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Aneignen und Verstärken

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Neue CDs und LPs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
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Neue Musik von und mit Nicolaus A. Huber, Olga Neuwirth, Mark Lorenz Kysela und Maximilian Marcoll auf CD und LP.

Dass eine Konzentration auf wesentliche Strukturmomente und artikulatorischer Reichtum sich nicht widersprechen müssen, beweist Johannes Fischer in einer Auswahl aktueller Schlagzeugstücke Nicolaus A. Hubers, die sich erfreulich jenseits eines „Herumdonnerns im Instrumentenpark“ (Huber) bewegen. Wie minutiös taktil diese Musik gedacht ist, macht das „Fingercapriccio“ hörbar, wo das „eardrum percussion duo“ sich mit Fingerkuppen und Fingernägeln trommelnd, klopfend, reibend und kratzend an zwei Bongopaaren zu schaffen macht. „Instrumentale Diät“ (Huber) ohne Mangelerscheinungen vermittelt auch Hubers dreiteiliger „Sehnsuchtszyklus“: „Póthos“ mischt Geräuschhaftes und punktuell Rhythmisches, perkussive Turbulenzen und sanfteste Klanggebung zu einem vielfarbigen Parcours. In „Himeros“ gesellt sich eine Harfe hinzu, die in einen mikrotonalen Dialog mit Glockenklängen tritt. Lautsprecherzuspielungen bilden hier prominente Störfaktoren, was in der Attacke eines raumgreifenden Sinustones gipfelt, der das akustische Geschehen überblendet wie ein plötzlicher Hörsturz. (NEOS)

Olga Neuwirth ist nicht nur eine Pionierin intermedialen Komponierens, sondern auch eine Zauberin sublimer Reminiszenzen. Einer Liebeserklärung an ihr Lieblingsinstrument kommt „...miramondo multiplo...“ (2006) gleich, ein Konzert für Trompete und Orchester, das in fünf „Arien“ eine imaginäre Vergangenheit bereist. Im kaleidoskopartigen Labyrinth der echten und falschen Zitate erscheinen Ausschnitte aus Händel-Arien wie unter Milchglas, kommt Miles Davis als melancholische Rückblende um die Ecke. Eine Steilvorlage für die lyrischen Qualitäten von Uraufführungsinterpret Hakan Hardenberger. Im Bratschenkonzert „Remnants of Songs ... an Amphigory“ (2009) ist im Andenken an Betty Freeman das Referenz-Geflecht flüchtiger Erinnerungsbruchstücke zwischen Elegie („Sils Maria“) und Tanz auf dem Vulkan nicht weniger dicht gewoben, liegen Traum und Trauma ganz nah beieinander. Eine vor heterogener Musik überquellende Hommage an Neuwirths Großvater ist „Masaot/Clocks Without Hands“ (2013), eine nostalgisch taumelnde Meta-Musik, deren Allusionen und Illusionen Gustav Mahler und György Ligeti gleichzeitig heraufbeschwören. (KAIROS)

Musikalische Grenzerfahrung im Doppelpack verspricht das Duo „Goldrausch“ von Mark Lorenz Kysela und Maximilian Marcoll. Denn Performer Kysela spielt seinen Saxophon-Monolog im Liegen, 40 Minuten Klangkontinuum in Zirkularatmung, dessen elektroakustisch anmutende Geräuschfarben die Mühen der Aktion hörbar machen: ein Pressen, Reiben, Ächzen und Vibrieren, das mit einem Saxophon kaum noch in Verbindung zu bringen ist und seine Konsistenz und Oberflächenbeschaffenheit unentwegt ändert. Das liegt unter anderem daran, dass der Speichel des Spielers in der Horizontalen praktisch klangbildende Funktion erhält und die Tongebung irgendwann in ein Brodeln unterschiedlichster Frequenz abtaucht. Ein nicht weniger radikaler Ansatz bestimmt die Bearbeitung des horizontalen Rausche(n)s seitens Marcoll im Modus seiner „Amproprifications“. In einer Mischung aus „Aneignen“ und „Verstärken“ greift Marcoll ausschließlich auf der Lautstärkeebene in das Original ein und erzeugt durch Brüche und Filterungen eine (zumal rhythmisch) völlig  neuartige Erscheinung der Vorlage. So entwickelt Marcoll in „Amproprification #5“ aus einem Clicks & Cuts-artigen Knistern und Knarzen eine pulsierende Motorik in wechselnder Farbigkeit, Dichte und Geschwindigkeit. Das kann phasenweise einen Groove entwickeln, der angesichts der sonstigen Schnitt-Härte der „Amproprifications“ fast schon geschmeidig-technoide Züge annimmt und Kyselas Flächen-Kontinuum in ein irisierend rhythmisches transformiert. Das Medium LP ist bei aller ästhetischen Überzeugungskraft klangdramaturgisch allerdings ambivalent: Einerseits entspricht der warme, uncleane Sound der Langspielplatte der Ästhetik des Projektes viel adäquater als die Kälte digitaler Oberfläche; andererseits widerspricht das zweimalige Plattenumdrehen einer konsequenten Wahrnehmung der angestrebten Kontinuen. (roruys imifest, 2 LPs)

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