Marko Tajcevic: Komplette Klaviermusik; Radmila Stojanovic-Kiriluk; Toccata Classics TOCC 0041 (Vertrieb: Musikwelt)
Nach und nach rundet sich das Panorama der Nationalkomponisten der klassischen Moderne vom Balkan bis nach Anatolien: Bartók in Ungarn, Enescu in Rumänien, Slavenski in Kroatien, Vladigerov in Bulgarien, Skalkottas in Griechenland, Saygun und Erkin in der Türkei, und nun Marko Tajcevic (1900–1984) in Serbien. Tajcevic ist ein blendender Miniaturist (die randvoll bespielte CD enthält 60 Stücke) und ein Meister raffinierter Pianistik und klanglicher Schattierungen. Fast alle Werke sind mehr oder weniger folkloristisch inspiriert. Eine Ausnahme bilden die beiden anspruchsvollen Sonatinen (1923 und 1947), die zauberhaften fünf Präludien (1935) und vor allem das mit weitem Abstand ausladendste (und späteste) Werk, die „Variationen über ein Thema in c-Moll“ von 1948, in welchen Brahms eine neo-klassizistische Wiedergeburt zu feiern scheint. Von durchweg feinstem, in tausend Facetten schillerndem Karat, sind selbst die zu didaktischen Zwecken komponierten Stückchen allesamt hörenswert.
Bekanntestes Werk sind die Sieben Balkan-Tänze von 1926, ihr kleineres Geschwister die Serbischen Tänze von 1937. Natürlich ist neben dem Lokalkolorit der Einfluss Bartóks unleugbar durchzuhören, besonders auch in den in ihren ostinaten Bildungen dem „Mikrokosmos“ nahestehenden zwei kleinen Suiten von 1937, doch hat Tajcevic seinen eigenen Ton, ja, jede Note atmet Authentizität, und man kann diese Musik mit ihren tragischen und flunkernden, ihren bizarren und bodenständigen Dimensionen ebenso träumerisch genießen wie die Sonaten Enescus, die stilisierten Tänze Sayguns und Skalkottas’, die Salonstücke Vladigerovs, oder Dinicus Tzigane-Orchester in historischen Aufnahmen. Sie stammt sozusagen von der Seidenstraße unserer Musikgeschichte, die vom Orient ihren Ausgang nahm.
Hinzu kommt, dass Radmila Stojanovic-Kiriluk mit bestechendem Gespür die melodischen Charaktere trifft, eine vorzügliche Pianistin mit kultiviertem, farbenreichem Klang und Sinn fürs Gestische ist.
Die suggestive Artikulation der harmonischen Progressionen liegt ihr, wie den meisten, zwar weniger, doch den Zauber dieser zeitlosen Musik entfacht sie zweifelsohne, und man hört mit Vergnügen zu. Und mag Fragen haben: Was hat Tajcevic in den verbleibenden 36 Jahren seines Lebens komponiert? Wie klingt seine Orchestermusik? Wir dürfen gespannt sein und angeregt und erfrischt von der Vitalität und Ursprünglichkeit dieser musikalischen Kleinodien.