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Lebendigkeit, Tiefe und ökonomische Stabilität

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Herausforderungen für Musikschule und Hochschule · Von Michael Dartsch
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Musikpädagogik als Hochschuldisziplin braucht wie jede Pädagogik den Bezug zur Erziehungspraxis: Sie reflektiert und durchleuchtet diese und zeigt ihre Bedingungskomponenten auf. Pädagogische Praxis aber ist immer gesellschaftlich und kulturell bedingt. So orientiert sich die Musikerziehung daran, Menschen das Hineinwachsen in die Musikkultur zu ermöglichen. Sie ist dabei ebenso vom aktuellen Musikleben geprägt, wie sie ihrerseits auf dieses zurückwirken kann. In der gleichen Wechselwirkung steht die Instrumentalpädagogik an der Hochschule zur Praxis: Sie kann – in ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Disziplin – impulsgebend und erneuernd wirken. Sie bleibt andererseits – in ihrer Legitimation als Berufsqualifikation – an die aktuelle Praxis an Musikschulen und im Privatunterricht rückgebunden.

Musikpädagogik als Hochschuldisziplin braucht wie jede Pädagogik den Bezug zur Erziehungspraxis: Sie reflektiert und durchleuchtet diese und zeigt ihre Bedingungskomponenten auf. Pädagogische Praxis aber ist immer gesellschaftlich und kulturell bedingt. So orientiert sich die Musikerziehung daran, Menschen das Hineinwachsen in die Musikkultur zu ermöglichen. Sie ist dabei ebenso vom aktuellen Musikleben geprägt, wie sie ihrerseits auf dieses zurückwirken kann. In der gleichen Wechselwirkung steht die Instrumentalpädagogik an der Hochschule zur Praxis: Sie kann – in ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Disziplin – impulsgebend und erneuernd wirken. Sie bleibt andererseits – in ihrer Legitimation als Berufsqualifikation – an die aktuelle Praxis an Musikschulen und im Privatunterricht rückgebunden. Die Herausforderungen und Aufgaben der Hochschulen im Bereich der Instrumentalpädagogik und der Elementaren Musikpädagogik sind daher mit den Entwicklungen in der Praxis verbunden. Im Wesentlichen könnte man die Herausforderungen, die sich in der Gegenwart für die Zukunft abzeichnen, unter drei Begriffen subsumieren: Lebendigkeit, Tiefe und ökonomische Stabilität.

Lebendigkeit

Wo Routinen oder institutionalisierte Strukturen nicht mehr hinterfragt werden, droht schnell Erstarrung. Das gilt für Lehrpersonen an Musik- und Hochschulen, die so unterrichten, wie sie dies immer getan haben und wie sie vielleicht schon selbst unterrichtet worden sind. Es gilt in gleicher Weise für Strukturen an Musikschulen sowie Prüfungsordnungen und Fächerkanons an Hochschulen. Immer wieder ist der Verband deutscher Musikschulen dieser Gefahr entgegengetreten, indem er neue Wege beschritten hat, wie dies Modellversuche und Kongressthemen zeigen. Als Stichworte seien der Ausbau der Grundstufe, Versuche zur Integration ausländischer Kinder, Musik mit Behinderten, die Arbeit mit Erwachsenen, die Erweiterung der stilistischen Palette durch Folklore, Jazz und verstärkt auch Pop, das Anbieten von Projekten und Kursen aller Art genannt. Die Verbandspublikation „Neue Wege in der Musikschularbeit“ sammelte 1996 neben inhaltlichen Neuerungen auch institutionsbezogene Ansätze: Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen, Partnerschaften mit Schulen anderer Länder, alternative Modelle hinsichtlich der Gebühren, der Honorierung von Lehrkräften, der Organisation und Flexibilisierung von Gruppenunterricht sowie der Öffentlichkeitsarbeit zeigen das Spektrum lebendiger Entwicklungen. Lebendigkeit aber hat man nie sicher implantiert, sie stellt vielmehr eine ständige Aufgabe dar. So werden auf der inhaltlichen Seite gegenwärtig intensive Gespräche zur Didaktik der populären Musik geführt; auf der institutionellen Seite zeichnen sich im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Ganztagsschulen neue Möglichkeiten und Herausforderungen ab: Kann die Musikschule hier eine Aufgabe übernehmen, die sich als didaktisch sinnvoll und politisch gewollt integrieren lässt? Auch Themen, über die man mittlerweile viel spricht, sind damit noch nicht unbedingt erledigt. Die Unterrichtsbereiche Neue Musik, Improvisation und Neue Medien sorgen vermutlich noch in manchem Kollegium eher für Ratlosigkeit.

