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Preisträger Hahn, strahlend. Foto: Petra Basche
Preisträger Hahn, strahlend. Foto: Petra Basche
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Eduard Hanslick wäre heute wohl ein Blogger

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Patrick Hahn, Preisträger des Reinhard-Schulz-Preises für zeitgenössische Musikpublizistik 2012, zieht Bilanz
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Zu allen Zeiten bedurfte und bedarf die Neue Musik der sensiblen Aufmerksamkeit. Gerade ihre historisch nicht abgesicherten Werke, die erst wenige Jahrzehnte oder Jahre alt sind, manchmal sogar noch jünger, brauchen die Beobachtung, Begleitung und Beurteilung durch sprachliche Reflexionen und verbale Darstellungen. Der Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik fördert junge Musikschriftsteller/-innen und Musikkritiker/-innen, die sich intensiv mit der Neuen Musik beschäftigen und in den Medien darüber berichten. Der Preis ist dem Andenken des Musikjournalisten und Musikwissenschaftlers Reinhard Schulz (1950–2009) gewidmet. Im Gespräch mit Martina Seeber reflektiert der erste Preisträger Patrick Hahn seine Erfahrungen mit der neugeschaffenen Auszeichung.

neue musikzeitung: Was war Ihre spontane Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Ihnen der Preis verliehen wird? Freude und Stolz?

Patrick Hahn: Stolz ist selten eine gute Hilfe beim Schreiben. Zwar braucht es Selbstbewusstsein, aber einem Musikpublizisten schadet ein wenig Demut vor den Künstlern nicht – den Interpreten und Komponisten –, an deren Schaffen man parasitär teil hat. Ein Gefühl, das mit dieser Auszeichnung einhergeht, ist eher eine Art Aufforderung: weiterschreiben! Dazu hat man dann auch ausreichend Gelegenheit, denn die „Hauptbelohnung“ beim Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik besteht in einer Reihe attraktiver Aufträge von tollen Partnern des Preises. Und spätestens bei der nächsten Deadline sind Freude und Stolz wieder dem üblichen Kampf gegen den inneren Schweinehund gewichen.

nmz: Was haben Ihnen die Aufträge konkret gebracht? Abgesehen davon, dass
Sie damit auch Ihr Geld verdienen?

Hahn: Mein Geld verdiene ich inzwischen glücklicherweise hauptsächlich als Dramaturg an der Oper Stuttgart. Denn das ist sicherlich eine der größten Hürden beim Begründen eines Daseins als freier Musikpublizist: dass man eine ganze Menge Zeilen machen muss, um ein anständiges Einkommen zu erwirtschaften. Und das bei schwindenden Sendeplätzen und schrumpfenden Feuilletons! Am Beginn einer Karriere als Schreiberling besteht sicherlich eine der schwierigen Aufgaben darin, sich ein Netzwerk zu erarbeiten. Dabei hilft ein solcher Preis natürlich ungeheuer, weil er einem manche Redaktionstür öffnet, an der man sonst vielleicht ein wenig länger rütteln müsste, bevor man eingelassen wird …

nmz: Kam der Preis, der an junge Journalistinnen und Journalisten bis maximal 32 Jahre verliehen wird, eigentlich zur rechten Zeit?

Hahn: Für mich kam der Preis eigentlich schon zu spät, da ich mich beruflich zu diesem Zeitpunkt bereits in eine andere Richtung entwickelt hatte. Aber grundsätzlich finde ich es gut, dass es so einen Preis gibt, da er hoffentlich viele Talente auf das spannende, abwechslungsreiche und anspruchsvolle Berufsfeld der Musikpublizistik aufmerksam macht. Wer weiß, wie er meinen Weg beeinflusst hätte, hätte ich ihn früher erhalten. Grundsätzlich finde ich es gut, dass es eine Altersbegrenzung gibt, denn es soll ja ein Nachwuchspreis sein. Man wird sehen, wie sich die Umstellung der Studiengänge noch auf die Arbeitsbiografien auswirken wird: Unter den Bedingungen von verschulten Bachelor- und Masterstudiengängen hätte ich meinen beruflichen Weg jedenfalls nicht so gestalten können, wie ich ihn gestaltet habe.

nmz: Worin sehen Sie die spezifischen Probleme des gegenwärtigen musikjournalistischen Nachwuchses?

Hahn: Bazon Brock hat mal sinngemäß gesagt: Um kotzen zu können, muss man viel gegessen haben. Wann soll man denn noch zum Essen kommen, wenn man schon mit zwanzig von der Uni ausgespuckt wird? Und was soll überhaupt die Aufgabe von Musikjournalismus heute sein? Und wo soll der stattfinden? Die Frage stellt sich heute noch dringlicher als zu Zeiten, als es noch selbstverständlich war, dass Herr Kaiser nach dem Konzert seine amtliche Kritik der Redaktionssekretärin von der Telefonzelle aus diktierte …
Um die Frage aufzugreifen: Welche Aufgabe kann Musikjournalismus heute haben? Ich glaube, es war früher noch üblicher, dass sich Kritiker als „Gatekeeper“ zur Musikgeschichte begriffen haben. Heute habe ich häufig das Gefühl, die Aufgabe einer zeitgenössischen Musikpublizistik könnte vor allem darin bestehen, Zugänge zur Wahrnehmung von Musik zu öffnen.

nmz: Aber reicht es, angesichts einer so heterogenen Szene lediglich Wahrnehmungshilfen anzubieten? Wo bleibt da die Kritik?

