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Ein Raunen in wagnerisch gefärbter Diktion

Untertitel
Der Dirigent Christian Thielemann und seine einstigen Berliner Kollegen im Porträt
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Kläre Warnecke: Christian Thielemann – ein Porträt, Henschel Verlag, Berlin 2003, 288 S., Abb., € 22,00, ISBN 3-89487-465-1

Assistent bei Karajan und Barenboim, mit 29 Jahren Generalmusikdirektor in Nürnberg, mit 36 in gleicher Position an „seinem“ Haus, der Deutschen Oper Berlin, die er soeben jedoch zum zweiten Mal und wohl endgültig verließ, umjubelte Gastspiele in aller Welt – mit 45 Jahren kann Christian Thielemann bereits auf eine steile Karriere zurückblicken. Dabei ist er bis heute wohl der umstrittenste Dirigent seiner Generation. Seine Anhänger verehren ihn als legitimen Nachfolger der großen Alten, sei es Karajan oder Furtwängler, als Hüter des heiligen Grals der deutschen Romantik und Retter von Bayreuth. Gerade daran nehmen seine Gegner Anstoß: an einem dezidierten Traditionsbewusstsein, das ebenso in manchen Äußerungen heikel ins Nationalistische hinüberspielt, wie es sich am schmalen, konservativ orientierten Repertoire ablesen lässt. Gleich den Bewunderern sind aber auch sie nicht vor heiligen Schauern gefeit, wenn der Maestro am Dirigentenpult agiert – bei Wagner, Strauss und Bruckner kann ihm keiner was vormachen, und selbst eher skeptische Kritiker erliegen dem Klangrausch und schildern „Abende der Trunkenheit und Überwältigung“. Auf ein Porträt dieses bei aller Begabung manchmal zwielichtig erscheinenden Künstlers kann man also besonders gespannt sein. Doch die Hamburger Journalistin Kläre Warnecke weicht in ihrem schlicht „Christian Thielemann“ betitelten Porträt, 2003 im Berliner Henschel-Verlag erschienen, allen kniffeligen Fragen aus.

Anhand akribisch aufgelisteter Karriere-Stationen, in umfangreichen Interviews und zahlreichen Stimmen aus Presse und Kollegenschaft kommt Thielemanns Gedankenwelt und Arbeitsweise ausführlich zur Sprache. Wie man etwa unter der Leichtigkeit des Strauss’schen „Rosenkavaliers“ die Trauer hervorkitzelt, warum langsame Tempi Beethovens „Neunter“ gut tun, was von Originalklang-Aufführungen romantischer Werke zu halten ist und wie man mit den akustischen Tücken des Bayreuther Festspielhauses fertig wird, das dürfte für viele Musikliebhaber durchaus interessant sein. Die Hintergründe so mancher Opernproduktion zwischen Berlin und Bayreuth werden hier lebendig. Dass der Kapellmeister dem dänischen Dogma-Regisseur Lars von Trier den gesamten „Ring“ eigenhändig am Klavier vorspielte, um für die künftige – inzwischen schon wieder abgeblasene – Zusammenarbeit 2006 „besonders schwierige Stellen“ gleich „pflockartig“ zu klären, wirft ein bezeichnendes Licht auf sein ambivalentes, umfassend dargestelltes Verhältnis zum Regietheater. Dass hier ein schwieriger, eigenbrötlerischer Charakter am Werk ist, lassen Äußerungen wie die von Detlef Grevesmühl, Konzertmeister an der Deutschen Oper, über die „manchmal furchtbar schroffe Art“ des Chefs nur ahnen. Ansonsten wird gerühmt: etwa die Sinnlichkeit und Transparenz des Orchesterklangs, die schlagtechnische Perfektion, die „authentische Persönlichkeit“, „unabhängig von jeder Mode und jedem orthodoxen Stil“, „Intuition, die durch die Analyse hindurchgegangen ist“.

