Berlin - Kirsten Harms ist die erste Intendantin in der langen Geschichte der Berliner Opernhäuser. 2004 kam die gebürtige Hamburgerin von Kiel in die Hauptstadt. 2006 stand sie stark in der öffentlichen Kritik: Aus Angst vor islamistischen Anschlägen nahm sie Mozarts «Idomeneo» in der Inszenierung von Hans Neuenfels aus dem Programm. Die Schlussszene zeigt die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Buddha, Christus und Mohammed. Harms wird ihre Intendanz über das Jahr 2011 hinaus nicht verlängern und gibt am Samstag (9. Juli) mit «Tannhäuser» ihre Berliner Abschiedsvorstellung.
Die Kulturverwaltung der Stadt war mit Harms' Wirtschaftsführung und künstlerischer Ausrichtung lange Zeit nicht einverstanden. Mit der scheidenden Intendantin sprach dapd-Korrespondentin Angelika Rausch.
dapd: Frau Harms, Ihre Intendanz an dem besucherstärksten Haus der drei Berliner Opern, der Deutschen Oper, endet in diesem Sommer. Wie geht es Ihnen?
Harms: Es war ein großes Stück Arbeit, die Deutsche Oper dorthin zu bringen, wo sie hingehört. Und jetzt genieße ich den Erfolg! Ich gehe mit Rekord-Besucherzahlen - den höchsten seit 1989 - und mit Rekord-Einnahmen in der Geschichte des Hauses. Und das, wie ich finde, mit einem der interessantesten Spielpläne, die man sich vorstellen kann.
dapd: Was ist eigentlich passiert, dass jetzt trotzdem Schluss ist? Was ist da schiefgelaufen mit Ihrem Arbeitgeber, dem Berliner Senat?
Harms: Natürlich herrschte am Anfang noch viel Unsicherheit, ob die Deutsche Oper in die Zukunft geführt werden konnte. Und dazu von einer Frau. Aber je mehr das künstlerische Konzept aufgegangen ist, desto mehr bedauern heute alle, dass ich meine Arbeit hier nicht fortsetze. Aber letztlich war es meine Entscheidung, nicht weiter zu machen. Ich fand: Sieben Jahre an der Deutschen Oper werden eine gute Zeit gewesen sein.
dapd: Jetzt ist die Hochkultur in dieser ach so liberalen Stadt wieder ganz und gar in Männerhand. Was läuft da falsch?
Harms: Darauf sprechen mich auch viele an. Gerade weil ich mich durchgesetzt habe und mich nicht beirren ließ. Wenn ein Mann diese Erfolge gehabt hätte, hätte man ihn auf Händen getragen.
dapd: Als Sie 2004 an die Deutsche Oper kamen, hatte sich Stardirigent Christian Thielemann mit seinem Arbeitgeber überworfen und verließ das Haus. Wäre es für Sie am Anfang einfacher gewesen, wenn Thielemann geblieben wäre?
Harms: Ja, ganz sicher. Schon weil er als Künstler kaum zu ersetzen war, zumindest nicht kurzfristig. Es war mein Plan, das Haus gemeinsam mit ihm zu führen. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass ich überhaupt nach Berlin gekommen bin. Ich hätte gerne und gut mit ihm zusammengearbeitet. Er ist ja gegangen, weil die Stadt die Gehaltskürzung seiner Musiker nicht zurücknehmen wollte. Die Deutsche Oper war nun mal das Vorzeigehaus der alten Bundesrepublik, am besten finanziert und ein kultureller Leuchtturm. Wir alle verstehen bis heute nicht, warum dieses Opernhaus gegenüber dem ersten Haus der ehemaligen DDR zurückgestuft wurde.
dapd: Die Deutsche Oper lebt auch von ihrem unglaublich großen Repertoire mit Inszenierungen, die oft schon 10 oder 20 Jahre alt sind. Wie schafft man da eine behutsame Erneuerung?