Die selben Herausforderungen stellen sich den Hochschulen. Diese sind naturgemäß ein Stück weit von aktuellen Tendenzen in der Praxis abgekoppelt. Der hauptamtliche Lehrkörper ist schon lange aus der Musikschulpraxis heraus, die Studierenden kennen sie noch nicht. Die Praxis zu kennen ist aber nötig, um sich darauf zu beziehen – sei es auch kritisierend oder belebend. Gerade auch von Musikschulseite wird der Praxisbezug des Studiums immer wieder angemahnt. Der Deutsche Musikrat hat im Jahr 2000 ein Memorandum zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe verabschiedet, das ebenfalls einen stärkeren Berufsbezug fordert. Schließlich widmet sich die diesjährige Tagung der GMP/VMP im Oktober dem Thema „Berufsbezogen ausbilden!?“. Die Interpunktion in diesem Titel regt zum Nachdenken an. Offensichtlich handelt es sich um ein virulentes Problem. Irreführend mag dabei der Gebrauch des Wortes „Ausbildung“ sein, der an das Lehrlingswesen erinnert und mit dem Wunsch nach direkter, praktischer Verwertbarkeit korrespondiert. Soll allerdings die Etablierung von teilweise universitätsäquivalenten Studiengängen ihren Sinn behalten, dann muss der Reflexion, der Suche nach eigenen, stimmigen künstlerisch-pädagogischen Wegen, der möglichst tief gehenden Durchdringung der musikalischen und erziehungswissenschaftlichen Fragen – quasi in Humboldt’scher Freiheit, Einsamkeit und Gemeinsamkeit (von Lehrenden und Lernenden!) – der gebührende Raum gegeben werden. Auch das mittlerweile fast selbstverständliche Praktikum bleibt als „Fenster in den Beruf“ dennoch in diesen Raum eingebettet. Man trägt die Erfahrungen wieder in die Hochschule hinein, vergleicht, wertet aus, entfaltet oder verwirft Details, Konzeptionen oder Grundanschauungen. Darüber hinaus sollten die Praxisfelder auf dreierlei Weise in die Hochschulen hineinwirken: Zum Ersten müssten sie in den Fächern Musikpädagogik und Fachdidaktik thematisiert werden. Es liegt in deren Wesen, einer menschlichen Praxis beobachtend, deutend, befruchtend gegenüber zu stehen. Lehrende dieser Fächer stehen daher vor der manchmal mühevollen Aufgabe, sich mit neuen Publikationen, mit Themen von Kongressen und Fortbildungen, mit den Entwicklungen im Arbeitsfeld auseinander zu setzen und sich mit den Studierenden um Klärung, Einordnung und Standortbestimmung zu bemühen.

Zur Fachdidaktik gehören dann auch praktische Lehrversuche – gemäß des Herbart’schen Diktums: „Die Erziehungslehre will nicht bloß gelehrt sein; es muss auch etwas gezeigt und geübt werden.“ Zum Zweiten ist der Fächerkanon immer wieder zu überdenken. Er soll Gewähr dafür bieten, dass sich die Studierenden mit den relevanten Bereichen der Musikerziehung in der nötigen Breite beschäftigen. Die Relevanz aber ist auch von der kulturellen Praxis herzuleiten. Wer Musikerziehung studiert, sollte heute auch mit einer gewissen stilistischen Breite, mit Neuer Musik im Unterricht, mit Improvisation, mit verschiedenen Unterrichts- und Vermittlungsformen, mit praxisnahen und erfahrungsgestützten Reflexionen zur Arbeit mit Gruppen, mit Fragen des Umgangs mit dem eigenen Körper (in Zeiten häufiger Haltungsprobleme bei Kindern), mit Musiklernen in unterschiedlichen Lebensaltern bis hin zum älteren Menschen und mit den kulturellen Einflüssen der Medien konfrontiert werden. Er sollte durch die gesamte Palette der Pflichtfächer schließlich auch befähigt werden, nicht nur Instrumentaltechnik, sondern „die ganze Musik“ zu vermitteln. Zum Dritten wäre wünschenswert, dass allgemein der „Geist“, der an Hochschulen herrscht, von Offenheit und Sensibilität, nicht aber von Gleichgültigkeit oder Geringschätzung gegenüber der Praxis gekennzeichnet ist. Auch Instrumentalprofessoren steht ein Interesse am späteren Arbeitsfeld ihrer Studierenden, im besten Falle sogar eine gewisse Beratungskompetenz, gut an.

