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Musikalische Reflexionen als spekulative Theologie

Untertitel
Berührungspunkte: Religion, Philosophie und Komposition in der musikalischen Moderne
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Clytus Gottwald: Neue Musik als spekulative Theologie. Religion und Avantgarde im 20. Jahrhundert, Metzler Musik, Stuttgart, 2003, 178 S.,
€ 49,95, ISBN 3-476-01945-4

„Die musikalische Moderne wird mit Begriffen wie Aufklärung, Rationalität, Exklusivität, negativ mit Begriffen wie Dogmatik, Gefühlskälte oder Traditionsfeindschaft zusammengedacht, nicht jedoch mit dem Begriff Religion.“ Im Gegenteil – Religion galt in Kreisen der Kritiker eher als Zeichen gesellschaftlicher Zurückgebliebenheit. Religiöse Ambitionen moderner Komponisten sah man als private Marotte und Konservatismus, welcher mit den Zielen der Moderne nicht zu vereinbaren war.

Historisch hatte die Dogmatisierung des Palestrinastils im 19. Jahrhundert zum Austritt der zeitgenössischen Musik aus der Kirche geführt. Neukompositionen, die nicht den Geist der Restauration atmeten, erübrigten sich. Trotz, oder gerade wegen dieser Kündigung der Musik an liturgische Vorgaben, brachte jedoch die emanzipierte Kunstmusik des 19. Jahrhunderts, mit Beethovens „Missa solemnis“, Mendelssohns und Spohrs Oratorien, Liszts „Christus“, Brahms „Deutsches Requiem“ und Bruckners Sinfonien, zahlreiche geistliche Werke hervor.

Diese Tradition setzte sich im 20. Jahrhundert ungebrochen fort, ergriff die Väter der Moderne (Arnold Schönberg, Anton Webern, Igor Strawinsky, Oliver Messiaen) ebenso wie die Komponisten der Zeit nach 1945.Von Webern ausgehend, der nach Meinung seiner Verehrer nur geistliche Musik komponierte, war es zunächst Karlheinz Stockhausen, der mit dem „Gesang der Jünglinge“ das Geistliche der neuen Musik erneut einsetzte. Es folgten Komponisten wie György Ligeti und Dietmar Schnebel, Klaus Huber, Heinz Holliger und Mauricio Kagel.

Clytus Gottwald, Gründer und Leiter des Vokalensembles Schola Cantorum Stuttgart, Mitglied des IRCAM, Paris und vor allem durch seine Ur- und Erstaufführungen Neuer Musik bekannt, beleuchtet in einem aufschlussreichen Querschnitt zwischen Religion, Philosophie und Komposition die Komplexität geistlicher, oder geistlich reflektierender Werke des 20. Jahrhunderts. Entgegen der Meinung, Musik bringe lediglich tautologisch zum Vorschein, was ohnehin im Text schon vorhanden ist, verweist Gottwald auf die wachsende Rationalität in der Musik des 20. Jahrhunderts, durch die das reflexive Moment grundlegend in den Kompositionsprozess einfloss. Das Religiöse in der Musik versteht er so als Teil eines Reflexionsprozesses, durch den sich das Werk musikalisch definiert.

Folgende Zitate geben dem Leser einen Vorgeschmack auf die verschiedensten Ansätze der Komponisten, durch die bis in das Paradoxon hinein geistliche Musik überkonfessionell zur spekulativen Theologie wird.

„Du bist Gott, ich bin Gott, ein jeder ist Gott. [...] Gott ist das ICH des ganzen Universums; [...] wo immer also aus den Klangzeichen der Musik für einen Augenblick Sprache wird, lobt sie Gott.“ (Karlheinz Stockhausen)

„Gelobt seist Du, Niemand. Zunächst muß ich betonen, daß das keine geistlichen Werke sind. Psalm ist ein Negativ geistlicher Musik. Selbstverständlich könnte man sagen, dass Atheismus auch religiös sei, denn man kann nicht abstreiten, was es nicht gibt.“ (Heinz Holliger)

„Es mag sein, daß nicht alle Musiker an Gott glauben, an Bach glauben sie alle.“ (Mauricio Kagel)

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