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Bálint András Varga (Hg.): Der Komponisten Mut und die Tyrannei des Geschmacks, Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2016, 224 S., € 24,00, ISBN 978-3-95593-071-4
Bálint András Varga (Hg.): Der Komponisten Mut und die Tyrannei des Geschmacks, Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2016, 224 S., € 24,00, ISBN 978-3-95593-071-4
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Bálint András Varga befragt Komponisten zu „Mut“ und „Geschmack“
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Mut zu beweisen, beziehungsweise mutig zu entscheiden und auch entsprechend zu handeln – das ist schon ein großes Wort! In Zusammenhang mit künstlerisch-kreativem Tun von Mut-gesteuertem Agens zu sprechen, wirft natürlich Fragen auf, die Physio-gnomie des Mutes betreffend. Welche Relevanz also hat Mut mit den Folgerisiken der physischen Bedrohung, der psychischen Destabilisierung oder der sozialen Ausgrenzung für den „durchschnittlichen“ Kunstschaffenden der Gegenwart?

Bálint András Varga hat, ähnlich wie in seinem „Drei-Fragen-Projekt“, Komponisten, Kritiker und Veranstalter diesbezüglich befragt oder ihnen mit Überzeugungsgabe essayartige Texte zum Thema entlockt. Wiederum gebührt ihm großer Respekt dafür.

Dem Mut-Aspekt nachgeschaltet wurde im Verlauf des Projektes schließlich noch eine durch Erwartungshaltungen der Rezipienten und ästhetisch-ideologische Postulate der kunstschaffenden Konkurrenz begründete „Tyrannei des Geschmacks“.

Vorab resümierend kann man sagen, dass die Äußerungen der Befragten ganz allgemein Einblicke und Perspektiven auf ihr künstlerisches Schaffen, wie auch auf ihre Vita eröffnen, die sich in Teilen ähnlich faszinierend lesen, wie im oben erwähnten Vorgängerwerk des Herausgebers.

Gleichwohl begleitet hier die Lektüre ein anhaltendes subkutanes Unwohlsein, welches in der problematischen Fassbarkeit des Kernbegriffs an sich begründet ist – und auch in nicht wenigen Texten der Befragten deutlich spürbar wird. Bedeuteten die „Drei Fragen“ noch eine Art objektives Ras-ter, welches sich auf die Trennschärfe und den Fokus der Antworten sehr positiv auswirkte, so trifft der Leser hier auf ein weitläufiges Panorama aus häufig ebenso weitschweifigen biographischen Schilderungen, welche sich auf unterschiedlichste Art und Weise mehr oder weniger konkret mit dem Mut-Parameter auseinandersetzen.

Die Versuche, den Mut-Begriff zum eigenen künstlerischen Tun in Beziehung zu setzen, daran zu scheitern, diese Komponente im kreativen Prozess überhaupt in Frage zu stellen – oder ihn fast schon zu ignorieren, zeigen deutlich die zwei Seiten des Projekts: zum einen eher Misserfolg im Sinne durchgängig konsequenter und essentieller Bezugnahme auf das Thema.

Gleichzeitig zum anderen aber auch Erfolg im Hinblick auf die faszinierende Vielfalt der Reaktionen. Sie – und weniger die eigentlichen Bezugnahmen auf das Thema – bilden den eigentlichen Reiz der Textsammlung.

So spricht beispielsweise Karl Aage Rasmussen dem Konzept des mutig Agierens im Kunstschaffen echte Relevanz nur in totalitären Gesellschaften zu, in denen künstlerische Äußerung reale Bedrohung durch Kontroll-instanzen bedeuten kann, während für Enno Poppe – er berichtet uns vorrangig und auch raumgreifend über inspirierende Spaziergänge, Kinobesuche und ähnliche Begebenheiten seines Kreativalltags – schon engagierte Musiker Mut machend für den gebeutelten Tonsetzer wirken, beziehungsweise die Auseinandersetzung des Komponisten mit den Interpreten schon ein hohes Maß an Mut erfordert. Als hätte beispielsweise ein Lachenmann seine neue Musiksprache nicht bewusst und – hier unterstellt – auch lustvoll auf Konfrontation gebürstet, jenseits von Überwindung einer potentiellen Gefährdung durch mutiges Handeln.

Ganz unterschiedliche graduelle Einschätzungen also hinsichtlich dessen, was Mut bedeuten kann, beziehungsweise welche Rolle er für den Kreativprozess überhaupt zu spielen in der Lage ist.

Leider völlig unstimmig wirkt der Einbezug des Geschmacksbegriffes und vor allem die Bedeutung, die ihm bis in den Buchtitel hinein zugemessen wird. In Rasmussens Text – dem Impulsgeber dieses Einbezugs – kommt dieser „Tyrannei des Geschmacks“ die Bedeutung eines Bonmots zu, dessen absichtsvolle Verwendung durch den Zusammenhang klar wird. Verselbstständigt zum Terminus wirkt sie verwirrungsstiftend, beim Leser wie beim Befragten.

Wer also bereit ist oder es gar als Anreiz empfindet, beim Lesen dieses Bandes in munterem Wechsel auf kritische Selbstwahrnehmung wie Selbstgefälligkeit, auf Überschätzung des eigenen künstlerischen Leidens wie auf achtsame Nüchternheit, auf Pointiertheit wie Schwadronie in einer Art mäanderndem Pilgergang zu stoßen, dem kann die Lektüre empfohlen werden. Aber nur dem.

  • Bálint András Varga (Hg.): Der Komponisten Mut und die Tyrannei des Geschmacks, Wolke Verlag, Hofheim am Taunus 2016, 224 S., € 24,00, ISBN 978-3-95593-071-4
     

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