Eine zweite Herausforderung, die oftmals gewissermaßen die Kehrseite der Lebendigkeit darstellt, ist die Tiefe, die die Musikerziehung im Idealfall kennzeichnet. Auch in einer Zeit, in der längerfristige Bindungen ebenso wie Anstrengungen gern gemieden werden, kann sich Musikerziehung nicht als eine Form des Entertainments neben den vielen konkurrierenden Angeboten verkaufen, ohne dabei substanzielle Einbußen zu erleiden. Dies gilt für manches grellbunte Schulwerk, aber ebenso für institutionelle Unterrichtsprofile. Auch wenn man sich natürlich eine möglichst große Reichweite des musikerzieherischen Angebots wünscht, also so genannte Breitenarbeit möchte, müssen personelle und strukturelle Ressourcen erhalten oder geschaffen werden, die nach den grundlegenden Erfahrungen mit dem Musizieren auch den weiteren Weg ermöglichen. An nicht wenigen Musikschulen findet sich kaum eine Mittel- und Oberstufe im Sinne der Lehrpläne. Konzentriert sich diese Klientel im Sektor des Privatunterrichts, dann fehlt sie an der Schule als Vorbild, Inspirationsquelle, Mitgestalter und Stütze der Ensembles. Auch ein gegen den Willen der Lehrkraft verordneter und organisatorisch unflexibler Gruppenunterricht über eine festgelegte Dauer von Schuljahren – etwa als Voraussetzung dafür, dann schließlich in einer besonderen „Förderstufe“ eine immer noch knapp bemessene, wöchentliche Unterrichtseinheit Einzelunterricht erhalten zu können – birgt die Gefahr, Wege in die Tiefe zu verbauen. Selbstverständlich erschließt der vom Kind widerwillig hingenommene sture Drill nach dem Programm „X“ diese Tiefe genauso wenig. Für Kinder,die noch kein persönliches Verhältnis zur Musik und zum Instrument aufgebaut haben, ist schließlich auch die populäre Musik kein Allheilmittel. Von Fall zu Fall ist eher danach zu suchen, auf welche Weise ein Kind auf welche musikbezogene Betätigung anspricht und wie ihm neue Reichtümer erschlossen werden können. Schließlich droht auch der Grundstufe potenziell immer wieder Tiefenverlust – etwa wenn in der Arbeit mit Eltern und Kleinkindern kritiklos marktgängige Konzeptionen praktiziert werden oder wenn in der Arbeit mit Vorschulkindern der Keim des Künstlerischen, des wirklich Berührenden, hinter Betulichkeit oder einer fruchtlos starren Lernzielfixierung auf der Strecke bleibt. In der Elementaren Musikpädagogik ebenso wie im Vokal- und Instrumentalunterricht ist der authentische Ausdruck, sind Bereicherung und Vertiefung anzustreben und zu ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund kommt der Entfaltung einer künstlerischen Persönlichkeit an den Hochschulen auch für Studierende der Musikpädagogik eine von Praxisvertretern manchmal verkannte Bedeutung zu. Sicher können kritiklose Selbstzufriedenheit und das fehlende Wehen eines „künstlerischen Windes“ besonders an Instituten, die nur oder in der Hauptsache musikpädagogische Studiengänge anbieten, eine Gefahr sein. Aber auch an renommierten Hochschulen kann es für Studierende der Musikpädagogik zu Defiziten kommen, wenn sie weder in gute Ensemblearbeit eingebunden werden, noch mit den begehrten, charismatischen Lehrerinnen und Lehrern zu tun haben. Aus Erfahrungen, die man bei überzeugenden Lehrpersonen oder bei guter Kammermusik und Orchesterarbeit sammelt, schöpft man später im Unterrichtsalltag immer wieder. Im Idealfall müsste jedwede Unterrichtsaktion von einem musikalisch-künstlerischen Zentrum in der Person der Lehrkraft gespeist sein.

So geht es auch in der Fachdidaktik nicht nur um Tipps und Tricks, sondern im Letzten um den Anspruch lebendiger, fantasievoller künstlerischer Arbeit mit Anfängern wie mit Fortgeschrittenen. Unterrichtsgestaltung und Vermittlungsformen zielen ja nicht auf richtigen Gebrauch einer Sache oder richtige Bedienung einer Maschine, sondern auf die Entwicklung künstlerischer Persönlichkeiten. Dies gilt natürlich auch an den Hochschulen selbst für den Unterricht in den auf verschiedene Aspekte spezialisierten Fächern, die doch alle auf Musik oder Pädagogik bezogen bleiben. So ist beispielsweise Musiktheorie mehr als eine Rezeptologie, Gehörbildung mehr als sportliches Training, Musikgeschichte mehr als Faktenbuchhaltung, Pädagogik mehr als Lehr- und Lerntechnik.

