Leipzig - Der neue Chefdirigent des Sinfonieorchesters des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Kristjan Järvi, will mit dem Orchester multimediale Projekte verwirklichen. "Ich halte es für wichtig, neue Formen für das Internet zu entwickeln", sagte Järvi, der mit der Konzertsaison 2012/13 seine Dirigentenstelle in Leipzig antritt, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. "Bei Übertragungen im Radio klingt das Orchester zwar gut, ist aber nicht zu sehen."
Der 40-Jährige verweist auf den Komponisten John Cage, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte und "schon in den 1970er Jahren multimediale Projekte umgesetzt hatte, damals noch ohne das Internet". Järvi, der Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) als Popkünstler seiner Zeit bezeichnet, der "Schlager für seine Fans und Hitmelodien produzierte", verband schon vor seinem offiziellen Start in Leipzig Klassik und Popularmusik: Für den Film "Cloud Atlas" des Regisseurs Tom Tykwer ("Lola rennt", "Das Parfüm") spielte er im vergangenen und diesen Jahr mit dem Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor des MDR die Filmmusik ein. "Wir haben immer jemanden gesucht, der so viel Esprit hat wie Kristjan, und ein Orchester mit hohem Niveau, das Spaß daran hat, Musik, die wir im Prozess des Entstehens mitbringen, gemeinsam weiterzuentwickeln", lobte Tykwer während der Aufnahmen.
Järvi, der 1979 im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern seine estländische Heimatstadt Tallinn verlassen hatte, studierte an der Manhattan School of Music in New York Klavier, das Dirigieren lernte er an der Universität von Michigan in den USA. Das Sinfonieorchester des MDR möchte er zu einem Orchester weiterentwickeln, das "innovativ, sexy und modern" und eines der besten Deutschlands ist. "Wir wollen höchste Qualität liefern und das Niveau keinesfalls senken", kündigte Järvi an, der mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Florida in den USA lebt. Das 1923 als Leipziger Sinfonieorchester gegründete MDR-Sinfonieorchester ist das älteste Rundfunkorchester Deutschlands und eines der ältesten der Welt. Järvi, der zuvor als Chefdirigent Orchester in Schweden und Österreich leitete, tritt die Nachfolge von Fabio Luisi und Jun Märkl an, die dem MDR-Sinfonieorchester von 1996 bis 2007 sowie von 2007 bis 2012 als Chefdirigenten vorstanden. Er eröffnet die neue Spielzeit am Samstag (15. September) im Leipziger Gewandhaus mit einer Aufführung der "Carmina Burana" von Carl Orff (1895-1982).
Die klassische Musik, die er als zu elitär ansieht und mit der Rolex unter den Uhren vergleicht, möchte er zugänglicher machen, indem er mit Jazzmusikern, Weltmusikern und Popmusikern zusammenarbeiten will. Sein 1993 gegründetes Absolut Ensemble hat es sich zur Aufgabe gemacht, Grenzen zwischen klassischer und populärer Musik zu überwinden. So ist es nicht überraschend, dass ihn ein Konzert des kanadischen Jazzsängers Michael Bublé, das er kürzlich besucht hatte, sehr begeisterte. Klassisch beeindruckt ihn Georg Friedrich Händel (1685-1759) stark.
Bei aller Verbindung zwischen ernster und unterhaltender Musik möchte er höchsten Ansprüchen genügen. "Die Leute müssen nicht nur unterhalten, sondern auch gefordert werden", schätzte Järvi ein, dessen Vater Neeme und Bruder Paavo ebenfalls Dirigenten sind. "Sonst ist es wie mit dem Essen eines Hot Dogs: Auf einen hat man noch Appetit, doch danach hat man genug davon."