Ärgerlich aber wird das Buch dadurch, dass es auf der Klaviatur eines verquasten rechtslastigen Intellektualismus spielt, unter dem Deckmantel des Kampfes einer unabhängigen, einzig der „musikalischen Wahrheit und Substanz“ verpflichteten Persönlichkeit gegen den (linken?) „Zeitgeist“ und eine „medienmächtige Gesinnungsästhetik“. Dabei redet es jedoch nie richtig Klartext. Dem „preußischen Werten“ verpflichteten Elternhaus sind nur im Vorwort ein paar Seiten eingeräumt. Dort raunt Warnecke von mehr als nur einem „Charakter- und Lebenswiderspruch, ohne dessen dunkle, labyrinthische Untergründe und Verwerfungen die schroffe, machtvolle Größe des Musikers (…) Thielemann aber kaum denkbar wäre“. Insgesamt herrscht eine hohe, „wagnerisch“ gefärbte Diktion vor, die alles Kritische verteidigt und verharmlost.

Aufschluss, gar in Richtung Objektivität, darf man sich nicht erhoffen, wenn es um die „Berliner Schlachten“ geht – Thielemanns Kämpfe an der Deutschen Oper Berlin mit den Intendanten Götz Friedrich und Udo Zimmermann, die Rivalität mit Staatsopernchef Daniel Barenboim, welcher die nie aufgeklärte Kolportage „Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende“ – möglicherweise die Krone aufsetzte. Einen anderen Standpunkt als den des Porträtierten gibt es nicht, der jedoch auch häufig ins rein Musikalische flüchtet: „Was hat „cis-moll im
,Palestrina‘ mit Faschismus zu tun?“ heißt es zum viel kritisierten Antritt mit dem Pfitzner-Werk in Nürnberg 1988. Im Schluss der „Meistersinger“ („Was deutsch und echt…“) sieht er keinerlei nationalistische Aggressivität: schließlich habe Wagner dem Wörtchen „deutsch“ stets „piano“ vorgeschrieben. Und wenn es lapidar über Thielemanns Bayreuth-Debut heißt: „Die Achse Berlin-Bayreuth, die schon für den Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen bedeutsam geworden war, als Winifred Wagner ihn 1931 an ihre Seite berief, sollte nun auch für Thielemann zu einer entscheidenden Lebensbahn werden“, dann ist mit der Beschwörung solch fataler Kontinuität wohl der Höhepunkt einer – echten oder gespielten – historisch-politischen Naivität erreicht.

Buch versandkostenfrei im Gegenüber dem in Wagner-Wolken schwebenden Genie Thielemann scheinen die beiden anderen bei Henschel porträtierten Dirigenten, Sir Simon Rattle und Kent Nagano, ganz normale Menschen zu sein. Vor allem „Abenteuer der Musik – Simon Rattle“ von Nicholas Kenyon (ISBN 3-89487-437-6, € 25,-) betont das Unprätentiöse des derzeitigen Chefs der Berliner Philharmoniker. Er erscheint hier als eine Persönlichkeit, der Kommunikation über alles geht, stets begierig, Neues zu lernen und bestrebt, Schwellenängste vor der hohen Kunst abzubauen. Darüber hinaus hat das Buch den Vorzug, neben der üblichen Diskografie sämtliche jemals von Rattle dirigierten Programme zu dokumentieren, von Anfang an wundersame, unorthodoxe Mixturen aus Alt und Neu, Bekannt und Unbekannt.

Buch versandkostenfrei im Auch Habakuk Traber betont mit seinem Nagano-Porträt „Musik für ein neues Jahrhundert“ (ISBN 3-89487-413-9, € 22,-)den Vorstoß ins Progressive. Wie für Rattle ist auch für den Chef des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin die Heranführung des Publikums an das Neue, der Kontakt mit dem Nachwuchs besonders wichtig. Rihm und Brahms, Ives und Bruckner sind für ihn keine Widersprüche – ebensowenig wie Unternehmungslust, Zukunftswillen und Traditionsbewusstsein, die ihn an Berlin faszinieren. Während Warneckes Buch mit dem Ratschlag der Beschränkung auf Wesentliches und „Zugehöriges“ endet, schließen die Rattle- und Nagano-Porträts mit unpathetischen Ausblicken auf unbegrenzte Möglichkeiten.

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