„Für die nächsten 20 bis 30 Jahre sind Revivals ausschließlich auf Epochen und Etappen des letzten Jahrtausends beschränkt.“ Ein gewagter Satz des Elektronikmusikers Uwe Schmidt (alias Atom Heart alias Senor Coconut), Empfehlung und Prognose zugleich. Der Begriff „retro“ ist aus der Popkultur der Jahrhundertwende nicht mehr wegzudiskutieren, und was Musiker wie Schmidt angeht, sozialisiert zwischen elektronischem Frickelstudio im Wohnzimmer und kommunikativem Szene-Club, so raunt vor allem ein bestimmter altvertrauter Begriff seit einigen Monaten verstärkt durch die unterschiedlichsten Popäußerungen: „Neue Deutsche Welle“. Oder, internationaler: „New Wave“. Das Raunen konkretisierte sich vor ein paar Wochen in den Club- und sogar in den Singlecharts als ein Hit durch die Hintertür: „Kaltes Klares Wasser“ (siehe Hits & Clips, nmz 4/01
Berlin, natürlich. Bis zur Bewusstlosigkeit wird dort gerade die eigene Kreativität gefeiert. Kein Wunder, dass Erinnerungen an eine Zeit vor zwanzig Jahren grassieren. Ende 1981 entstand „Kaltes Klares Wasser“ als ein Undergroundhit des Frauenquintetts „Malaria!“ rund um Bettina Köster und Gudrun Gut. Eine Hymne zwischen den „Einstürzenden Neubauten“, dem „Festival Genialer Dilettanten“ und dem „Club SO 36“. Erste internationale Erfolge, nach zwei Jahren Bandauflösung wegen Kommerzialisierung der Szene – das waren noch Zeiten.
Für die nächsten 20 bis 30 Jahre sind Revivals ausschließlich auf Epochen und Etappen des letzten Jahrtausends beschränkt.“ Ein gewagter Satz des Elektronikmusikers Uwe Schmidt (alias Atom Heart alias Senor Coconut), Empfehlung und Prognose zugleich. Der Begriff „retro“ ist aus der Popkultur der Jahrhundertwende nicht mehr wegzudiskutieren, und was Musiker wie Schmidt angeht, sozialisiert zwischen elektronischem Frickelstudio im Wohnzimmer und kommunikativem Szene-Club, so raunt vor allem ein bestimmter altvertrauter Begriff seit einigen Monaten verstärkt durch die unterschiedlichsten Popäußerungen: „Neue Deutsche Welle“. Oder, internationaler: „New Wave“. Das Raunen konkretisierte sich vor ein paar Wochen in den Club- und sogar in den Singlecharts als ein Hit durch die Hintertür: „Kaltes Klares Wasser“ (siehe Hits & Clips, nmz 4/01). Berlin, natürlich. Bis zur Bewusstlosigkeit wird dort gerade die eigene Kreativität gefeiert. Kein Wunder, dass Erinnerungen an eine Zeit vor zwanzig Jahren grassieren. Ende 1981 entstand „Kaltes Klares Wasser“ als ein Undergroundhit des Frauenquintetts „Malaria!“ rund um Bettina Köster und Gudrun Gut. Eine Hymne zwischen den „Einstürzenden Neubauten“, dem „Festival Genialer Dilettanten“ und dem „Club SO 36“. Erste internationale Erfolge, nach zwei Jahren Bandauflösung wegen Kommerzialisierung der Szene – das waren noch Zeiten. 1999: Gudrun Gut betreibt in Berlin das Label „Monika“ und veröffentlicht von dem damals Münchner, mittlerweile ebenfalls Berliner Trio „Chicks On Speed“ einen Remix von „Kaltes Klares Wasser“. „Chicks On Speed“ sind drei Fauen mit überkandidelter Anarcho-&Spaß-Attitüde, die sich mit Hilfe diverser Clubproduzenten schon zuvor durch einige Frauenbands und Frauenstimmen des New Wave gecovert hatten: „Delta 5“, „The Normal“ und „B 52‘s“, denen sie als „Chix 52“ kürzlich eine aufgekratzte Coverversionen-EP widmeten. „Malaria!“ passt in diese Reihe, darin sind sich alle einig.2001: Die neue Version hat sich durch die Clubs geschlängelt, bis auf Platz eins der Deutschen Dance Charts, das Video bis in die Rotationen. Und Gudrun Gut hat weitere Sy-nergien freigesetzt. Andere VIPs aus der Clubszene wie Jörg Burger (Modernist), Wolfgang Vogt (Wassermann) oder DJ Koze bearbeiteten den Track ebenfalls, und Gut hat ein komplettes Album mit weiteren Remixen von weiteren frühen „Malaria!“-Stü-cken organisiert: „Malaria! versus“. Auch Uwe Schmidt ist dabei, der eingangs zitierte Satz ist sein Beitrag zum Booklet. Er präsentiert als AtomTM das Lied „Leidenschaft“ von der „Malaria!“-LP „Emotion“ (1982) in einem bestechend eleganten Click-Groove für die Tanzflächen des Hier und Jetzt. Und es ist auffällig: Wie schon bei „Kaltes Klares Wasser“ schmiegen sich die aktuellen Sounds liebevoll an den musikalischen Gestus von vor zwanzig Jahren an. Das damals von Bettina Köster knapp und stoisch dahingeflüsterte Wort „Leidenschaft“, eingebettet in den neuen trockenen künstlichen Bassdrum-Pluck und die punktuell arrangierten Zischelspritzer – der Klang der Neuen Deutschen Welle scheint nicht nur wieder up to date, sondern wird in seinen spezifischen Eigenschaften als innovativ empfunden.
