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Unmittelbar berührend

Untertitel
Ein Stück zeitgenössischer Kammermusik für Klarinette, Akkordeon und Violoncello
Publikationsdatum
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Uroš Rojko (geb. 1954): Stone Wind III für Klarinette (in B, Es, Bassklarinette), Akkordeon und Violoncello, Verlag Neue Musik

Ärgerlich, wenn ein Verlag die Kenntnis von musikalischen Sonderzeichen in einer Notenausgabe als selbstverständlich voraussetzt und weder Komponistendaten – auch wenn MGG-präsent – noch kurze Anmerkungen zu einem neuen modernen Stück zulässt. Das Fehlen jeglicher einführender beziehungsweise erklärender Worte wirkt auf ein hochanspruchsvolles Werk hin nicht nur kalt, sondern lässt den sogenannten Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt vor dem Angang eines solchen Projektes eher zum „Lieber-die-Finger-weg“ pendeln und schränkt den Kreis interessierter Interpreten bis auf eine kleine Akkordeon-Insiderclique hin ein – eine elitäre Haltung, zumal Cellisten/
-innen oder Klarinettisten/-innen Kammermusikkenntnisse bei Akkordeonbesetzungen eher in selteneren Fällen geläufig sein dürften.

Dabei ist „Stone Wind III“ schon wegen seines rhythmisch-metrischen Vorleuchtens ein körperlich anmachendes, damit unmittelbar berührendes Werk. Der Slowene Uroš Rojko nützt und verarbeitet vom Anfang des Stückes metrische Ur-Instinkte weiter östlicher, etwa serbisch-bulgarischer Regionen mit zum Beispiel direkten Taktwechseln aus 17/16, 18/16, 13/16, 7/16, 19/16 und so weiter. Fast wie ein Leitmotiv über den ersten Teil, wiederum ansatzweise im übernächsten Tranquillo-Segment des etwa zehnminütigen einsätzigen Stückes, führt zunächst eine punktierte Achtel- wie Achtelfolge aus großen Intervallsprüngen, bevorzugt große Septimen und kleine Nonen, in die dann simultan wie sukzessiv variantenreich viertelunterteilte und akzentreiche Klanglandschaft. Klarinette und Akkordeon korrespondieren, Cello kontrastiert oder leitet zu homophoner Fastvereinigung aus phasenverschiebenden Zeitminimalismen – wirkungsvoll, und hinsichtlich rhythmischer Abstimmung entsprechend schwer zu spielen. (Fast sehnte man sich einen Dirigenten à la Jean Baptiste Lully zur Probenarbeit herbei.) Wenn man ost-südosteuropäische National-Eigenheiten weiter heranziehen möchte, so trifft man über das ganze Werk auf Unisono-Vereinigungsstellen in signalgebender oder kulminierend-finaler Rolle, oft mit kleinen Varianten im jeweiligen Partnerinstrument. Eine „Kultur“ subtiler Sekundreihungen und subito-Lautstärkekontrasten kennzeichnet den vierten Abschnitt, der in ein Synkopenakzentspiel zwischen den beteiligten Instrumenten übergeht. Ein rhyhmisch komplex zerschnittener quasi Orgelpunkt auf tiefem d der Bassklarinette, des Cellos und dem M3 des Akkordeons unter geterzt-gesexter Akkordeon-M1-Stimme bildet den Vorlauf zu einem meditativen Schlussteil leisester Lautstärke (pppp) mit dem besonderen „Abgang“, der das tatsächliche „vorsichtige“ Nacheinanderverlassen der Bühne durch Akkordeon und Klarinette (hinter die Bühne durch verschiedene Ausgänge) bei Weiterspielen und Zurücklassen des/der Cellisten/-in als Fadingprozess beinhaltet.
Der Wechsel zwischen den Klarinettentypen bringt zusätzlich Farbe in den Besetzungs-„Dreiklang“. Miniglissando und Flatterzunge der Klarinette, Pizzicato, Tremolando, sul ponticello, sul tasto, Miniintervalle und „Zeitlupen“-Glissando (über 18 Takte MM 84) im Violoncello sowie Tastenhubglissando und Tremolando auf dem Akkordeon zeugen von der Farbausdrucksbegierde des Komponisten. „Molto animato e deciso“ (MM Viertel = 100), „Rúvido e giocoso“, „Tranquillo, quasi lontano“, „Lúcido e sempre molto ritmico“ und „Tempo sostenuto in modo meditativo“ zeichnen die extremen Temperamente des Werks. Große Anforderungen an die Bewältigung der einzelnen Stimme wie an das zeitgerechte Miteinander samt schnellem Klarinettenwechsel einstellen lohnt ein in modernem Genre musikantisches Werk. Klarinettisten und Cellisten sollten dieses in ihr kammermusikalisches Standardwissen und -tun integrieren.

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