Jedes Jahr befragt das Theatermagazin «Die Deutsche Bühne» ihre Autoren zu ihren stärksten Eindrücken. Für die Spielzeit 2023/24 gibt es einen eindeutigen Gewinner.
Berlin/Hamburg - Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg unter der Leitung von Karin Beier ist für Theaterkritiker der klare Gewinner der Spielzeit 2023/24. Mit Blick auf die «beste Gesamtleistung eines großen Hauses» habe es mit acht Stimmen gesiegt, teilte die Zeitschrift «Die Deutsche Bühne» zu einer Umfrage unter 53 Autoren mit.
Über alle Kategorien hinweg seien 19 Nennungen auf das Deutsche Schauspielhaus Hamburg entfallen. Im Zentrum der Spielzeit stand der fünfteilige Antiken-Zyklus «Anthropolis» von Intendantin Beier. Besonders hervorgehoben wurde Lina Beckmanns «grandioses Solo» im zweiten Teil mit dem Titel «Laios».
Vier Nennungen bei den großen Häusern bekamen jeweils die Oper Frankfurt und das Staatstheater Stuttgart. Bei den kleineren Häusern setzte sich das Theaterhaus Jena durch, das mit seinem Stück «Die Hundekot-Attacke» zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen worden war.
Jedes Jahr befragt das in Köln erscheinende Magazin, das der Deutsche Bühnenverein herausgibt, ihre Kritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu ihren stärksten Eindrücken.
Aus dem Theatermagazin "Die Deutsche Bühne":
4: Besondere künstlerische Leistung im Musiktheater
Nennen Sie hier bitte eine:n Künstler:in oder ein Team, der/die bzw. das mit Darstellung, Inszenierung oder innovativen Ideen die Sparte Musiktheater bereichert hat.
Im Musiktheater äußern sich manche Autor:innen verhalten über die Spielzeit. Besonders auf diese Sparte gemünzt antwortet Christoph Schulte im Walde auf Frage 10: „Im Musiktheater gab es leider kaum Erregungsmomente.“ 41 Produktionen haben es unseren Autor:innen aber doch auf die eine oder andere Art angetan. Mit zwei Nennungen sticht von der Oper Wuppertal der Doppelabend „Erwartung/Der Wald“ heraus. Während Martin Krumbholz die Regie von Manuel Schmitt und die Sängerin Hanna Larissa Naujoks als „berührende Protagonistin“ hervorhebt, hat Clara Hütterott besonders der Chor positiv überrascht. Sie hat hier „zum ersten Mal einen Chor zwar mit einfachen, aber sehr klug gesetzten und gut umgesetzten Bewegungen gesehen“.
Da die Frage von Original und Neuschreibung unsere Autor:innen besonders beschäftigt, hier noch Nennungen zu diesem Themenbereich: Andreas Berger lobt „La Bohème“ am Theater für Niedersachsen in Juana Inés Cano Restrepos Inszenierung, „die das viel interpretierte Stück konsequent aus Sicht einer Sterbenden erzählt (…). Ungewöhnliche Bilder, eine Krankengeschichte wie von heute, feinfühlig erzählt“. Joachim Lange entdeckt an der Oper Frankfurt in Matthew Wilds „Tannhäuser“-Inszenierung eine „stimmige Neudeutung“ auf dem „hausüblich hohen musikalischen Niveau“. Und Melanie Suchy begeistert am selben Haus Nadja Loschkys Regie von „Giulio Cesare in Egitto“: „Ohne banale Aktualisierung, ohne aufgeplusterte Perücken, mit feinem Sinn auch für szenischen Humor.“
5: Besondere künstlerische Leistung im Ballett/Tanz
Nennen Sie hier bitte eine:n Künstler:in oder ein Team, der/die bzw. das mit Darstellung, Choreografe oder innovativen Ideen die Sparte Ballett/Tanz bereichert hat.
Die Nennungen im Tanz sind breit gestreut. Dabei fällt auf, dass immer mehr Autor:inen hier etwas beitragen, der Tanz im Theater inzwischen insgesamt höheren Stellenwert genießt. Drei Häuser stechen in der Vielfalt der 30 genannten unterschiedlichen Produktionen heraus: An den Bühnen Bern macht Jasmin Goll eine „immer sehr starke Tanzcompagnie“ aus. An John Neumeiers Hamburg Ballett führt in den letzten Jahren (oder Jahrzehnten) eh kein Weg vorbei: diesmal unter anderem mit Neumeiers Neueinstudierung seines Balletts „Odyssee“. Vesna Mlakar kommentiert: „Bei seiner Rückkehr auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper aus Anlass von Neumeiers 85. Geburtstag bietet es – ohne irgendeine Patina angesetzt zu haben oder bloß auf archaisches Pathos zu vertrauen – wirklich alles, was ein Meisterstück angesichts zahlreicher Herausforderungen für Solointerpreten und Ensemble ausmacht.“ Hartmut Regitz macht angesichts des Abschieds dieses übermächtigen Choreografen und Compagnieleiters Mut für die Nachfolge, wenn er über Demis Volpis Düsseldorfer Abschiedschoreografie „Surrogate Cities“ schreibt: „Der angehende Ballettintendant des Hamburg Balletts zeigt in Düsseldorf, was er kann: nämlich ein Ensemble bewegen, bildkräftige Geschichten erfinden und Gefühle auf ganz unterschiedliche Weise choreografisch erleben lassen. Und Mut hat er obendrein: die Kraftanstrengung hätte auch im Kollaps enden können.“
Die dritte Compagnie mit zwei Nennungen ist die Gauthier Dance Company am Theaterhaus Stuttgart: Diesmal hat es Petra Mostbacher-Dix besonders Hofesh Shechters dreiteiliger Abend „Anthology“ angetan: „Der israelische Choreograf, seit 2021 ‚Artist in Residence‘, hat einen Abend wie einen einzigen Sog kreiert, der besser die Conditio humana nicht fassen könnte. Wie sagte noch Pina Bausch? ‚Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!‘“ Manfred Jahnke ergänzt zu Gauthier Dance: „Dazu kommt noch das Engagement für junge Menschen in Schulen und Workshops“, womit wir bei der nächsten Kategorie unserer Umfrage wären.