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Aufs Weitergehen kommt es an

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Zum Tod des Musikwissenschaftlers Martin Geck
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Musik war ihm eine existenzielle Angelegenheit. Mit Kleinmeistern hielt er sich nicht auf. Martin Geck rang ein Leben lang mit den ganz Großen, Bach, Beethoven, Wagner, Mozart, Schumann und Mendelssohn; bewegt von dem Ungeheuerlichen, das ihm schon als Kind so erschien. Derart staunenswert, überwältigend, dass ihn das Hören eines Musikstücks wie benommen zurücklassen konnte. Oder wütend, wenn der Knabe empört das elterliche Wohnzimmer im Recklinghäuser Pfarrhaus verließ, weil er fand, dass nach der Radio-Übertragung einer Beethoven-Symphonie nicht einfach weitergeredet werden sollte.

Was aber zu sagen war, das trieb ihn um. Schon dem Vokalwerk Dietrich Buxtehudes begegnete er in seiner 1965 veröffentlichten Dissertation fragend, staunend. Der junge Musikwissenschaftler wurde bald Gründungsmitglied der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, Lektor, Privatdozent, 1976 dann ordentlicher Professor für His­torische Musikwissenschaft an der Universität Dortmund.

Martin Gecks geistige Flugbahnen waren auf Ortswechsel nicht angewiesen. So blieb er im Ruhrgebiet, noch nach der Emeritierung 2001 mit ungebremster Leidenschaft weiter lehrend bis zuletzt, einem Seminar über „Musik und Mys­tik“, in dem er den jungen Studierenden auch die Anekdote vom Wutanfall im Wohnzimmer preisgab: Was ihm wichtig war, dem trat er ohne akademische Distanzierungs-Pirouetten nah, er verstand es, in klarer Sprache weiterzugeben, was für ihn der Kern der Sache Musik war. Ein Wissender, der sich nicht im Besitz der Wahrheit fühlte, sondern noch im Alter unterwegs, streitbar, liebenswürdig, selbst­ironisch, gern auch jenseits der musikwissenschaftlichen Tellerränder und Gewissheiten, unermüdlich produktiv in Büchern, die faszinierend nachverfolgen lassen, wie dieser große Musikdenker irgendwann das Wagnis einging, „Ich“ zu sagen. Sein „Johann Sebastian Bach“ aus dem Jahr 2002, mehr noch das Mozart-Buch von 2006 vollziehen diese für einen Musikwissenschaftler riskante Wende. Die folgenden großen Biographien über Schumann, Wagner, zuletzt ein noch einmal gewichtiger „Beethoven“ adressierten mit Erfolg ein Lesepublikum vor allem jenseits der Zunft, an deren Fixierung auf die Erkenntnismöglichkeiten der Analyse er zunehmend Zweifel anmeldete. Martin Gecks stupend belesene Sicht auf Beethovens Universum ließ sich mit Lust auch von Karl Heinz Bohrer und dessen Kategorie des „Wahrnehmungsschocks“, von Julia Kristevas triebbewegtem „Genotext“, von Barthes, Boulez, Adorno oder auch Philip Roth anregen.

Er schrieb kein Buch zweimal. An seinen über ein langes Forscherleben weit verstreuten Texten etwa zu Wagner lässt sich faszinierend nachverfolgen, wie sehr ihn die Beethoven-Maxime leitete, dass es in der Kunst auf das Weitergehen ankomme. Er ist weit gegangen. Das Beethoven-Jahr, für das er noch intensiv vorgearbeitet hat, kann er nicht mehr erleben. Seine Bücher werden aber in dieses Jubiläumsgeschehen hineinwirken, jenseits des Geredes, weit darüber hinaus. Am 22. November ist Martin Geck mit 83 Jahren in Bochum gestorben.

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