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Ioan Holender verabschiedet sich in Wien und schreibt „Ich bin noch nicht fertig“
Ioan Holender verabschiedet sich in Wien und schreibt „Ich bin noch nicht fertig“
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Erinnerungen oder Drohung? Ioan Holender verabschiedet sich in Wien und schreibt „Ich bin noch nicht fertig“

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Die Staatsoper Wien ist eine Institution. Beinahe ein Staat im Staate. Vielleicht die Gute Stube der Alpenrepublik? Deren Gerüchteküche allemal. Wer es dort länger als eine Spielzeit aushält, muss gewisse Qualitäten haben – was ja nicht zwingend ein Makel ist. Der gebürtige Rumäne Ioan Holender jedoch hat es ganze 19 Jahre geschafft. Rekord! Länger als viele Politiker im Intrigantenstadl an der Donau.

Wem die Gründe für diese Tatsache ein gewaltiges Rätsel waren, dem hat der nun 75-jährige Ex-Operndirektor zum Abschied ein Buch voller Erinnerungen verfasst. Oder soll es doch eine Drohung sein? Denn auf dem Titel prangt, frei nach Straussens „Capriccio“, „Ich bin noch nicht fertig“ neben dem Konterfei des Wieners aus Timisoara.

Sänger wollte er werden. Mit Sängerinnen und Sängern hat er sein Leben verbracht. Ioan Holender, Sohn eines Marmeladenfabrikanten aus dem rumänischen Timisoara,  er wäre vermutlich ein guter Stimmkünstler geworden; statt dessen hat er mit ihnen gehandelt. Nach dem Weggang des geschassten Maschinenbau-Studenten aus der vermeintlichen Volksrepublik baute der Autokrat rasch eine der wichtigsten Agenturen aus und vernetzte sich mit den Opernhäusern der Welt. Dass er gemeinsam mit Eberhard Waechter einmal der Wiener Staatsoper und der Wiener Volksoper vorstehen sollte, war ihm weder an der Wiege gesungen noch wird er es selber für möglich gehalten haben. Als es aber soweit war, dass ihm derartige Posten angetragen wurden, wusste er sie sogleich bestens auszufüllen; erst in Personalunion, nach dem plötzlichen Tod Waechters als Personalpatron.

In seinem Buch, dessen Titel den Theaterdirektor La Roche zitiert, lässt Ioan Holender chronologisch die Stationen seines Lebens Revue passieren. Dass er es dabei an zahllosen Eitelkeiten nicht fehlen lassen wird, war zu erwarten. Er wäscht auch keine Schmutzwäsche, begleicht aber manch offene Rechnungen. Insofern, genremäßig völlig neu, ist ihm eine originäre Gattung gelungen: „Ich bin noch nicht fertig“ erweist sich als ein echtes „Wiener Buch“. Holender macht sich also nicht zum Wadenbeißer – ihm genügt es, wenn er andere Leute Wadenbeißerei benennt. Wo er austeilen will, gegenüber Editha Gruberová etwa, wider Luc Bondy und Stéphane Lissner, da teilt er aus. Enthüllungen sind seine Sache nicht, da pflegt er lieber eigene Eitelkeit.

Die aber steht zumeist im Dienst der Oper. Und in diesem Zusammenhang echauffiert er sich, wenn der öffentlich-rechtliche ORF die Aufzeichnungen und Übertragungen von Opernmitschnitten auf ein Mindestmaß herabführt. Er legt sich an mit Versagern und Politikern, freilich nicht ohne mit Stolz auf die eine oder andere namhaft besetzte Tennispartie zu verweisen.

Am liebsten berichtet Ioan Holender, der sich im Pensionistendasein keineswegs langweilen wird, sondern eine eigene Fernsehsendung moderieren darf (beim Privatsender ATV, man staune!), von den eigenen Verdiensten. Schließlich hat niemand eine so lange Amtszeit auf dem Sessel des Wiener Staatsoperndirektors ausgehalten wie er, 19 Jahre! Niemand hat so viele Sängerinnen und Sänger, Regisseure und Dirigenten entdeckt wie er. Niemand sonst hat zweimal in seiner Amtszeit Wagners „Ring“ herausgebracht, niemand vor ihm in Wien hat die Kinderoper im Zelt (nach dem Vorbild von Köln und gegen zahllose Widerstände) etabliert, nicht mal die Duschen in den Künstler-Garderoben und den gesonderten Damen-Trakt hat jemand anders initiiert. Und wer hat wohl das erste Operngastspiel nach China auf den Weg gebracht? Sowieso ist niemand sonst in aller Welt so sehr als Berater und Stimmexperte gefragt. Holenders Funktion im Berliner Opernstreit ist allerdings tüchtig verknappt und einseitig dargestellt. Andere Beteiligte würden da zu anderer Sicht kommen.

Nun ist Ioan Holender natürlich nicht als Diplomat angetreten, sonst hätte er sich wahrlich nicht so lang im Chefsessel eines der bedeutendsten Irrenhäuser Österreichs halten können. Eigener Einschätzung zufolge gab ihm stets der Erfolg im Nachhinein Recht, wieder und wieder und wieder. Sehr deutlich wird er immerhin im Zusammenhang mit der nazistischen Vergangenheit, die auch vor den Kunsttempeln am Wiener Ring nicht halt machte. Da zitiert sich der Herr Direktor auch mal selbst, und zwar völlig zu Recht.

Diesen Biss, diese auch sprachliche Schärfe vermisst man, wenn er Eindrücke diverser Inszenierungen, Dirigate und Gesangsleistungen allzu pauschal abspult. Frappierend, dass ein Holender ausgerechnet dort mit Plattitüden aufwartet, wo man ihn in seinem ureigensten Metier vermutet hätte. Was er da über Stimmen schreibt, das würde nicht mal in Rezensionen von Lokalfeuilletons durchgehen. Statt dessen taugen seine historischen Betrachtungen zu den europäischen Ent- und Verwicklungen des vorigen Jahrhunderts durchaus zum spannend dargestellten Geschichtsstoff. Nicht zuletzt spricht er nicht nur bei Persönlichkeiten aus Kunst und Politik wertend von Versagen, Überforderungen und Enttäuschungen, sondern gesteht sich auch selbst ein, wo ihm mal – wenn schon kein Fehler, so aber doch – eine Täuschung unterlaufen ist: In der Verhaltenheit des Wiener Publikums.

Wenn das alles ist, sollte Nachfolger Dominique Meyer doch wissen, wo er jetzt gemeinsam mit Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst anzusetzen hat.

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