (Klezmer-) musikalischer Tausendsassa vor kurzem eine Beschreibung in Buchform vorgelegt, die auch Widersprüchlichkeiten und Problemen nicht aus dem Weg geht und für Laien wie für Fachleute auf lange Zeit ein Standardwerk bleiben wird.

Aaron Eckstaedt, Jahrgang 1968, steht mit seinem Akkordeon allein auf der Bühne – und die Bühne ist voll. Spielt er nicht gerade ein funkensprühendes Klezmer-Stück, so singt er „a jiddish Lidele“, das unter die Haut geht. Oder er sitzt auf der Bühnenkante und erzählt Haarsträubendes, so etwa die jüdische Weltgeschichte in wenigen Minuten – auf Jiddisch. Das Publikum liegt ihm staunend und lachend zu Füßen und wagt erste Zwischenrufe. Eckstaedt kontert gleichermaßen schlagfertig wie humorvoll – auf Jiddisch.

Eckstaedt ist promovierter Musikwissenschaftler, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin, gewann mit seinem Akkordeon diverse Preise, spielt darauf auch Experimentelles und Bach und Tango, und als Schauspieler stand er auf verschiedenen Bühnen. Teile seines Solo-Programms sind zu hören auf der CD „nischt kejn konzert. klesmer, jiddische lieder, geschichten“ (Westpark-music Köln). Ja: Eckstaedt schreibt „klesmer“ mit S, weil die Leute das Z der amerikanischen Schreibweise nicht als stimmhaftes S (wie in „Seil“) erkennen wollen…

Koscher muss das Essen für ihn nicht sein, da ist Eckstaedt genau so ungezwungen wie bei der Auseinandersetzung seiner vielen Talente mit einem zentralen Anliegen, dem Judentum. Doch bei allem Humor und aller Virtuosität: Wie fühlt man sich als musizierender junger Jude in Deutschland? Gehört man wie selbstverständlich dazu oder ist man Außenseiter?

Auf solche Fragen gibt es immer

nur individuelle Antworten. Vielleicht auch, um der eigenen Antwort näher zu kommen, hat Eckstaedt eine Art Enquete der deutschen Klezmer-Szene durchgeführt und veröffentlicht: „Klaus mit der Fiedel, Heike mit dem Bass…“ Jiddische Musik in Deutschland; Philo Berlin/Wien 2003, circa 350 S., 25,- Euro, ISBN 3-8757-0302-9. Einleitend gibt der Autor einen Überblick über jiddische Musik in Deutschland nach 1945, nennt Namen und Zusammenhänge.

Ursprünge und zentrale Einflüsse der deutschen Klezmer-Szene sind vielfältig und recht unterschiedlich, sie reichen von Giora Feidman einerseits und den jüngeren amerikanischen Juden wie Andy Statman und Gruppen wie den Klezmatics andererseits bis hin zu ersten Berührungen mit jüdischer/jiddischer Musik in Jugendgruppen, bei Straßenmusik oder auf dem (reizvollen) Umweg über osteuropäische Folklore. Doch Eckstaedt wollte es genauer wissen. Um persönlichen Motiven und Bewertungen der jungen deutschen Klezmer-Szene nahe zu kommen, hat er 14 Musikerinnen und Musiker eingehend interviewt, wobei unklar bleibt, weshalb die Auswertungen – quasi Klezmer-Biografien – anonymisiert wurden. Immerhin äußern sich alle, wie unterschiedlich auch immer, ausgesprochen selbstbewusst und reflektiert, sind zum großen Teil professionell aktiv auf der Bühne und haben keinen Grund, sich ihrer Tätigkeit zu schämen.

Die Darstellungen sind gegliedert in jiddisches Lied, in Klezmer-Musik und – was einen Goj, einen Nichtjuden, besonders interessieren mag – in jiddische Musik im ursprünglichen Sinn, nämlich als Musik deutscher Juden. Während letztere häufig über die Musik ihre Geschichte und Religion wieder entdecken, fällt bei den anderen auf, dass sie das Echte schätzen, das Urwüchsige, halb Vertraute und halb Fremde, eben Dinge, die man im deutschen Volksgut nicht (mehr) zu finden vermeint. Philosemitismus und „HBB“, der Holocaust-Betroffenheitsblick, den viele Musiker beim Publikum empfinden, spielen genau so eine Rolle wie ernsthafte Auseinandersetzung mit Geschichte und Religion. Am Ende versucht der Autor, eine tendenzielle Bewertung der derzeitigen Situation zu formulieren und spart damit nicht an kritischen Bemerkungen in allen Richtungen, was ausgesprochen spannend zu lesen ist und abschnittsweise auch auf andere Nischen der Folkszene zutrifft. Ein Anhang von Bibliografie bis hin zu Web-Adressen macht die Veröffentlichung obendrein wertvoll.

Im Übrigen taucht ein unerwarteter zusätzlicher roten Faden auf, der bedenklich stimmen sollte: Die Mehrzahl von Eckstaedts Interviewpartnern äußert nichts Gutes über die etablierte „klassische“ Musikausbildung, weil sie bei dieser Ungemach bis hin zur Ablehnung erfuhr, sich extrem eingeengt fühlte und/oder genau das nicht lernen konnte oder durfte, wonach ihr der Sinn stand. Man muss froh sein, dass diese Personen trotz rigidester Musikpädagogik praktisch in der freien Wildbahn zu dem wurden, was sie sind: zu einem Teil der lebhaften deutschen Klezmer- beziehungsweise Jiddisch-Szene. Deren neuen Nestor erreichen Sie unter: a.eckstaedt [at] gmx.net (a[dot]eckstaedt[at]gmx[dot]net)

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