Der Benefit des Ernst von Siemens Komponistenförderpreises liegt nicht nur im Preisgeld: Er liegt auch in der Tatsache, dass er Türen öffnet. Erfahrungsgemäß sind die Auftragsbücher der ausgezeichneten Komponisten spätestens vom Stichtag der Verleihung an gut gefüllt. Dennoch hat das Kuratorium des Preises noch einen Mangel entdeckt: Es existieren zu wenig qualitativ hochwertige Aufnahmen ihrer Komponisten-Förderpreisträger. Eine neue CD-Reihe der Siemens-Musikstiftung und des Labels Col legno schafft nun Abhilfe.
Die Porträt-CDs der Preisträger 2011 und 2012 – Steven Daverson, Hèctor Parra, Hans Thomalla, Luke Bedford, Zeynep Gedizlioglu und Ulrich Alexander Kreppein wurden im Juni auf der Preisverleihung im Münchner Cuvilliés-Theater vorgestellt. Die EVS-Stiftung will mit der Serie zeigen, was ihr ihre Preisträger wert sind: exzellente Aufnahmen, ausgewählte Solisten und Spezialensembles von Ensemble Modern bis Ensemble Recherche. Auch Gestaltung und Haptik der Alben strahlen Wertigkeit aus und alle Beihefte enthalten Informationen auf Deutsch und Englisch – jede CD-Box stellt ein repräsentatives Medium dar.
Für den Klang des Kammerorchesters geschrieben strahlen die Kompositionen des 1978 geborenen Briten Luke Bedford gebrochene spätromantische Expressivität und impressionistische Farbigkeit aus. Schön zu hören, wie unterschiedlich Scottish Ensemble, London Sinfonietta und Ensemble Modern ans Werk gehen.
Ebenfalls aus England stammt Steven Daverson, 1985 in Northampton geboren. Seine Musik ist abstrakter, flüchtiger als die seines Landsmannes Bedford und fordert vom Instrumentalisten auch hin und wieder neue Spieltechniken. Doch auch Daversons Musik ist bei aller Komplexität von Klangsinnlichkeit geprägt.
Kompromisslos ist der kompositorische Zugriff der 1977 im türkischen Izmir geborenen Zeynep Gedizlioglu. Ihre Siemens-CD versammelt Heterogenes: Nur „Kesik – Schnitt“ ist für das typische Neue-Musik-Ensemble (Ensemble Modern in diesem Fall) – daneben erklingen „Klavier solo“, „Blockflöte, Violine und Cembalo“, „Klarinette und Cello“ oder auch das Arditti Quartett mit „Susmam – Schweige nicht, in Memoriam Hrant Dink“, dem von religiösen Eiferern getöteten armenischen Journalisten. Hèctor Parra, Schüler von Ferneyhough, Harvey und Jarrell, wurde 1976 in Barcelona geboren und war fraglos auch schon vor dem Siemens Förderpreis gut im Geschäft. Seine Werke werden von beinahe allen bedeutenden Ensembles für Neue Musik sowie internationalen Klangkörpern wie Tokyo Philharmonic Orchestra, dem Barcelona National Orchestra und dem Philharmonischen Orchester Lüttich aufgeführt. Dabei bedient Parra nicht ausschließlich den traditionellen Orchesterapparat, sondern gilt auch als Spezialist für elektroakustische Musik.
Am ambitioniertesten ist das Zwei-CD-Projekt mit Hans Thomallas Musiktheater „Fremd“: Das Auftragswerk der Staatsoper Stuttgart wurde 2011 dort in hochwertiger SACD-Raumklangtechnik aufgenommen (und ist aber auch für alle normalen CD-Spieler lesbar).
Als Speichermedium ist die Compact Disc derart erfolgreich, dass sie sich mehr oder weniger selbst wegdigitalisiert hat. Als sorgfältig ediertes Dokumentationsmedium und Sammlerstück wie bei der neuen EvS-Edition wird sie auch zukünftig eine Rolle im Musikleben spielen.