Was war, was ist ein Musik-Kritiker, was sollte er sein, was wird er sein – oder vielleicht auch nicht (mehr)? Die Frage mag nach einer leicht scholastisch gefärbten Gleichung mit gar vier Unbekannten klingen. Ganz inaktuell indes ist sie nicht. Denn die Gesellschaft wandelt sich, analog der Kulturbegriff, also auch der Kulturbetrieb – und nicht minder die Medienlandschaft, das Leseverhalten wie die ökonomische Situation der Print-Institutionen.
Der Generationen-Wechsel hat sich beschleunigt, das alte „Bildungsbürgertum“, schon lange ein eher heikler als heiliger Mythos, verblasst zusehends. Entsprechend überaltert ist das Publikum – im Konzert weit mehr als in der Oper, wo neue oder unbekannte Werke oder antitraditionelle Inszenierungen das Klassiker-Repertoire auflockern, und die Medien-Moderne (vor allem Video) zusätzliche Reize bereithalten.
Verändert hat sich aber auch die Rezeptionskette: Die alten Meister von Bach bis Strauss, ihre erhabensten Werke, in den Opern- und Konzert-Prestige-Tempeln von erlauchten Interpreten einem andächtigen Publikum präsentiert fanden ihr Finale im Urteil des renommierten Kritikers in der maßgeblichen Zeitung, am übernächsten Morgen von einer bisweilen eingeschworenen Leserschaft mit Spannung erwartet. Eine Galionsfigur dieses Systems war etwa in München Joachim Kaiser, dessen SZ-Rezensionen dem geradezu kultischen Dreiklang dienten: Werk, Interpretation, abschließend gültiges Urteil. Kaiser, eine bedeutende, ja überragende Figur, auch in seiner Vielseitigkeit als Theater- und Literaturkritiker, hat das Kultur-Klima der Bundesrepublik mitbeeinflusst, war nicht wenigen Jüngeren, so auch dem Autor, Anregung und Vorbild. Aber er stand nicht zuletzt für ein ultrakonservatives Kunstverständnis, verstärkt noch durch die besondere Münchner Gläubigkeit gegenüber größten Namen und höchsten Werten: Das Sein bestimmt eben auch das Bewusstsein. Manchmal wirkte er, zumal in seinem bisweilen durchaus ansteckenden Enthusiasmus, fast wie eine Art „Musik-Muslim“: Beethoven ist groß, und Furtwängler sein Prophet – und Christian Thielemann der neue Ajatollah.
Parasakrale Töne
Kaisers ehrfurchtsvolle Begeisterungsfähigkeit für „große“ Musik und Interpreten war von parasakralen Tönen nicht immer frei. Es gab andere Formen von Kritik: rationaler, analytischer, skeptischer gegenüber Tradition, Kanon und hochmögendem Betrieb – mehr aus der Moderne, der Avantgarde-Vernetzung und der Achtundsechziger-Opposition wie -Kritik an den bestehenden Verhältnissen kommend. Auf einen Nenner bringen ließ sie sich nicht.
Eine Stimme allerdings fiel sowohl aus dem affirmativen wie ästhetisch skrupulösen Rahmen: Klaus Umbach stand immerhin von 1969 bis 2007 für die Musikberichterstattung im „Spiegel“, und in anderer Weise nicht minder für die These von der Dominanz des Seins über das Bewusstsein. Gehörte zum „Spiegel“ auch das Prinzip der „Verspiegelung“, der flott-populären, ironisch-despektierlichen, gleichwohl bestens recherchierten „Schreibe“, bei der die individuelle Autorschaft redaktionell einheitlich auf einen spezifischen Stil gebracht wurde, so war Umbach einer der ganz wenigen Publizisten, die mit vollem eigenem Namen erschienen. Anonymität behagte ihm nicht, er wahrte den Sonder-Status des „bösen Buben“, der lustvoll demontierte, gerade die Super-Prominenz im Visier hatte, die er lieber schmähte als sie noch zusätzlich zu salben.
