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Der Jazz-Verkäufer

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Manfred Scheffner ist mit 79 Jahren gestorben
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Bis heute leidet der Jazz darunter, dass er nach der Swing-Ära gewissermaßen in den „Underground“ ging, zur elitären Nischenmusik wurde. Denn selbst heute, wo er als zweite Klassik, als innovativstes Kunstmusik-Genre anerkannt ist, fehlt ihm weitgehend die Lobby. So waren und sind es vor allem Fans, die den Jazz unters Volk bringen. Leute wie der 1939 im ostpreußischen Hardteck geborene Manfred Scheffner. Früh erfasste ihn die Leidenschaft für improvisierte Musik. „Bei uns zu Hause lief nur Jazz, ausschließlich“, erinnert sich sein Bruder Jan. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Jazzfans wurde bei Scheffner aus der Leidenschaft ein Beruf. Er wurde sozusagen der „Jazzverkäufer“ der Republik.

Die Expertise hatte sich der Münchner bereits mit Brotjobs bei der Bahn, bei Verlagen und beim ADAC angeeignet, als er 1967 „jazz by post“ eröffnete. Ein Versandhandel für Jazzmusik, der hinter einer Stahltür im „Elektro Egger“ in der Pasinger Gleichmannstraße saß, und bald zur ersten Adresse für alle Jazzfreunde wurde. Scheffner konnte alles besorgen, von den amerikanischen Pressungen bis zu den später aufkommenden Edel-Alben aus Japan. Basis dafür war seine geradezu wissenschaftliche Sammelei: Schon 1965 hatte er den „Bielefelder Katalog Jazz“ übernommen, das jährlich erscheinende Gesamtverzeichnis aller Jazz-Veröffentlichungen. Unter Scheffner wurde aus dem spröden Listenwerk eine immer detailgenauere, auch auf die Musik eingehende „Jazz-Bibel“. „Jazz-Diskograph“ steht denn auch als Berufsbezeichnung in Manfred Scheffners Wikipedia-Eintrag.

Was freilich sein weitverzweigtes Schaffen und seine in Deutschland nahezu einmaligen Verdienste um die Verbreitung des Jazz verkürzt. Sein kleines Jazz-Paradies in München-Pasing war ja das Ergebnis eines Netzwerks: Auch Karl Egger, der Besitzer von Elektro Egger, war ein ausgewiesener Jazzfan, und bald gehörte auch der Bassist und Produzent Manfred Eicher zum Zirkel. So wurde das Pasinger Hinterzimmer zum Nukleus für weit bedeutendere Unternehmungen: 1969 gründeten Manfred Scheffner, Karl Egger und Manfred Eichner das Jazzlabel ECM, das unter Eichers Führung zum weltweit wohl bedeutendsten neben „Blue Note“ werden sollte. Scheffner schied später aus, weil es wieder ein anderes Vermittlungsprojekt gab: 1989 ging „jazz by post“ in der Jazz-Abteilung des Kaufhauses Beck („jazz is beck“) auf, die Scheffner aufbaute und bis zu seinem Ruhestand 2003 leitete. Auch Konzerte führte er dort ein. Noch heute ist es die wohl feinste und größte Jazzabteilung der wenigen verbliebenen Plattengeschäfte in Deutschland. Obwohl ihn gesundheitliche Probleme plagten, blieb Scheffner auch als Rentner aktiv, vor allem als Autor. Neben Rezensionen und Zeitschriftenartikeln war er zum Beispiel einer der Autoren des Standardwerks „Jazz-Standards“.

Zuletzt konnte man dem Mann mit dem markanten Backenbart und den obligatorischen „Klepperle“ (Holzsandalen) noch beim Spazierengehen in Pasing begegnen. Dort ist er, einer der Väter der zweiten deutschen Jazz-Gründergeneration in der 68er-Zeit, jetzt mit 79 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Seine Leidenschaft hat er vererbt: Sein Sohn Thorsten führt im Chiemgau das Label und Studio „Organic Music“, Bruder Jan ist ein renommierter Fotograf mit Schwerpunkt Jazz.

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