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Aus der Versenkung

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
Vorspann / Teaser

Neues von Paolo Fresu, Keith Jarrett, Mike Taylor, Eddie Palmieri und der Actions For Free Jazz Orchestra.

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1

Erst mit gewissem Zeitabstand wird einem die Relevanz mancher Jazzaufnahmen bewusst. Die Premiere der Actions For Free Jazz Orchestra beim Donaueschingen Musikfestival 1971 dokumentiert exemplarisch, dass Krzysztof Penderecki, damals noch Repräsentant polnischer Avantgarde, durchaus Sympathie für spontane Gestaltung hatte. Die zuvor strikt getrennten Sphären von Jazz und Klassik begegneten sich unverkrampft, weil sie unter der Leitung des Komponisten konvergente dynamische und dramaturgische Strukturen bekamen, indem markante Zäsuren Neigungen zu ausschweifenden Extempores von Solisten des New Eternal Rhythm Orchestra zügelten. Primus-Protagonist und Projekt-Mentor Don Cherry kontrastierte dieses Modell notierter „Actions“ mit der Suite „Humus – The Life Exploring Force“, einem Pendel zwischen einfacher Raga-Melodik, sugges­tiven Grooves und freien Improvisationen. (Intuition)

2

Ebenfalls mit größeren Formationen avancierte Eddie Palmieri, Pianist aus Puerto Rico, als unwiderstehlicher Latin-Stil-Experte. Seine spieltechnischen Finessen zeigte er bei virtuosen „Variations“ mit Free Jazz Attacken. Dieses kleine Solo bewahrt jedoch ebenso wie das andere Band-Repertoire des wiederveröffentlichten Albums „Sueño“ (Schlummer, 1989) vor Trägheit, denn Salsa-Drive, pikante Akkorde, antreibende Ostinato-Figuren und tolle Poly-Perkussion schaffen, sogar in lässigem Medium-Tempo, eine Atmosphäre ungetrübter Lebensfreude. (Intuition)

3

Ein Befinden, das der britische Pianist Mike Taylor (1938–1969), auch „Phantom des Jazz“ genannt, nicht kannte, denn er starb an übermäßigem Drogenkonsum, bevor er berechtigte Karriere-Erwartungen erfüllen konnte. Von seinen wenigen Publikationen, jetzt Raritäten, ist „Trio“ (1967) charakteristisch: exzentrische Klavier-Harmonik bis zu freitonalen Passagen und pulsierende Rhythmen verbinden Impressionismus und Cool Jazz, die eigenwillig-schwebende Ballade „While My Lady Sleeps“ wird gar von Con-arco-Bassklängen geschmückt. Mike Taylor ist ein tragisches Original der britischen Jazzszene, das postum unbedingt beachtet werden sollte. (Decca)

4

Seit fast einer Dekade ist Piano-Ikone Keith Jarrett nicht mehr auf Bühnen präsent. Doch es gibt offenbar einen noch nicht ausgeschöpften Vorrat an Konzertmitschnitten, wovon „New Vienna“ (2016), eine Suite in neun Kapiteln, gerade zum 80. Geburtstag erschienen ist. In kontstantem Energiepegel pflügt Keith Jarrett in Part 1 dodekaphonisch verschachtelte Skalen in einem abstrakten Boogie, wobei durch die Kontrapunktik von unabhängigen Linienführungen der Hände stets neue verblüffende Muster entstehen. Ähnliches ist, nach einem meditativen Intermezzo, in Part III bei binär unterschiedlichen Tempi zu hören. Introvertierte Lyrik und Country-Temperament sind weitere Hinweise auf die enzyklopädische Expertise, die Keith Jarrett in diesem Konzert unprätentiös hervorbringt. (ECM)

5

Aus ebensolcher Perspektive betrachtet der sardische Trompeter Paolo Fresu sein Idol in „Kind Of Miles“ (Davis), nämlich im Spiegel von Re-Interpretationen einiger Standards wie dem Rogers-Song „It Never Entered My Mind“ oder „Summertime“ von George Gershwin mit akustischen Sounds. In einer zweiten Tranche übernimmt er bei der Eigenkomposition „Call It Nothing“ Elektro-Effekte, wie Miles Davis sie für „Bitches Brew“ verwendet hat, oder typische Bass-Figuren, um seine Reverenz zu erweisen. Exzellent. (Tuk, Do-CD)

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