Harms: Das Publikum kommt dann, wenn ein Abend ein Ereignis zu werden verspricht: Das kann eine Premiere sein, aber auch ein Repertoireabend. Bei Repertoireabenden kommt es dann sehr auf eine aufregende Besetzung an, und die Aufführung muss extrem gut einstudiert sein. Dann springt der Funke über. Aber wir haben das Repertoire auch immer wieder neu beleuchtet und auch teilweise verbessert. Da schau' ich als Regisseurin drauf und weiß, was ich für Mitarbeiter brauche, um auch diese alten Abende wieder nach vorne zu bringen. Einige dieser Aufführungen sind ja legendäre Inszenierungen, die den Zeitgeist verschiedener Jahrzehnte widerspiegeln.
dapd: Können Sie sich noch erinnern, mit welchen Erwartungen Sie selbst 2004 an dieses Haus gekommen sind?
Harms: Ich war ja bereits eine erfolgreiche Intendantin in Kiel, die dort schon sehr viel Aufmerksamkeit hatte, und ich bin 25 Jahre lang Regisseurin. Diese Rolle ist für mich also gewachsen. Mir war aber klar, wenn ich das in Berlin nicht hinbekomme, wird das das Ende der Deutschen Oper sein. Das war ziemlich klar, denn damals befanden wir uns gerade in der Hoch-Zeit der Berliner Opernkrise, und die Deutsche Oper stand zur Disposition. Ich wusste, dass ich alles erneuern musste, denn dieses Muster «Wir waren mal was Großes» war für die Zukunft nicht geeignet. Schon Götz Friedrich hat große Mühe gehabt, das Haus in die Zukunft zu führen.
dapd: Wann wussten Sie, dass Sie es schaffen würden, das Haus am Leben zu erhalten?
Harms: Ganz ehrlich: von Anfang an. Spätestens aber nach meiner erfolgreichen Premiere von «Cassandra/Elektra» fiel mir damals eine große Last von den Schultern. Es ging dann weiter mit dem Erfolg von «Tiefland», dann kam die spektakuläre Arbeit von Christoph Schlingensief, der damals an Lungenkrebs erkrankte und während der Probenzeit im Krankenhaus lag. Spätestens zu dem Zeitpunkt war klar, dass dieses Opernhaus so kreativ ist, selbst extrem schwere Situationen meistern zu können. Es kamen dazu Regisseure wie Philipp Stölzl, Andreas Kriegenburg, Robert Carsen, die bei uns erstmalig an der Oper in Berlin arbeiteten.
dapd: Welchen Rat können Sie Ihrem Nachfolger Dietmar Schwarz geben? Wo lauern in Berlin die ganz speziellen Fußangeln?
Harms: Die nächste Schwierigkeit, die ansteht an allen drei Opernhäusern, sind Tarifsteigerungen, die zuvor etliche Jahre ausgesetzt wurden. Das geht natürlich nicht so weiter. Angleichungen müssen also stattfinden, und auf die Opernstiftung kommen nun schrittweise wieder erhebliche Kostensteigerungen zu. In anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes werden Tarifsteigerungen selbstverständlich gezahlt, nur im Kulturbereich nicht. Das ist schwer zu verstehen. Die Kultur muss als Pflichtaufgabe begriffen und festgeschrieben werden, um die Finanzierung zu regeln.
dapd: Was haben Sie jetzt vor?
Harms: Meinem positiven Lebensgefühl nachgehen.
Sechs Daten zu Opernintendantin und Regisseurin Kirsten Harms
- am 25. Juni 1956 in Hamburg geboren
- Studium der Musikwissenschaft an der Hamburger Universität, anschließend bis 1982 Musiktheaterregie
- 1985-1988 Regieassistentin an den Städtischen Bühnen Dortmund, erste eigene Inszenierungen
- 1995 wurde Harms Intendantin der Kieler Oper, das Haus wurde unter ihrer Leitung zu einem der erfolgreichsten mittleren Häuser des deutschsprachigen Raums
- 2004-2011 Intendantin des größten der drei Berliner Opernhäuser, der Deutschen Oper
- Harms ist verheiratet mit dem Bühnenbildner Bernd Damovsky und hat einen Sohn