Schließlich kann die Vielfalt der Pflichtfächer an den Hochschulen, wenn denn zu viel des Guten vorgeschrieben ist, auch ins Gegenteil eines oberflächlichen Aktionismus oder gleichgültigen Abhakens der Testate und Scheine umschlagen. Ein zu umfangreiches Studium würde denn auch für Studierende rein künstlerischer Studiengänge – deren beruflicher Markt auch nicht gerade für alle eine Arbeit bereithält – ein Doppelstudium erheblich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Die Alternative, in künstlerische Studiengänge obligatorisch ein wenig Didaktik oder Pädagogik zu integrieren, stellt demgegenüber die pädagogisch schmalere Variante dar.

Ökonomische Stabilität

Schleichend, aber nicht weniger dramatisch hat sich die musikpädagogische Landschaft in den vergangenen Jahren berufspolitisch verändert. Festanstellungen werden Mangelware, die Zahl der Vakanzen steht in krassem Missverhältnis zu der der Studienabgänger. Die Honorartätigkeit auch an Musikschulen hat wieder Konjunktur, nachdem sie dort bereits zur Ausnahme geworden zu sein schien. Musikschulleitungen schlagen sich mit Budgets herum, die ihnen die Hände binden, Träger sind vom Zwang zu sparen beherrscht. Unbefriedigende Verhältnisse und Frustrationen etablieren sich, wenn etwa der ältere Kollege sein BAT hat, die junge Berufsanfängerin im Zimmer nebenan hingegen – auf ihrem Instrument topfit und voller pädagogischer Ideale – eine Arbeit in gleichem Umfang für ein mäßiges Honorar leistet und jede gehaltene Stunde dafür nachzuweisen hat. Chancen bietet natürlich auch der freie Markt, hierfür bedarf es jedoch auch eines unternehmerischen Geschicks und der viel beschworenen Flexibilität. Während die Länder als öffentliche Hand das Studium der zukünftigen Instrumentallehrkräfte institutionell absichern, ist das Ideal einer jedem zugänglichen, kontinuierlichen, bedarfsgerechten, transparenten und niveauvollen Musikerziehung in der Gefahr, durch die Finger der kommunalen, öffentlichen Hand zu rinnen.

Die Hochschulen haben hier den Spagat zwischen Desillusionierung und Motivationsstärkung zu leisten. Die Studierenden brauchen eine kräftige Reserve an Liebe zu ihrem Beruf, zur Musik und zur Jugend. Andererseits muss die Zeit des Studiums bereits eine Zeit der Orientierung sein: Wo liegen Stärken und Schwächen, Vorlieben, Zusatzbegabungen und Interessen? Sowohl eine individuelle Profilierung als auch eine wachsende Flexibilität setzen eine gewisse Vielfalt des Studienangebotes voraus. Gefragt ist eine Fächerbreite, die noch Wege offen lässt: etwa in die Grundschule, das eigene Tonstudio, den Selbstverlag, die auf mittelalterliche Musik spezialisierte, konzertierende Gruppe, die Leitung von Kursen zur Atem- und Körpertechnik, das Kinderheim, die Musiksoftware-Firma. Hilfreich sind Wahlmöglichkeiten, an denen sich Interessen ausrichten lassen, die schon Wege erproben lassen und zusätzliche Farben in das Abschlusszeugnis bringen können. Zusatzhauptfächer und Ergänzungsstudien eröffnen weitere Möglichkeiten und sollten strukturell, zum Beispiel auch noch berufsbegleitend und zu günstigen Bedingungen, ermöglicht werden. Mögen die Hochschulen auch die zuvor genannten Herausforderungen meistern und als lebendige Kulturwerkstätten getragen sein von künstlerischem Enthusiasmus und pädagogischem Ethos – in ihrer notwendigen Wechselwirkung mit der Praxis bleiben sie auch an das gesellschaftlich-
politische Gefüge gebunden. In diesem Gefüge nicht bloß passiv betroffen zu sein, sondern eine mitgestaltende und bewusstseinsbildende Rolle zu spielen, mag eine ihrer größten Herausforderungen für die Zukunft sein.

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