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Lorenz Deutsch. Foto: Kulturrat NRW

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„Was uns vor der Herrschaft der Maschinen rettet“

Untertitel
Lorenz Deutsch über Auswirkungen von KI auf Kunst und Kultur im Gespräch mit Rainer Nonnenmann
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Der studierte Germanist, Philosoph und Politikwissenschaftler arbeitete als Dozent für Altgermanistik an den Universitäten Köln und Düsseldorf und war kulturpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Rat der Stadt Köln sowie im Landtag von NRW. Seit 2023 ist Lorenz Deutsch Leiter der Theodor-Heuss-Akademie für politische Bildung in Gummersbach und Vorstandsvorsitzender des Landeskulturrats NRW. Dort greift er Themen und Impulse aus Kunst und Kultur auf, um zwischen den Szenen gleiche Informationsstände herzustellen und diese in die politischen Ebenen von Ministerium für Kultur und Wissenschaft, Landtag, Kommunen und Kulturverwaltungen zu tragen. Aktuelle Querschnittsthemen sind Diversität, Gendergerechtigkeit, Teilhabe, Klimakrise, Nachhaltigkeit und Künstliche Intelligenz.

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neue musikzeitung: Drohen die vielen gesellschaftspolitischen Anliegen – so berechtigt sie sind – Kunst und Musik gegenwärtig zu überfrachten?

Lorenz Deutsch: Ich traue der Kunst zu, dass sie zu all diesen Themen eigene Positionen und Anregungen entwickelt, und zwar aus sich heraus. Weil diese Themen alle bewegen, setzen sich auch Künstlerinnen und Künstler auf ihre Weise damit auseinander. Problematisch finde ich, wenn das von politischer Seite aus über Fördervoraussetzungen als Agenda in die Kunst kommt. Dann müssen wir über die Gefährdung der Kunstfreiheit sprechen. Die Inhalte von Projekten sollen die Künstlerinnen und Künstler selbst entwickeln. Das können auch sehr direkte Reaktionen auf gesellschaftliche Prozesse sein, und ich würde mich wundern, wenn das nicht so wäre, weil Kunstschaffende auf bestimmte Dinge besonders sensibel reagieren.

nmz: Eines der großen Themen – auch für und in Kunst und Kultur – ist Künstliche Intelligenz.

Deutsch: Da stellen sich mir anthropologische Fragen. Ist das, was wir bisher Intelligenz und Kreativität nannten, wirklich genuin menschlich oder eigentlich auch nur ein Modus der Reorganisation vorhandener Daten, so wie eine KI aus zahllosen Daten, mit denen sie geladen wurde, neue Texte und Bilder generiert? Auch Bach, Mozart, Beethoven, Wagner haben auf der Basis dessen, was zu ihrer Zeit an Möglichkeiten verfügbar war, sehr originell rekombiniert, so dass man das als neu wahrnahm. Ich habe Zweifel an der „creatio ex nihilo“, nichts ist voraussetzungslos. Worin liegt dann die kategoriale Unterscheidung zu dem, was eine Künstliche Intelligenz macht? Vielleicht führt das zu einer großen Ernüchterung unserer Emphase, mit der wir Kunst betrachten.

nmz: Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht beschreibt mit dem Begriff „Epiphanie“ die Hoffnung, wir könnten in Kunst etwas Anderes, Besonderes, Einzigartiges erfahren.

Deutsch: Ja, aber vielleicht kann die KI genauso epiphane Momente erzeugen. Wieso eigentlich nicht? Das ist für Schriftsteller und Komponisten eine enorme Herausforderung.

nmz: Mittels KI werden Texte, Bilder, Filme produziert. Das berührt bisher noch kaum die performative Dimension von Musik, Tanz und Theater, sofern Künstlerinnen und Künstler live auftreten und nicht technisch reproduziert oder gestreamt werden.

Deutsch: Das Humane steckt in der Unmittelbarkeit von Live-Auftritten. Vermutlich macht es einen Unterschied, ob wir Scarlett Johansson als Avatar in einem von KI produzierten Film sehen, oder als Person live bei einer Promotour. Das hat etwas zu tun mit Einzigartigkeit, Aura, verbürgter Authentizität, Distanzlosigkeit und auch dem Risiko des Scheiterns, das auftretende Künstlerinnen und Künstler eingehen. Darin steckt etwas, was uns vor der Herrschaft der Maschinen rettet.

nmz: Wie setzen Sie sich im Kulturrat NRW mit den Anwendungen und Auswirkungen von KI auf Kunst und Kultur auseinander?

Deutsch: Das war das Erste, was ich bei meiner Wahl zum Vorsitzenden (im Juni 2023) angekündigt habe. Aktuell gründen wir eine Arbeitsgemeinschaft, die sich mit Chancen, Problemen und Folgen von KI beschäftigt. Es ist die Stärke des Kulturrats, dass ein Aufruf durch alle Sektionen geht und wir dann viel Erfahrung und Kompetenz zusammenbekommen, um bestehende Anwendungen und Tools von KI zu bilanzieren und auch anthropologische Fragen zu diskutieren. Welche Auswirkungen hat das für unser Bildungsideal, das noch aus dem 18. Jahrhundert stammt? Welche Bedeutung hat gelerntes Wissen, wenn ich alles ständig abrufen kann? Was passiert mit unserer Weltwahrnehmung, wenn wir nichts mehr Bestimmtes aus Naturwissenschaft, Geschichte oder Musik wissen, sondern alles Wissen ins Internet ausgelagert haben? 

Das Smartphone gibt es seit 2007 und ist heute zu einer Körperverlängerung der meisten Menschen geworden, zur zentralen Schnittstelle zu Umwelt und Mitmenschen. Doch muss man nicht etwas wissen – von welchen Gegenständen auch immer, zum Beispiel dem „Nibelungenlied“ –, um überhaupt die Kompetenz zum Urteilen und Vernetzen zu entwickeln? Was passiert mit uns, wenn wir an die KI abgeben, was lange unser Selbstverständnis als Menschen ausmachte?

nmz: Wir sind auf erste Ergebnisse der Arbeitsgruppe KI gespannt.

  • Das Gespräch führte Rainer Nonnenmann

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