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Tenortitanen der 60er- und 70er-Jahre live

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus Woelfle
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Stehen zwei Tenoristen auf der Bühne, wird diese leicht zur Arena und die musikalische Auseinandersetzung ein Zweikampf. Von „tenor battle“ spricht man da, einer Art modernen Gladiatorenkampfs zur Befriedigung martialischer Gelüste kunstsinniger Leute. Es gab aber schon immer Ausnahmen von der Regel, Musiker, die miteinander, nicht für das Publikum gegeneinander spielten.

Besonders das Gespann Eddie „Lockjaw“ Davis und Johnny Griffin wirkte da in den Jahren 1960 bis 1962 wegweisend. Damals äußerte Lockjaw: „It’s not really a battle at all. What we are doing is presenting, side by side, two different styles of playing tenor – a contrast, not a contest.“ In der Tat ein ungleicheres Paar ließe sich kaum denken. Auf der einen Seite Johnny Griffin, Jazzfreunden auch bekannt als „Volcano“ und schnellster Saxophonist der Welt“, ein sprudelnder, vor Lebensfreude überschäumender Solist von großer Gestaltungskraft und präzisester Artikulation. Auf der anderen Seite sein Sparrings-Partner Eddie „Lockjaw“ Davis, der Herkules mit unter den volltönenden Tenortitanen, der mit dem vielleicht machtvollsten Sound der Saxophongeschichte eigenwillige Einfälle wie Felsbrocken herausschleuderte. In unterschiedlicher Richtung entwickelte Kraftpakete also, doch beide hochsensible, immer wieder aufs Neue überraschende Improvisatoren. Selten hatten sie Reunions, eine wird dem Vergessen entrissen durch „At Onkel Pö’s Carnegie Hall. Hamburg 1975“, eine Doppel-CD aus sieben Stücken himmlischer Länge, mit einer Gruppe aus einer einmaligen, nämlich meines Wissens in dieser Konstellation sonst nie dokumentierten Rhythmusgruppe Tete Montoliu (p), Nils-Henning Ørsted-Pedersen (b) und Art Taylor (d). In Aufmachung und im Text wird Griffin hervorgehoben, doch beide Dioskuren waren einander absolut ebenbürtig. (NDR/Jazzline)

Was man wohl in Kopenhagens legendärem Jazzclub „Montmartre“ dachte, wo man an Dexter Gordon und Ben Webster gewöhnt war, als 1964 der Freejazzer Albert Ayler in Erscheinung trat, noch kaum bekannt, obgleich sein langsamer Aufstieg zwei Jahre zuvor in Skandinavien begonnen hatte? Seine Musik klang ja wie nichts zuvor Dagewesenes. Das beginnt schon bei seinem Sound, der vom denkbar weitesten Vibrato in der Tiefe zum schrillsten Quietschen in den Höhen reichte. Nach Themen, die bisweilen etwas Kürzelhaftes oder gar noch etwas Kinderliedartiges haben, stürzt er sich mit anfallartiger Wucht in ekstatische Improvisationen, blökt, kreischt, wimmert, betet durch sein Saxophon. Wer sich dafür öffnet, fühlt sich nach dieser Katharsis des spirituellen Suchers in der Tat dem Himmel ein Stück näher. Angeblich flogen aber auf dieser Tournee auch Flaschen auf die Bühne. Auf der standen für „Copenhagen Live 1964“ kongeniale Partner: Don Cherry (cnt), Gary Peacock (b), Sunny Murray (d). Vorsicht, wer „The Copenhagen Tapes“ besitzt, hat das Album schon unter anderem Namen, während das ebenfalls in Kopenhagen, in gleicher Besetzung entstandene „Vibrations“ nicht identisch ist. (Hatology)

Wer es bodenständiger mag, greife getrost zu dem im gleichen Jahr aufgenommenen „Modes and Blues – Live at Ronnie Scott’s, 8th Februray 1964“, eine würdige Ergänzung der schmalen Diskographie des ebenfalls früh verstorbenen Tubby Hayes. Der englische Hardbop-Tenorist hatte etwas vom natürlichen Swing-Feeling eines Zoot Sims, hatte aber zu diesem Zeitpunkt vor allem hörbar Coltrane rezipiert. Das Album besteht aus einem Stück, das man in einer kürzeren, schlechter aufgenommenen Version aus dem Album „A Tribute. Tubbs“ kennt: 33 Minuten, wie der Titel andeutet, modale Improvisation à la „Impressions“. Hayes improvisiert hinreißend in der Kontinuität und Konsistenz der Erfindung im Quintett mit Jimmy Deuchar (tp), Terry Shannon (p), Freddy Logan (b) und Allan Ganley (d). (Gearbox).

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