Eigene Stimme im „Spiegel“
Ein Musik-Kritiker im herkömmlichen Sinne war er nicht unbedingt, der ästhetische Diskurs, die kompositorische Auseinandersetzung, die Frage nach der adäquaten Interpretation weniger seine Sache. Und so wie er den Hohepriestern generell misstraute, so vermied er auch selber den parasakralen publizistischen Faltenwurf, setzte eher auf den flott-frechen Reportage-Ton, salopp bis mitunter schnodderig, gerne in der Nähe dessen, was in Wien „Schmäh“ heißt, im hehren Reich der Heiligen Cäcilie nicht gerade wohlgelitten. Man musste diesen Stil, das abfällige Verhöhnungs-Vokabular nicht lieben. Aber für das, was im Musikbetrieb Markt-Geschrei war, fand er oft treffend zynisch niedermachende Formulierungen.
Der Neuen Musik gehörte nicht gerade sein Herz: Das Wort „Neutöner“ hatte bei ihm alles andere als freundlichen Klang. Zumal auch bei ihm das Sein das Bewusstsein bestimmte, und zwar das Produktions-Schema des „Spiegel“, der am Montag erschien. Nun waren wichtige Musiktheater-Ereignisse sehr oft am Wochenende, also in der Regel vor den Schlusszeiten. also musste er auf Proben ausweichen, bei denen ein komplettes Bild nicht immer zu gewinnen war. Da wurden manchmal wüste Sex and Crime-Spektakel verhießen, die es so nicht gab. Und die notwendige Verkürzung von Erfahrung wie Argumentation verführte zu hämischer Abfertigung zentraler Novitäten wie Lachenmanns Hamburger „Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Da hat er durchaus gesündigt, schnöden Effekt über die Sache gestellt, auch wenn manch süffisante Attacken auf glamouröse Groß-Kopf-Events sich amüsiert lesen ließen.
Doch seine Hauptqualität war die eines investigativen Kultur-Journalismus: Vor allem den Verflechtungen von Starkult, Finanzwirtschaft, High Society, Politik, und Medienmacht hat er sich so hartnäckig wie akribisch gewidmet, Profitgier, Ämterhäufung, das Halbseidene gerade der Nobelkultur, die Osmosen von Privatem und Staatlichem allenthalben konstatiert – der globale Musikbetrieb als gigantische Kapital-Vermehrungs-Maschine.
„Die Geldschein-Sonate. Das Millionenspiel mit der Klassik“ hieß den auch sein 1990 erschienenes Buch, dem wahrhaft Staunenswertes über die Agentur „Columbia Artists Management“, die Agenda des Karajan-Imperiums, die Synergien hinter dem Schleswig-Holstein-Festival, die Usancen und Einkünfte einiger dirigierender, spielender und singender Superstars zu entnehmen war. Ob Gulda oder Mutter, Bernstein oder Pavarotti, Rostropowitsch, Horowitz, auch und gerade Justus Frantz – alle bekamen ihr Fett weg. Umbach dürfte sehr wohl gewusst haben, was er der Dokumentations-Abteilung des „Spiegel“ zu verdanken hatte: Offenkundig war das meiste pingelig recherchiert. Zumindest hat man von Klagen, Prozessen nichts gehört. Dabei ging es um höchst brisante Fakten, Affären, Verstrickungen.
Gefragt, ob er sich eine Neuauflage vorstellen könne, wiegelt Umbach ab: Solche Kunst-Geld-Konglomerate gebe es heute nicht mehr. Recherchen brächten nicht viel, die Hochprominenz fände kaum Interesse. Und gemessen an den Transfersummen für Fußballstars seien die Musiker-Saläre weniger orbitant. Die Musik als Verwertungsspiel hat Umbach demaskiert, dass es auch um Kunst ging, verschwand. Und soziologische Untersuchungen, etwa von Pierre Bourdieu („Die feinen Unterschiede“), kamen ohnehin nichts ins Spiel.
Man hätte sich der „Geldschein-Sonate“ weniger erinnert, hätte es nicht 2008 den Film „Let’s make money“ des Österreichers Erwin Wagenhofer gegeben, der in analoger Weise den Geldströmen der Steuer-Oasen und Immobilien-Blasen dokumentar-satirisch nachging: Profit bleibt Profit – ob mit Tönen, Fonds oder Bauruinen.
Ein subtiler Musik-Ästhetiker war Umbach nicht. Doch Event-Boom und neuer Affirmationston lassen seine Enthüllungslust aktuell werden. Am 28. Januar ist er in Köln, einundachtzigjährig, gestorben.