Hahn: Auf die Frage habe ich gewartet. Auch wenn man sich in der Musikkritik sicherlich inzwischen von teleologischen, geschichtsphilosophischen Ideologien verabschiedet hat, bleibt die Fähigkeit zur Unterscheidung eine zentrale Aufgabe der Musikkritik. Nichts anderes heißt ja das griechische Wort „krinein“. Und was heißt hier überhaupt Wahrnehmungshilfen. Als erstes muss der Kritiker sich selbst helfen, lernen genau wahrzunehmen – und diese Wahrnehmung dann einerseits zu konzeptualisieren, andererseits selbst wieder zu versinnlichen. Einfacher ausgedrückt: wahrnehmen, begreifen, formulieren. Kritisch sollte dieser Journalismus in der Hinsicht sein, dass er sich der Mittel, die er in Gebrauch nimmt, bewusst ist, dass er seine eigene Funktion in der Musikwelt kennt und hinterfragt und nicht auf allen PR-Mist hereinfällt. Dazu gehört vor allem Mut, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen.

nmz: Fast zeitgleich mit dem Ende der Ideologien hat sich auch die mediale Landschaft grundlegend verändert. Es sind neue Medien entstanden und alte Institutionen verlieren an Bedeutung. Ist der Kritiker vom Aussterben bedroht?

Hahn: Was würde Eduard Hanslick heute machen? Das frage ich mich manchmal. Vermutlich hätte er einen gut frequentierten Blog. Aber er sollte der Empfehlung Stockhausens folgen und wegen des Geldes lieber reich heiraten. Ich hoffe nicht, dass „der Musikkritiker“ ausstirbt, aber paradoxerweise wird sein Lebensraum in dem Maß, wie das Volumen verfügbarer Musik anwächst, reziprok kleiner. Und wahrscheinlich ist die Beob-achtung richtig: Wir sind inzwischen alle Smartphones. Ziemlich konvergente, multipel nutzbare Contentproduzenten. Sehnt sich irgendjemand, der drahtlos ins Internet gehen kann zum Kabeltelefon mit schwerem Hörer zurück? Und war es überhaupt jemals so, dass Kritiker ein Konzertleben „nur begleitet“ haben?

nmz: Wie würden Sie als Kritiker heute gerne arbeiten?

Hahn: Ein Traum, den jeder Musikpublizist im Konzertschlaf schon einmal hatte, ist sicherlich der, mit einem großen Reisekostenbüdget versehen hinter der Musik her zu sein und seine Gedanken dazu ohne Zeilenzwang äußern zu dürfen, ab und an so etwas Altmodisches wie ein Buch herauszugeben und eine Stimme zu entwickeln, die von allen gerne gehört oder wenigstens respektiert wird. Für den ersten Teil des Traumes hat Stockhausen, wie gesagt, die reiche Heirat empfohlen, für den zweiten gibt es heute das Internet und für Teil drei des Traumes führt wohl immer noch kein Weg an den „Institutionen“ vorbei. In der Wahrnehmung der Kritik gilt immer noch das gesprochene Wort etwas weniger als das geschriebene und auch der Publikationsort ist von Bedeutung. Immerhin hat man heute wenigstens theoretisch die Möglichkeit, auch außer-institutionell im Kritikerkonzert seine Stimme einzusetzen. 

nmz: Mit dem Reinhard-Schulz-Kritikerpreis sind ein Preisgeld von immerhin 3.000 Euro verbunden und Aufträge von Partnerorganisationen. Würden Sie daran etwas ändern wollen?

Hahn: Dass man von den Partnern des Preises einen Schreibauftrag erhält, ist wirklich eine intelligente Konzeption. So bekommt man noch einmal Türen geöffnet und ist dazu angehalten, seine Preiswürdigkeit nachhaltig unter Beweis zu stellen: durch gute Arbeit, die man leistet. Man sammelt weitere, wichtige Erfahrungen und mit etwas Glück hat man dann schon neue Arbeitgeber für die Zukunft gefunden, so entsteht ein Netzwerk.

Interview: Martina Seeber

Reinhard Schulz-Preis

Informationen über den Preis 2014 finden Sie unter: http://www.reinhardschulz-kritikerpreis.de/
Einsendeschluss ist der 31. März 2014 (Absendedatum). Die Jury tritt im Mai 2014 zusammen, die Preisverleihung findet dann im Rahmen der 47. Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt im August 2014 statt.

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