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Jean-Philippe Rameau, Gemälde (Joseph Aved zugeschr.) um 1728. Foto: Wikimedia Commons
Jean-Philippe Rameau, Gemälde (Joseph Aved zugeschr.) um 1728. Foto: Wikimedia Commons
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Kanonenfeuer zum anstehenden Jubiläum – Zwei Einspielungen feiern Jean-Philippe Rameau

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Was gibt es nicht alles zu feiern in diesem Jahr. Man zelebriert Richard Wagners und Giuseppe Verdis 200. Geburtstag; Benjamin Britten wird – wenn auch im Schatten der beiden Giganten stehend – ebenfalls geehrt. Ob das Jahr 2014 etwas Ruhe bringen wird? In Frankreich wohl nicht, denn dann stehen die Jubiläen dreier Meister der französischen Oper an: Jean-Philippe Rameau, Christoph Willibald Gluck und Giacomo Meyerbeer.

Dem einzigen genuinen Franzosen, dessen Todestag sich 2014 zum 250. Mal jährt, wird jetzt schon gehuldigt: Das französische Label paraty widmet dem Komponisten gleich zwei Einspielungen, beide unter der Leitung des brasilianischen Cembalisten und Dirigenten Bruno Procopio.  Mit Patrick Bismuth (Violine), François Lazarevitch (Flöte) und Emmanuelle Guigues (Viola da Gamba) interpretiert er die fünf „Pièces de clavecin en concerts“ (1741) und Ausschnitte aus der „Suite en la“ aus den „Nouvelles suites de pièces de clavecin“ (1726/1727) für Cembalo solo. Die zweite CD zeigt Bruno Procopio als Dirigenten der Soloists of the Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela. Mit ihnen spielt er ausgewählte Ouvertüren und Ballette aus fünf Opern Rameaus.

Erst also Kammermusik, dann ein „symphonisches“ Programm. Dazwischen liegen klangliche Welten. Obwohl sich doch einige Gemeinsamkeiten finden lassen. Als die „Pièces de clavecin en concerts“ 1741 entstanden, hatte Rameau schon sechs seiner Tragédies lyriques und Opéras-Ballets geschrieben. Das macht sich auch in den „Pièces“ bemerkbar: Hier begegnen wir Arien und Tänzen aus „Castor et Pollux“, später werden Stücke aus den „Pièces“ in den Opern „Zoroastre“ oder „Dardanus“ wiederverwertet.

Ansonsten sind die „Pièces“ mit ihren fünf Konzerten einzigartig, nicht nur im Schaffen Rameaus, sondern auch in der Geschichte der Kammermusik. Drei Instrumente sind hier vorgesehen, neben dem obligaten Cembalo steht es den Interpreten frei, für welche Kombination aus Flöte, Violine und Viola da Gamba sie sich entscheiden. Im Gegensatz zur italienischen Triosonate aber hat das Cembalo hier nie nur begleitende Funktion; Rameau fordert gar in seinem Vorwort zur Notenausgabe, Streicher und Flöte sollten sich nach dem Spiel des Cembalos richten um es ja nicht zu übertönen.

Das ist eine Vorgabe, die das Ensemble um Procopio nicht immer erfüllt. Ihr Spiel wirkt zeitweise wie der Machtkampf zwischen Cembalo und Violine. Nur wenn die Flöte, von François Lazarevitch wunderbar weich gespielt, hinzukommt, rundet sich der Gesamtklang ab und es entsteht der milde Ton, den Rameau in seinem Vorwort so vehement gefordert hat. Wunderschön aber ist der Abwechslungsreichtum, den das Ensemble zu bieten hat. Das beginnt bei der wechselnden Besetzung zwischen Flöte und Violine, wie in dem Satz „La Livri“ des ersten Konzertes. Auch die Charakterwechsel zwischen und innerhalb der einzelnen Sätze sind erfrischend. Rhythmisch präzise und fein verziert ohne dabei den tänzerischen Schwung zu stören, bietet das Ensemble ein amüsantes Hörvergnügen. Als Einschub zwischen den Konzerten erlaubt sich Procopio einige Sätze der „Suite en la“ für Cembalo solo. Überraschend forsch nimmt er die „Courante“, wunderbar dominant klingen die vollen Akkorde in „La Triomphante“, die Procopio ausnahmsweise nicht arpeggiert. Nur das ausgeprägt inegale Spiel stört den Fluss der lyrischen Abschnitte in der „Allemande“ und das virtuose „Les trois mains“ gerät etwas brav. Dennoch, die Klangvielfalt der CD ist erstaunlich und macht sie zu einem würdigen Anfang des Rameau-Jubiläums.

Anders als die Cembalowerke gerieten Rameaus Opern nach seinem Tod in Vergessenheit. Erst im 20. Jahrhundert tauchten sie in Frankreich aus der Versenkung auf, in deutschen Landen aber wartet man immer noch auf die Rameau-Renaissance. Umso erfreulicher ist es deshalb, dass Rameaus Musik der Sprung über den großen Teich gelungen ist. Für das Simón Bolívar Symphony Orchestra war die französische Barockmusik noch Neuland und etwas befremdlich klingt es auch, wenn da ein Symphonieorchester, sonst eher spezialisiert auf die Werke des 19. Jahrhunderts, das barocke Repertoire interpretiert. Man muss sich erst einmal frei machen von den Erinnerungen an William Christie oder Christophe Rousset, die Rameau-Pioniere dieser Tage, mit ihrem klar geschliffenen und transparenten Klang.

Gerade die Streicher des venezolanischen Orchesters klingen zu Beginn sehr dick und der Nachhall verwischt den eigentlich präzise artikulierten Rhythmus. Auch wirken die ersten Tänze etwas blass und mutlos interpretiert. Doch Orchester und Dirigent steigern sich. Erstaunlich virtuos sind die beiden Tambourins aus der Oper „Dardanus“, das Orchester zeigt gerade in den schnellen Passagen ein unglaublich genaues Zusammenspiel. Nach der Ouvertüre zu „Castor und Pollux“ ist dann mit der Behäbigkeit endgültig Schluss. In der Folge zeigen sich wunderschöne Bläser-Soli von Oboe und Fagott. Die Tanzsätze kommen herrlich beschwingt, aber rhythmisch klar daher. Dennoch, auch hier hätte man sich eine etwas luftigere Interpretation mit mehr dynamischen Abstufungen gewünscht.

Und dann kommt die Ouvertüre zu „Acanthe et Céphise ou La Sympathie“. Eine Kuriosität ist das, mit Sturmglocken, Kanonenfeuer und orchestralen Freudenschreien. Die Pastorale wurde anlässlich der Geburt des Herzogs von Burgund aufgeführt und Rameau scheint die realen Feierlichkeiten darin eingefangen zu haben. So seltsam das Stück, es lädt Orchester und Dirigent hörbar zum Experimentieren ein. Voller Spielfreude werden sämtliche Skurrilitäten ausgekostet. Mit einem versierten Dirigenten und einem Orchester, das gerne neue Klangwelten erkundet, kann also auch von einem 330-Jährigen noch viel Neues erwartet werden.

 

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