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„Neue Musik kann genauso schön, sinnlich, bewegend sein wie ein Beethoven-Quartett“: Johannes Gutfleisch. Foto: Stefanie Knauer
„Neue Musik kann genauso schön, sinnlich, bewegend sein wie ein Beethoven-Quartett“: Johannes Gutfleisch. Foto: Stefanie Knauer
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Die Neue Musik und das Roulette-Gefühl: Johannes Gutfleisch und seine Augsburger Konzertreihe „Zukunftsmusik“

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Ob das Glas halb voll ist oder halb leer, hängt von der Betrachtungsweise ab. Johannes Gutfleisch, Cellist des Philharmonischen Orchesters Augsburg, stand vor zwei Jahren vor der Wahl: Lohnt es sich, in der Fuggerstadt mehr Neue Musik aufzuführen oder nicht? Zuvor hatte er in einem Interview mit Alfred Brendel gelesen, er wundere sich, warum die jungen Musiker so wenig mit der Musik ihrer Zeit anfangen können. „Da dachte ich mir, jetzt frag ich doch einfach mal rum“, so der 34-Jährige.

Ein erstes Treffen mit den Orchesterkollegen im Herbst 2008 brachte rege Diskussionen in Gang und „Riesenprogrammideen“ auf den Plan. „Ich merkte bei den Kollegen eine enorme Bereitschaft, großes Wissen und Können in Sachen Neue Musik“, so Gutfleisch: Die Beschäftigung mit zeitgenössischen Werken während der Studienzeit und das Bemühen, die Studenten an die Musik von heute heranzuführen, sind längst erfolgreich gewesen. Im Verlauf des Meetings mit den Kollegen wurde aus der vagen Idee „eine Riesenkiste“, am Ende stand der Wunsch: „Guck mal, ob du das auf die Reihe kriegst.“

Der Cellist entschied sich für „halb voll“, also für den Optimismus, wagte sich ins Kulturmanagement und gründete eine Konzertreihe mit Musik quer durch das 20. Jahrhundert bis heute, die am 22. Oktober 2009 begann und von ihm „Zukunftsmusik“ betitelt wurde – durchaus mit „ironischer Note“, aber vor allem mit „positiver Konnotation.“ Die neun Konzerte der ersten Saison spannten, jeweils durch einen programmatischen Ariadnefaden zur Einheit gebunden, einen weiten Bogen von den ungarischen Meistern nach Bartók und Kodály und Klassikern wie Holliger, Reich und Riley bis zur Improvisation oder Koppelung von Uraufführungen der Münchner Komponisten Stefan Schulzki und Dimitrij Romanov mit Barockmusik und Lesungen.

„Ein bisschen Roulette-Gefühl hat man dabei schon“, so Johannes Gutfleisch. Angst vor Publikumsschwund bei Aufführungen zeitgenössischer Musik haben die meisten Veranstalter: Wenn mehr als 20 Leute kommen, sing ich Hallelujah, so der Tenor: „Dabei habe ich immer wieder erlebt, dass gerade das neue Stück beim Publikum sensationell ankommt“, weiß der Cellist. Als Intendant der neuen „Zukunftsmusik“ erlebte er in den neun Konzerten der ersten Saison 2009/ 2010 Zuhörerzahlen zwischen zehn und 200. Doch ein Sponsor half, auch die Theatergemeinde Augsburg trat im April 2009 dazu: Sie unterstützt mich extrem, betont Gutfleisch. Inzwischen gesellten sich noch andere Förderer bei. Dennoch ist die Fortsetzung der Reihe nach der zweiten Runde, die bis Juni 2011 läuft, unsicher.

Eine weitere Hürde waren die anfallenden Gema-Gebühren, die aber von „Mehr Musik!“ übernommen werden. Das Augsburger Modell des bundesweiten „Netzwerk Neue Musik“ kooperierte mit der neuen Reihe seit ihrer Gründung – sind doch das Theater Augsburg und sein Philharmonisches Orchester Partner des vierjährigen Projekts, das seinen Schwerpunkt auf die Vermittlung Neuer Musik an Kinder, Jugendliche, Studierende und Lehrer, aber auch auf Musiker legt. Das Erleben Neuer Musik kann „genauso schön, sinnlich, bewegend sein wie ein Beethoven-Quartett“, ist Johannes Gutfleisch überzeugt, der Musik und Informatik studiert hat. „Daher der Hang zu komplexen Dingen“, sagt er lachend. Der kommt ihm bei der Terminabstimmung mit dem Spielplan zugute, die wie die Auffindung geeigneter Spielstätten keine leichte Aufgabe ist: „In Augsburg fehlt komplett ein moderner Konzertsaal“, sagt Gutfleisch.

Doch Not macht eben erfinderisch, faszinierende Alternativen wie das MAN-Museum, das Sparkassen-Planetarium, der Bahnpark Augsburg oder das Raumfahrtunternehmen MT Aerospace, in dem im November 12 Cellisten Kompositionen Xenakis, Pärt und Gordon Kampe auf- und uraufführten, taten sich auf. Auch bei der Wahl der Programme und Komponisten kam ein Kontakt zum anderen, Hinweise von Kollegen und Bekannten oder die Zusammenarbeit mit Tonkünstlerverband und Universität öffneten und öffnen neue Wege, Werke, Namen. Auf ähnliche Synergieeffekte hofft Johannes Gutfleisch auch mit der „Zukunftsmusik“: Den „Bruch zwischen alter und neuer Musik“ soll sie glätten helfen, junge Zuhörer anziehen. „Die Leute sind doch alle neugierig“, ist er sicher und spielt damit auf ein Zitat Mauricio Kagels an, dem Leitmotiv seiner Konzertreihe: „Die Neugier ist Grenzenlos.“

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