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Skulpturale Fantasien und eine Pompösität

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Neue Partituren, vorgestellt von Max Nyffeler
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„Two Thoughts about the Piano“ lautet der bescheiden klingende Obertitel der beiden Klavierstücke „Intermittences“ und „Caténaires“ von Elliott Carter von 2005/06. Sie haben es in sich, besonders das zweite, Pierre-Laurent Aimard gewidmete: Ein höllisch schwerer Parcours über die ganze Breite der Tastatur in der Art eines Perpetuum mobile von pausenlos durchlaufenden Sechzehnteln, bei dem sich nichts wiederholt. Das erste Stück ist in der für Carter charakteristischen komplexen Machart geschrieben, wobei den Pausen, deren Charakter auf die Musik rückwirkt, eine dramaturgische Funktion zukommt. (Boosey&Hawkes, ISMN 979-0-051-10554-0)

Eine reizvolle Idee liegt dem Klavierzyklus „Skulpturen“ von Michael Denhoff zugrunde. Die fünf Stücke sind das Resultat eines Zwiegesprächs ohne Worte mit dem Bildhauer Wolfgang Ueberhorst, bei dem jeder Partner mit den ihm eigenen künstlerischen Mitteln auf den jeweiligen Beitrag des anderen antwortete. Der Komponist ließ sich zu höchst fantasievollen Klaviersätzen inspirieren; sie besitzen, was nicht erstaunt, einen ausgeprägt räumlich-konstruktiven Charakter. Der ansprechend edierte Notendruck enthält neben den Abbildungen der bildnerischen Objekte auch anregende Reflexionen der beiden „Gesprächspartner“ über das Verhältnis von Musik und Bildender Kunst. (Edition Gravis, EG 1800; eine CD-Aufnahme ist bei Telos, TLS 088, erschienen)

Die Tonbuchstaben d–a–e–s–c–h aus dem Namen des Widmungsträgers bilden das Kernmaterial der Klavieretüde „Initialen“ von Werner Heider. Das rund neunminütige Stück besteht aus stark kontrastierenden Sektionen, die sich in ihrer pianistischen Gestik klar unterscheiden und in technischer Ausführung und musikalischer Gestaltung gleichermaßen anspruchsvoll sind. (Edition Gamma EGA 171)

Das Klavierkonzert „Yellow River“ ist wohl der nationalistische Vorzeigeschinken par excellence, was die offizielle Musik der Volksrepublik China angeht. Es basiert auf einer patriotischen Kantate des 1945 in Moskau gestorbenen Komponisten Xian Xinghai, wurde während des mörderischen Jahrzehnts der „Viererbande“ durch ein Komponistenkollektiv zum Konzert umgearbeitet und 1970 in Peking uraufgeführt. Pompöser Neo-Tschaikowsky verbindet sich mit Pentatonik und mündet in die Apotheose der kommunistischen Hymne „Der Osten ist rot“. Über die Gründe, warum es jetzt den Katalog des Schott-Verlags ziert, darf spekuliert werden: Vielleicht, weil es der Götterliebling Lang Lang im Repertoire hat, oder als freundliche Geste gegenüber den Kontrolleuren eines lukrativen Musikmarkts? (Klavierauszug, Schott ED 20438)

Eine freie, toccatenähnliche Form hat das Orgelstück „Sacrificium“ des 1949 geborenen englischen Komponisten John Casken. Reich an Zäsuren und Veränderungen der Tempi und musikalischen Charaktere, ist es als eine dramatische Erzählung gedacht. Ausgangspunkt ist eine englische frühchristliche Legende, bei der es um einen lebensrettenden Kleidertausch geht. Das Spiel mit den Identitäten drückt sich musikalisch in schnell wechselnden Registerfarben über repetierten Akkorden aus. Ein konzertantes Werk mit sakralem Hintergrund, das spielerische Brillanz mit einer lebhaften musikalischen Gestik zu kombinieren weiß. (Schott ED 13260)

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