Gidon Kremer verspricht musikalische Entdeckungen zu den diesjährigen Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch, wo er erstmals gastieren wird. Er kommt aber auch mit Erinnerungen an den Namenspatron in den Kurort inmitten der Sächsischen Schweiz, wo 1960 das berühmte 8. Streichquartett entstanden ist.
Für ihren dritten Jahrgang ist es den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch (28.-30.9.) gelungen, mit dem Geiger Gidon Kremer sowohl eine musikalische Koryphäe von Weltrang als auch einen der inzwischen weniger werdenden Zeitzeugen ins Festivalprogramm zu integrieren, die noch eng mit Dmitri Schostakowitsch zusammengearbeitet hatten. Im nmz-Gespräch gab Gidon Kremer Auskunft über seine Erwartungen an Gohrisch.
Welchen Bezug haben Sie zu Werk und Person von Dmitri Schostakowitsch?
Gidon Kremer: Ich halte ihn für einen der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er ist mir zwar schon lange sehr nahe, aber ich entdecke ihn immer mehr, je mehr ich mich in seinem Schaffen zu Hause fühle. Besonders in seinem Spätwerk sind solche Neuentdeckungen zu machen. Mal eine Wendung, mal ein Zitat, es ist für mich immer wieder ein großes Erlebnis, wenn ich mit dieser Musik zu tun habe. Dazu kommt, dass es nur sehr wenige Komponisten gibt, die Zeitgeschichte so intensiv beschrieben haben wie Dmitri Schostakowitsch.
Sehen Sie sich als Sachwalter für seine Musik?
Man sollte da meine Wichtigkeit nicht so groß schreiben. Ich versuche, seiner Musik treu zu sein und sie so oft wie möglich zum Klingen zu bringen. Wissen Sie, ich hatte das Glück, in meinem Leben mit vielen Komponisten zu tun zu haben, die mir sagten, ich würde ihre Partituren richtig lesen. Ich hoffe natürlich, dass mir das auch bei Schostakowitsch gelingt.
Jedenfalls habe von ihm nie kritische Töne gehört, wenn ich ihm als Interpret seiner Musik begegnet bin. Aber schlussendlich bin ich nur einer von Hunderten, von Tausenden Interpreten, die sich mit seiner Musik beschäftigen. Allerdings freue ich mich jedesmal wieder, tiefer in seine Klangwelt einzudringen. Lange Zeit habe ich mich zum Beispiel nur an sein 2. Violinkonzert gewagt und das ja auch mehrfach eingespielt. Aber dann habe ich eine Entdeckung gemacht, als ich auch das 1. Violinkonzert gespielt habe – wieviel Starkes in dieser Musik steckt!
Sie sind Kuratoriumsmitglied des Vereins Schostakowitsch in Gohrisch, wie kam es dazu?
Ich wurde – wohl wegen meiner Nähe zu Schostakowitsch – darum gebeten und habe sehr gern zugesagt. Doch weil meine Zeit stets mit Aufgaben voll ist, war ich bislang eher im Geiste dabei. Umso mehr freue ich mich jetzt auf die reale Begegnung mit diesem Ort, an dem das 8. Streichquartett entstanden ist. Mit diesem Werk hatte ich viel zu tun, vor allem in der Orchesterfassung. Es heißt immer, es sei den Opfern des Krieges und des Faschismus gewidmet – in Wirklichkeit ist es ein Requiem von Schostakowitsch auch an sich selber, wie sein Briefwechsel bezeugt. Die vielen Zitate und sein immer wieder auftauchendes Anagramm sind doch kein Zufall.
Gidon Kremer gilt als Mann des Wiedergutmachens, richtig?
Ich sehe mich als Interpret verpflichtet, die Grenzen des Bekannten in der Musik zu erweitern, sei es in der Entdeckung neuer Werke oder sei es in der Aufführung vergessener Komponisten.
Diesen Beruf des Interpreten nehme ich beim Wort und stelle ihn all denen gegenüber, die etwas imitieren, die nur nachmachen wollen, indem sie blind Ratschlägen folgen und auf das Kopieren von Gehörtem vertrauen. Ich versuche lieber, meinen eigenen Weg zu finden. Auf dem habe ich viele wunderbare Komponisten getroffen, um deren Schaffen ich mich sehr gerne bemühe.
Das gilt insbesondere Sofia Gubaidulina und Alfred Schnittke?
