Verdi-Jahr, Wagner-Jahr – die vermeintliche Rivalität schlägt sich auch auf dem Büchermarkt nieder, wobei Verdi quantitativ klar das Nachsehen hat. In Deutschland hat Wagner einfach den größeren Stellenwert, sicher mitbedingt durch das Alleinstellungsmerkmal „Grüner Hügel“. Dagegen hat es ein weit weniger polemisierender, aber nicht weniger politisch denkender Komponist wie Giuseppe Verdi ungleich schwerer. Entsprechend dünn fällt auch die substantielle Aufarbeitung seines Denkens, seines Schaffens, seines Lebens in den neuen Büchern zu seinem 200. Geburtstag aus, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen.
- Giorgio Bagnoli (Hrsg.): Die Opern Verdis. Personen, Handlungen, Quellen, Kritiken, Inszenierungen. Parthas, Berlin 2013, 215 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-86964-079-2
- Julian Budden: Giuseppe Verdi. Sein Leben. Reclam, Stuttgart 2013, 238 S., 8,00 Euro, ISBN 978-3-15-019024-1
- Joachim Campe: Verdi. Eine Biographie. Primus Darmstadt 2012, 256 S., CD, 29,90 Euro, ISBN 978-3-86312-333-8
- Anselm Gerhard: Giuseppe Verdi. C.H. Beck, München 2012, 128 S., 8,95 Euro, ISBN 978-3-406-64072-8
- Anselm Gerhard/Uwe Schweikert (Hrsg.): Verdi Handbuch. 2. überarb. u. erw. Auflage. Bärenreiter, Kassel u.a./Metzler, Stuttgart 2013, 757 S., 69,95 Euro, ISBN 978-3-476-02377-3
- Sabine Henze-Döhring: Verdis Opern. Ein musikalischer Werkführer. C.H. Beck, München, 128 S., 8,95 Euro, ISBN 978-3-406-64606-5
- John Rosselli: Giuseppe Verdi. Genie der Oper, München, C.H. Beck 2013, 288 S., 21,95 Euro, ISBN 978-3-406-64138-1
- Georg Titscher: Viva Verdi. Ein biografischer Opernführer. Almathea Signum Wien 2012, 352 S., 24,95 Euro, ISBN 978-3-85002-801-1
- Christoph Wagner-Trenkwitz: „Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts!“. Versuche über Verdi. Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg, Wien 2013, 216 S., 21,90 Euro, ISBN 978-3-7017-3283-8
Das Verdi-Buch des 2007 gestorbenen englischen Rundfunkjournalisten Julian Budden ist nun in revidierter Auflage in den Handel gekommen, indem man aus der überarbeiteten und verbesserten dritten Auflage den ersten Teil herausgelöst und separat veröffentlicht hat: das rein Biographische ist also als separates Buch in deutscher Sprache erhältlich, Buddens eingehende Werkbetrachtungen werden dem Leser jedoch vorenthalten.
Kurze, knappe Einführungen zu Leben und Werk des Guiseppe Verdi liefern Anselm Gerhards Überblicks-Büchlein in der Reihe „Wissen“ des Beck-Verlages und ebendort Sabine Henze-Döhring mit einem Führer zu den wichtigsten Opern. Beide Bände ergänzen sich, sie sind anschaulich und kompakt, verlässlich und übersichtlich, Verdi für die Westentasche sozusagen.
Der Frage „Wer war Giuseppe Verdi?“ stellt sich John Rosselli, langjähriger Chefredakteur beim Manchester Guardian und Musikhistoriker, im Vorwort seines bereits im Jahr 2000 veröffentlichten und jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen Buches über das „Genie der Oper“: „Bei der Arbeit an diesem Buch ist mir klar geworden, dass ich den Menschen Verdi nicht sonderlich mag, vor allem den autokratischen Rentier und Gutsbesitzer, den Teilzeitkomponisten und scheinbaren Vollzeitnörgler.“ Das ist ehrlich und schützt den Autor vor einer gewissen Beweihräucherung des Biographierten. Wer ein Verdi-Buch sucht, in dem – ohne Legendenbildung – Leben und Werk des Komponisten klug verzahnt und meist punktgenau zusammengefasst werden, ist bei Rosselli richtig, auch wenn einzelne Aspekte, etwa Verdis Verhältnis zu Shakespeare, zu oberflächlich und vage behandelt werden. Der Band liefert keine wirklich neuen Erkenntnisse, doch dafür lebt er von einer auffallend ent-ideologisierten Darstellung.
Georg Titscher, von Haus aus Mediziner und Musikenthusiast, hat einen „biografischen Opernführer“, wie es im Untertitel heißt, verfasst, in dem er Verdis Opern in der Reihenfolge ihrer Entstehung vorstellt, geordnet nach festen Rubriken: Personen, Inhalt, Entstehung, Kommentar, Interpretation und Analyse. Auch wenn Tischer sehr flüssig und anschaulich formuliert, auch wenn er den Blick geschickt auf einige Scharnier-Stellen der Werke lenkt, auch wenn er immer wieder durchblicken lässt, dass er die Sekundärliteratur gelesen hat, so bleiben doch vor allem die kommentierenden und interpretierenden Kapitel oft fragmentarisch und ohne Bezug zum Gesamtschaffen, vor allem aber ohne konkreten Bezug zu den Partituren.
