Gaja von Sychowski: TextArt für Improvisationen & Performanzen, Königshausen & Neumann, Würzburg 2025, 219 S., Abb., € 44,00, ISBN: 978-3-8260-8924-4 +++ Gaja von Sychowski/Werner Habel: Allgemeine Korrelative Pädagogik. Systematische Pädagogik in der Postmoderne, Königshausen & Neumann, Würzburg 2025, 362 S., Abb., € 30,00, ISBN: 978-3-8260-8856-8
Gaja von Sychowski/Werner Habel: Allgemeine Korrelative Pädagogik. Systematische Pädagogik in der Postmoderne, Königshausen & Neumann
Von der Performanz des Erlebens
Es ist nicht selbstverständlich, dass improvisatorische Aufführungen zu den Standardthemen der Erziehungswissenschaft gehören; dass Gaja von Sychowskis neues Buch dieses Themenfeld – verbunden mit dem Label TextArt – bereits im Titel signalisiert, ist sicherlich (auch) ihrer Lehrtätigkeit als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Musikhochschule Lübeck und ihrer musikalisch-künstlerischen Affinität geschuldet.
Unter TextArt versteht die Autorin eine multifunktionale Textform, die sie aus vorhandenen Texten erstellt, indem sie diese etwa fragmentiert, permutiert, montiert oder Wiederholungsschleifen einbaut. Ergebnis dieser gleichsam kompositorischen Arbeit sind insgesamt 42 sogenannte „Text-Konstrukte“, die zwischen traditionell gestalteter Layoutierung (vgl. z. B. „Reflexion im Jetzt“, S. 167) und grafisch-farblichen Ausarbeitungen mit verschiedenen typografischen Auszeichnungen (vgl. z. B. „Synästhesie im Schmelztiegel“, S. 103–104) changieren. Thematisch kreisen die Text-Konstrukte um philosophisch-pädagogische Arbeits- und Denkfelder, die von Sychowskis Forschungsinteressen mitbestimmen: „Sie sind […] aus meiner wissenschaftlichen Arbeit erwachsen, und sind doch ganz anders. Sie sollen ,performt‘ und erlebt werden“ (S. 45). Im Anmerkungsteil des Buches findet sich ein detailliertes Quellenverzeichnis (vgl. S. 187 ff.) und die grafisch aufbereitete Auflistung der Autor:innen aller verarbeiteten „(Text-)Grundlagen“, so etwa Richard Hönigswald, Judith Butler, Simon Wade, Andy Warhol, Immanuel Kant, Norbert Meder, Paula Rego, Fausto Romitelli, Joan Miró, Mauricio Kagel und Joseph Beuys.
Gaja von Sychowski: TextArt für Improvisationen & Performanzen, Königshausen & Neumann
Die Bedeutung der Text-Konstrukte liegt nun in ihrem Gebrauch: Sie können in der vorliegenden Druckfassung – gleichsam als Verbal-Partitur – gelesen oder rezipiert und/oder in eine musikalisch-künstlerische Gestaltung überführt, verändert oder erweitert werden. Die stille Rezeption wie die lautstarke Präsentation geben gleichermaßen Anlass zum Nachdenken und zur Reflexion über Inhalt und Form einer neuen artifiziellen Gestalt. Die Art und Weise der Ausführung ist stilistisch, formal, strukturell, klanglich, besetzungsmäßig und in anderen Formen bis ins Freie reichend offen. Sprach- oder Sprechaktionen, Pantomimen, Szenische Darstellungen, instrumentale Transformationen, Kombinationen der Darstellungsformen, solo oder in diversen Ensembles und freien Besetzungen, können praktiziert werden.
TextArt steht in symbiotischer Verbindung mit Gaja von Sychowskis ebenfalls in diesem Jahr (in Zusammenarbeit mit Werner Habel) publizierten Schrift Allgemeine Korrelative Pädagogik. Die dort (u.a.) explizierte Auseinandersetzung mit der „Performanz des Erlebens“ (Hönigswald) findet hier eine gewissermaßen interdisziplinäre Transformation in eine ästhetische Praxis der Gegenwart, die von Sychowski zusammen mit der Pianistin Jean Beers und der Cellistin Corinna Eikmeier als TRIO PERFORMANZ seit 2021 pflegt. Kunst und Wissenschaft kommen zusammen, von Sychowskis imaginierte oder erklingende TextArt öffnet sich so einem tendenziell ganzheitlichen Erleben, das zugleich ein sinnliches Verstehen im Rücken hat: Gehörtes kommuniziert mit Gelesenem, Gelesenes mit Gehörtem.
TextArt mit ihren Konstrukten reicht jedoch über einen ausschließlich reproduktiven Umgang hinaus. Sie kann auch als Modell und Anregung für die Erarbeitung eigener, thematisch ganz anders positionierter Text-Konstrukte und deren Gestaltung dienen. Dabei geht es nicht um eine vorschnelle Methodisierung, intendiert bleiben künstlerische Akte. Dennoch entspringen aus unserer Sicht Ansatzpunkte für eine Bereicherung der hochschuldidaktischen Arbeit in den wissenschaftlichen Fächern an Kunsthochschulen, indem TextArt-Gestaltungen zu fachspezifisch relevanten Themen andere und potentiell neue Formen der Reflektion, des Nach- und gerade auch des Vordenkens freisetzen und auf diese Weise tradierte Arbeitsweisen ergänzen können.
Gaja von Sychowski/Werner Habel: Allgemeine Korrelative Pädagogik. Systematische Pädagogik in der Postmoderne, Königshausen & Neumann
Beim Lesen der TextArt von Gaia von Sychowski war sie sofort da – auch wenn sie hier erst abschließend zur Sprache kommt: die Erinnerung an das eigene Kompositionsstudium, beginnend vor fast 50 Jahren bei Wolfgang Hufschmidt an der Folkwang-Hochschule in Essen – ,Sprachkomposition‘ hieß diese Facette damals, die Hufschmidt in seinen Kompositionen realisierte, die er bei anderen Komponisten dezidiert analysierte, die er auf faszinierende Weise uns vermittelte und an der wir uns in eigenen Studien abarbeiteten. Ein damaliger ,Text-Art-Text‘ war sofort präsent, er entstammt Hufschmidts Chormusik Psalm 1 aus dem Jahre 1967. Um diese Erinnerung freundschaftlich mit der Autorin zu teilen und im artifiziellen Modus den Gedankengang zu beschließen, sei ein kurzer Ausschnitt zitiert (ein Wort des Grundtextes ist hier verändert):
UND WAS SIE MACHT, DAS GERÄT WOHL
wohl gerät das, was sie macht
macht sie was, gerät das
gerät das, was sie macht?
sie macht das, was
macht das was?
das macht das
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