Ja, da gibt es sehr enge Bezüge, weil ich wahrscheinlich einer der ersten war, der Musik von Alfred Schnittke aufgeführt hat und mit ihm dann eng zusammengearbeitet habe. Ich hatte das Glück, dass er mir auch einige Werke gewidmet hat – vor allem das Concerto grosso Nr. 1 und das 4. Violinkonzert –, aber es geht nicht um Widmung, sondern um die lebendige Musik. Ich habe alle Violinkonzerte von ihm gespielt und auch aufgenommen, ebenso die Triosonate oder das Konzert zu dritt, das Schnittke Yuri Bashmet, Mstislaw Rostropowitsch und mir gewidmet hat – wir haben das zuerst in New York aufgeführt und dann 1998 zu seiner Beerdigung in Moskau.
Unsere Beziehung währte ja bis in seine letzten Tage und fing an, indem ich durchgesetzt hatte, seine Musik zu spielen, als sich viele noch sehr gegen Schnittke gewehrt hatten. 1976 spielten wir das jetzt auch in Gohrisch zu hörende Klavierquintett in Moskau, das zuvor nur in Tiflis erklang, wo niemand Notiz davon nahm.
Bei Sofia Gubaidulina war es ähnlich, sie hat mir ihr Violinkonzert „Offertorium“ gewidmet, auch „Rejoice!“ habe ich zusammen mit Yo-Yo Ma aufgeführt. Ich war ja ein unerwünschter Gast in der Sowjetunion und habe es daher in den USA interpretiert. Ein wunderbares Werk, aber auch etwas für Seiltänzer, wenn Sie verstehen. Inzwischen hatte ich auch das Glück, ihr 2. Violinkonzert, das sie Anne-Sofie Mutter gewidmet hat, mit Christian Thielemann in München aufzuführen.
In Gohrisch stehen mit Mieczyslaw Weinberg und Victor Kissine auch zwei eher unbekannte Komponisten auf dem Programm?
Victor Kissine gehört zu meinen engsten Freunden, er ist ein Komponist, bei dem es keine überflüssigen Noten gibt. Und doch steckt in seinen Partituren alles, was zum Geist seiner Klangwelt gehört. Er ist ein geheimnisvoller Komponist, der von vielen Musikfreunden wohl erst noch zu entdecken ist. Momentan arbeitet er an einem Violinkonzert, das ich im Dezember in Brüssel uraufführen werde. Darüber bin ich sehr froh, nachdem ich bereits sein zweites Klaviertrio „Spiegel“ auf ECM veröffentlicht habe. Ein wunderbarer Komponist, der inhaltlich eng mit Sofia Gubaidulina, Gija Kantscheli und Alfred Schnittke zu tun hat. Sein Duo für Viola und Violoncello ist ein sehr starkes Stück, herausfordernd für die Interpreten und zugleich eine große Bereicherung für das Programm in Gohrisch.
Mieczyslaw Weinberg näherte ich mich auf Empfehlung von Kollegen an und musste feststellen, von wieviel Können und melodiösem Reichtum es geprägt ist! Dieser Mann war viele Jahre komplett unterschätzt, fast vergessen; ich selber lebte mit dem Vorurteil, dass er nur ein zweitrangiger Schostakowitsch gewesen sei. Was für ein Fehler! Er hatte, ganz im Gegenteil, eine absolut eigenständige Stimme.
Demnächst werde ich in Japan, China und Korea seine 10. Sinfonie aufführen, die er für Rudolf Barschai komponiert hatte und die eng mit Schostakowitsch zu tun hat – sie entstand ein Jahr vor dessen 14. Sinfonie, die Überschneidungen in der Dramatik sind ganz außergewöhnlich. Es hat viel Kraft gekostet, die asiatische Erstaufführung durchzusetzen, doch es lohnt sich und ich freue mich darauf. Weinberg hatte ein ganz schlimmes Schicksal, aber Schostakowitsch hatte es ja wahrlich auch nicht einfach gehabt. Aus heutiger Sicht ist es leicht, darüber zu sprechen – und gleichzeitig ist es unmöglich. Denn wer diese Tragik in sich empfindet, der weiß auch, dass sie ein Thema für sich ist. Sehr oft sehen wir, dass glückliche Menschen unfähig sind, so tiefe Musik zu komponieren.
Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch: 28.-30.9.2012
www.schostakowitsch-tage.de