Eine Eigenschaft stellen beispielsweise jene typischen dünn-fiepsigen Chip-Sounds dar. Es ist kein Zufall, dass 1982 mit dem Commodore C 64 der erste populäre Heimcomputer vorgestellt wurde, dessen Spiele und Sounds in den 80ern die Klangwelten unzähliger Computerkids und späteren Elektronikmusikern geprägt haben. Und es ist kein Zufall, dass nun, im Frühjahr 2001, mit „Input64“ eine seufzend geliebte Zusammenstellung mit den Musikstücken veröffentlicht worden ist, die damals für die C-64-Computerspiele kreiiert wurden.
Solche bewussten Retro-Reflexionen berühren natürlich nicht den Mainstream der „NDW Greatest Hits“-Zusammenstellungen, sind aber an allen Ecken und Enden zu finden. So nähert sich der Münchner DJ Hell mit seltsam elektronisch-avantgardistischen Remixen den damaligen Hits „What Use?“ und „No Tears“ seiner San Franciscoer New Wave-Helden „Tuxedomoon“ und tourte sogar mit ihnen. Und Patrick Wagner von der Berliner Band „Surrogat“, deren energiegeladenes letztjähriges Album „Rock“ so ziemlich jeden altersmäßig kompatiblen Hörer an die NDW-Band „Fehlfarben“ erinnert, hat mal gesagt, dass er sich mit elf Jahren aus der NDW „ganz intuitiv“ jene Fehlfarben und Ideale herausgepickt habe: „Da war etwas total Subversives drin.“
Die Freunde von „Jeans Team“ wiederum glänzen mit ihrem Debütalbum „Ding Dong“ und der Single „Keine Melodien“ durch klare Verweise auf „Trio“ und „D.A.F.“ – und legen zudem live ein glitzerndes NDW-Konzept vor, das sogar diese debil-zackige Art der New Wave-Tänze adaptiert. Dabei betont das Quartett in Interviews, dass sie – jung, wie sie sind – NDW-Musik und ihre ästhetischen Reize eigentlich durch Rückschritte von Techno aus entdeckt haben.
Die stoisch-verhackten trockenen Sounds, die wie bei „D.A.F.“ auch mal die Grenze des Martialischen abschritten („Tanz den Mussolini“), und der trotzig-distanzierte Tonfall, in dem kurze Sätze, Phrasen und Stichwörter gebellt wurden, vermittelten inklusive aller unterschwelliger ironischer Beigaben die Kraft eines selbstbewussten Untergrunds. Und gleichzeitig ist dieser Umgang mit den Lyrics, dem heutigen Stilmittel, Sprache und Gesang als Samples in der Musik zu rhythmisieren, ähnlich.
Die beharrlichen repetitiven Beats des New Wave sind natürlich unmittelbar dazu geeignet, die allgegenwärtige Orientierung der Popkultur auf die Dancefloors mit weiteren Variationen voranzutreiben. So ist die aktuelle Clubszene mit ihrer Verpflichtung zur permanenten Suche nach neuem Input, neuen Ideen und Sounds nun eben ganz stilbewusst an den Wurzeln eines weiteren einstigen Trends gelandet – eine Retro-Bewegung als schlüssige Mischung aus Pflege des Underground-Bewusstseins und musik-immanenter Notwendigkeit. Als Prinzip hatte das ja auch schon beim Thema „Disco“ funktioniert. Womit wir wieder bei „Kaltes Klares Wasser“ wären.
„Wir hätten nie gedacht, dass ‚Kaltes Klares Wasser‘ so ein Clubhit wird“, sagt Gudrun Gut. Und die „Chicks On Speed“ treten mit der Nummer bei „Top of the Pops“ auf. Vorbei die Zeiten, als „Ideal“ noch schwer überlegen mussten, ob sie Dieter Thomas Hecks zähneknirschende Einladung annehmen sollten, „Blaue Augen“ in der ZDF-Hitparade vorzutragen. Mit solchen Dilemmata hat das „Malaria!“-Projekt nicht zu kämpfen. Für „Malaria! versus“ hat der DJ und Love Parade-Geschäftsmann Dr. Motte genauso zugearbeitet wie der Elektronik-Produzent Thomas Fehlmann, der zum einen früher bei der NDW-Band „Palais Schaumburg“ spielte und zum anderen nun mit Gut seit geraumer Zeit die renommierte Berliner Radio Eins Sendung „Ocean Club“ führt.
Irgendwie bleibt also alles in der Familie, die Familie hat einen guten Ruf, und Platz eins der Deutschen Dance Charts adelt diesen Ruf. Das gesamte Paket ist ein Verkaufsargument: „Malaria! versus“ wird als Zusammenarbeit mit einem Spezial-Club-Label über eine richtig große Major-Firma vertrieben. Und die wiederum ist mit Sicherheit längst dabei, in den eigenen Archiven nach alten NDW- und New Wave-Acts zu kramen. Sie wird, wie andere auch, bestimmt fündig. Uwe Schmidt hat schon recht. Für die Revivals der nächsten 20 bis 30 Jahre bieten die Epochen und Etappen des letzten Jahrtausends allemal genügend Material.
Diskografie
- Diverse: Malaria! versus, Monika/superstar recordings/Universal
- Chicks On Speed: Chix 52, CoS Records/EFA
- Diverse: Input64, Enduro/L’Age D’Or/Zomba
- DJ Hell vs. Tuxedomoon: Remixe, Gigolo Records/EFA
- Surrogat: Rock, Kitty-Yo/EFA
- Jeans Team: Ding Dong, Kitty-Yo/EFA