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Musik, die sich zum Unerhörten aufschwingt

Untertitel
Dokumentationsbände der Schriften von Hans-Joachim Hespos und Nicolaus A. Huber
Publikationsdatum
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Von zwei der wichtigsten deutschen Komponisten aus der sogenannten mittleren Generation (Hespos, geboren 1938, Huber, 1939) sind fast gleichzeitig Dokumentationsbände ihrer Schriften erschienen. Beide sind kritisch, widerständig, im Wirken unerschütterlich, radikal. Die Radikalität aber äußerte sich bei beiden unterschiedlich. Hespos stürmte und stürmt weitgehend autodidaktisch von den Wurzeln auf die Gipfel, gnadenlos sich, die Interpreten und die Zuhörer aus allen Reserven fordernd, Huber studierte hingegen, dem eigenen politischen Antrieb gehorchend, bei Nono und übersetzte dessen Anspruch auf musikalischen Ausdruck, auf musikalische Aussage ins eigene Ideom. Beide ziehen an einem Strang, in manchem verwandt, in vielem grundverschieden. Die beiden Bände fordern zum Gegenlesen geradezu heraus.

Hespos ist nicht nur Komponist, er ist auch Sprach-Künstler. In seinen Partituren wimmelt es von Wortanarchien, die in ihrer Verschraubung die Intention punktgenau einzukreisen versuchen. Diese verbalen Kaskaden ziehen auch in seine erläuternden Texte, in Kommentare, in Repliken. Und fast immer steuern sie auf einen Fixpunkt zu: auf die Mobilität, auf die Beweglichkeit des Geistes, auf die Intensivierung der Sinne. Stillstand hier heißt für Hespos Beerdigung menschlichen Seins. Ihm ist immer zu entkommen in unserer klebrigen Gesellschaft. Alle Anstrengung dafür schafft neue Überlebenspunkte.

Und so liest sich auch die ganze Textsammlung. Hespos schürft nicht in theoretischen Grundsatzerörterungen, er will es nicht, er kann es nicht. Immer begreift er das erläuternde Wort als Anschub hin zum Ungedachten, als Partner seiner Musik, die sich zum Unerhörten aufschwingt. Worte sollen Mut machen, dem faulen Alltag Paroli zu bieten. So kann man den ganzen Band gleichsam quer lesen, hier einen Splitter auflesen, dort eine widersinnige Wendung mit Tiefsinn. Was man erfährt? Nichts weniger als den Mut, sich nichts vormachen zu lassen. Das Lesen wird zum Abenteuer, zum Spürgang für immer frischen Antrieb, für An-Stiftungen jeglicher Couleur. Hin auf die Offenheit des Unendlichen. Wider die Sesselfurzer und die blank herausgeputzten Administratoren der Allerwelts-Bequemlichkeit. Ein Band der Lese-Lust.

Nicolaus A. Huber ist da anders, vielleicht befangener, sicherlich bemühter. Seine Texte lassen sich ein auf die eigenen Schwierigkeiten, auf das Ringen um Musik, die Sinn macht, Sinn stiftet. Vor die Explosion setzt er die Reflexion, das theoretische Tasten im Gedachten von Bach bis in die Gegenwart. Und vieles davon trägt den Stempel eigener Zweifel, den des permanent Unfertigen. Sprache ist ihm Mittel, diese Widersprüche offen auszutragen. So verfolgen wir in den Texten einen Menschen, der nichts frischwärts über die Kante bricht, der die Erörterung sucht, der Ergebnisse an- und ausspricht, zu denen er später gewiss Revisionen angebracht hätte (zum Beispiel, wenn er 1978 Bergs Violinkonzert in einer Einführung zu einem Arbeitersinfoniekonzert nach genauer Erörterung des Begriffs Moderne, des hässlich falschen Klingens, eine fragwürdige Versöhnung mit dem Tod attestiert). N.A. Hubers Texte spiegeln ein schöpferisches Individuum, das unablässig dem Machbaren nachforscht, das sich einlässt auf Hördefizite der Gesellschaft, das die eigene Radikalität als Notwendigkeit, damit als begreifbar, analysiert. Fraglos liest sich dieser Band im Vergleich zu Hespos beschwerlicher. Assoziatives Springen zwischen den Texten ist weniger möglich, da sie sich auf die Gegenstände aus historischer und auch aus individueller Sicht heraus einlassen. Sie breiten einen immer wieder beschwerlichen, auch schwer gemachten Entwicklungsweg aus. Die Genauigkeit, mit der sich Huber stets auf das von ihm Erörterte einlässt, hält immer auch die Offenheit gegenüber neuem Überdenken wach. Die Texte geben auf spannende Art Zeugnis von Etappen, auch von zeitbedingten Vor-Urteilen.

Vermutlich gibt gerade das Gegenlesen dieser beiden wohl eher zufällig parallel erschienenen Dokumentationsbände ein genaueres Bild über Sicherheiten und Unsicherheiten der Moderne, als dies jegliche erörtende Draufsicht in einem geschichtlichen Abriss leisten könnte.

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