Auch der von Giorgio Bagnoli herausgegebene Band „Die Opern Verdis“ folgt einem vergleichbaren Aufbau und unterliegt vergleichbaren Mängeln. Das entscheidende Plus dieses Bandes liegt in der opulenten Bebilderung, die eine Art Subtext darstellt, indem sie die Rezeptionsgeschichte der Werke andeutet. Ein hübsch illustriertes Buch, geeignet zum Durchstöbern, zum Blättern, zum Nachschlagen.
Die Biographie von Joachim Campe, die um eine CD mit ausgewählten Musikbeispielen ergänzt ist, gefällt durch ihren erzählenden, gemeinverständlichen Stil und überzeugt durch die Fähigkeit des Autors, Charakterisierungen bis in Nebensätze hinein vorzunehmen: „Für Verdi, der nicht naiv gläubig war wie Rossini und nicht konventionell fromm wie Cherubini, war Geistliche Musik eine Herausforderung.“ Campe hält sich mit Bewertungen, mit Vergleichen weitgehend zurück, wodurch der Blick des Lesers auf das rein Biographische konzentriert bleibt. Gelegentlich greift er exemplarisch einzelne Szenen aus Verdis Opern heraus, um daran seine Techniken, seine Neuerungen, seine Kunst der Instrumentation zu zeigen.
Christoph Wagner-Trenkwitz, Chefdramaturg der Wiener Volksoper, erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Betrachtung von Leben und Werk des Giuseppe Verdi. Sein Buch besteht aus knapp 20 Essays, die sich in drei größere Abschnitte gliedern: 12 Kapitel zu bekannten und weniger bekannten Werken Verdis, von „Ernani“ bis „Otello“. Im zweiten Teil stehen Berufe im Mittelpunkt, die Verdi nie wirklich ausgeübt hat, auf deren Betätigungsfeld er sich jedoch gern getummelt hat: Verdi als Librettist, Verdi als Bühnenbildner, Verdi als Politiker. Im dritten Teil hat der Autor markante Aussprüche und Briefzitate Verdis aneinandergereiht. Wagner-Trenkwitz fabuliert nicht, er argumentiert stets eng am Werk. Das heißt, er hat Libretto und Musik gleichermaßen im Blick; er zeigt, wie sich Verdis Opernfiguren entwickeln, wie sie Intrigen spinnen, wie sie mit ihren Ängsten umgehen, wie sie von ihren Leidenschaften getragen werden. Wo angebracht, argumentiert Wagner-Trenkwitz mit einem Augenzwinkern, denn er weiß, dass er dem „Phänomen Verdi“ nicht auf 200 Seiten komplett entsprechen kann; insofern liefert er, gerade im dritten Teil, der sich als Ideen-Steinbruch versteht, Anregungen, Denkanstöße, Hilfestellungen. Nicht mehr und nicht weniger, aber immer auf ansprechendem Niveau.
Die in jeder Hinsicht gewichtigste Neuerscheinung im Verdi-Jahr ist das von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert herausgegebene „Verdi Handbuch“, dessen Neuauflage die erste Version aus dem Jahr 2000 ablöst. Hierbei handelt es sich nicht um kosmetische Korrekturen, sondern um teilweise grundlegende Neuerungen mit neuen Beiträgen. Der aktuelle Forschungsstand hat hier ebenso Einzug gehalten wie einige der Themen, die in der Erstauflage nicht berücksichtigt worden waren. Wie schwer es ist, Verdi-Forschung allein mit deutschsprachigen Autoren zu betreiben, beweist die Tatsache, dass die Herausgeber einzelne Artikel aus dem Italienischen haben übersetzen lassen. In den beiden Hauptteilen werden in insgesamt 20 Beiträgen politische, literatur-, religions-, sozial- und wirtschaftgeschichtliche Themenfelder abgesteckt, bevor in einem dritten Hauptteil Verdis sämtliche Werke analysiert werden.
Dieses Buch ist unstrittig der Höhepunkt unter den neuen Publikation zum Verdi-Jahr, umfassend, dicht argumentierend, vielschichtig, problembewusst. Der Spagat Verdis zwischen Tradition und Erneuerung, sein Wille, die Oper historisch weiterzudenken, seine Fähigkeit der psychologischen Figurenführung, seine Kunst der instrumentalen Feinzeichnung, seine Widerstände gegen gängige Aufführungspraxis, gegen Zensur und Politik, sein Kampf um die „Grand Opéra“ und seine Veranlagung, mit sturem Kopf Neues durchsetzen zu wollen – all das wird in diesem Band detailfreudig und argumentativ überzeugend herausgearbeitet. Ein Band, an dem kein Verdi-Freund vorbeikommt.