Die gewichtige Hammond-Orgel B3 hat im Jazz trotz einiger profilierten Protagonisten eher eine Nebenrolle. Nun ist das Interesse an diesem Monstrum offenbar wieder geweckt.
Denn Ricky Peterson, einst Produzent für den Popgiganten Prince und Jazzmusiker wie George Benson, erinnert mit der WDR Big Band Schlag auf Schlag oder Drop Shot (Leopard) an die Kraft der B3. Wobei er in die prallen Arrangements von Bob Mintzer und den harten Groove seines Bruders Paul (Bass) und Gene Lake (Drums) virtuos hineinfunkt. Sein orchestraler Sound füllt das R&B- Repertoire geradezu enthusiastisch oder sakral, wenn er wie ein Gospel-Priester „Feel So Bad“ singt, während Johan Hörlen am Alto-Sax die dichten Beats entwirrt, um „Snakes“ zu bändigen. So ergänzen sich Ricky Peterson und die Solisten der WDR Big Band perfekt, um die Hammond-B3 zu feiern.
Eine etwas andere Perspektive hat der US-amerikanische Gitarrist Bobby Broom, wenn er mit seiner Organi-Sation an Soul Fingers (Jazzline) denkt, nämlich zum Jazz gedrehten Versionen bekannter Popsongs: „Come Together“ von den Beatles swingt da plötzlich im Hardbop-Stil, die „Ode To Billie Joe“ verändert sich im 7/4-Metrum und warmen Gitarrenimprovisationen, „Do It Again“ modal, wobei Ben Paterson nicht nur glühende Hammond-B3-Akkorde unterlegt, sondern durch ein Rubato-Solo auch eigene Kapazitäten zeigt. Soul bedeutet hier ungesättigte Kreativität.
Ebenso für den Kontrabassisten Jeff Denson aus Virginia (USA), indem er neugierig Outside My Window (Ridgeway) blickt und eine von Ronen Itzik getrommelte, quasi New Orleans-Prozession hört, die Dayna Stephens mit Sax-Gardinen verdeckt, während Kari Ikonen sie mit Synthesizer-Tremoli (die Alternative zur Orgel?) dekoriert. Überhaupt sind solche und Fender-Klänge, etwa glitzernde Arpeggien zu „Grace“ oder punktiert „For A Brand New Day“, prima Kontraste des nicht nur grundierenden, sondern auch als selbstbewusste Stimme parallel zum fast klassisch-expressiven Gesang von Jeff Denson gespielten Bass. Deshalb empfindet man seine ebenso ehrlichen wie komplexen Songs als willkommenes Novum im Jazzmedium.
Ecken und Kanten hat das C.A.R.-Ensemble aus Köln in seiner Musik abgeschliffen, die aerodynamisch oder fließend eine suggestive Sogwirkung hat, als ob man in einem Tunnel Look Behind You (Bimba) sollte. Repetetive Muster, die Christian Lorenzen aus Wurlitzer-Klavier und Synthesizer, Leonhard Huhn mit Saxofonen und Live-Electronics sowie Bassist Kenn Hartwig und Schlagzeuger Johannes Klingebiel verweben, helfen bei der Orientierung. Dabei entstehen manchmal hymnisch-schöne Melodiebögen oder ungerade Rockrhythmen in impulsiven Bewegungen.
Umgekehrt und paradoxerweise sind für die britischen Szun Waves für ihre New Hymn To Freedom (The Leaf Label) statisch-pittoreske Pastoralen Priorität. Allerdings sind das keine monophonen Imaginationen, vielmehr denkt man, sich in einem Elektronenbeschleuniger zu befinden. Die Partikel und Fasern der Songs haben doch Strukturen, die Luke Abbott durchs Klangspektrum seines Synthesizers schickt, und denen Jack Wyllie am Saxofon melodisches Profil sowie Schlagzeuger Laurence Pike rhythmische Elastitizität geben. Erkennbar wird, dass elektronische Tasteninstrumente im Jazz auch außerhalb üblicher Fusion-Funktionen stilistisch reizvoll sein können.