München - Der US-Amerikaner Lorin Maazel wird neuer Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Der Münchner Stadtrat beschloss am Mittwoch einstimmig die Berufung des 80 Jahre alten Dirigenten zur Konzertsaison 2012/2013, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Der Vertrag werde am Samstag (27. März) unterzeichnet.
Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, sagte, das Orchester freue sich «auf drei gemeinsame Spielzeiten» mit dem Maestro, dessen Karriere in der Musikwelt «brillant und außergewöhnlich» sei. Die Philharmoniker wollten von der Erfahrung und künstlerischen Stärke «dieses Ausnahme-Dirigenten» profitieren und «gemeinsam mit ihm das Publikum in München und den internationalen Musikmetropolen inspirieren».
Maazel betonte, er erachte die Chefdirigenten-Position der Münchner Philharmoniker «als eines der repräsentativsten Ämter heute in der Welt der klassischen Musik». Die Qualität des Orchesters sei «unübertrefflich».
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sagte, mit der Berufung Maazels sei es gelungen, einen «weltweit herausragenden Dirigenten» zu verpflichten. «Ich bin sicher, er wird die Philharmoniker zu Höchstleistungen motivieren und das Münchner Publikum begeistern können», fügte Ude hinzu.
Die Stadt musste für die Münchner Philharmoniker einen neuen Chefdirigenten suchen, nachdem im Sommer 2009 Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit Generalmusikdirektor Christian Thielemann gescheitert waren. Kernpunkt des Streits war eine vom Orchester gewünschte Vertragsklausel, das Letztentscheidungsrecht über Gastdirigenten und deren Programme auf Intendant Müller zu übertragen. Diese Bedingung wollte Thielemann nicht akzeptieren. 2012 wechselt der Dirigent als Chef der Sächsischen Staatskapelle nach Dresden.
Zu Lorin Maazel
Es ist nicht unüblich, dass große Dirigenten bis ins hohe Alter am Pult stehen. So mancher hochbetagte Maestro hat sein Publikum schon mit einem altersbedingten Schwächeanfall in Aufregung versetzt. Auch plötzliche Todesfälle auf dem Podium oder im Orchestergraben sind bezeugt. Herbert von Karajan (1908-1989) musste in seinen letzten Lebensmonaten buchstäblich auf die Bühne getragen werden. Insofern ist die Berufung des US-Amerikaners Lorin Maazel zum neuen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker nicht ungewöhnlich.
Maazel, der gerade 80 Jahre alt wurde, aber alles andere als altersschwach ist, wird ab der Saison 2012/2013 Nachfolger des 30 Jahre jüngeren Christian Thielemann. In München ist der Weltbürger mit Hauptwohnsitz in Virginia kein Unbekannter. Maazel war von 1993 bis 2002 Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters und gilt als einer der besten seiner Zunft.
Den Dirigenten ein Genie zu nennen, ist keine Übertreibung. 1930 in Frankreich geboren, spielte er mit fünf Jahren Geige, mit acht Jahren komponierte er und leitete erstmals ein Orchester. 1939 stand er schon am Pult des Los Angeles Philharmonic Orchestra, wurde zur nationalen Attraktion.
1941 lud der legendäre Dirigent Arturo Toscanini den Elfjährigen ein, zwei Konzerte mit dem New Yorker Broadcasting Symphony Orchestra zu leiten. 1946 bis 1950 war Maazel Primarius (erster Geiger) des von ihm gegründeten Fine Arts String Quartet in Pitsburgh. Dass er zur gleichen Zeit ein Universitätsstudium der Mathematik und Philosophie absolvierte, ist fast schon Nebensache.
Nach einer ersten festen Stelle als zweiter Kapellmeister beim Pitsburgh Symphony Orchestra ging es Schlag auf Schlag. 1955 debütierte er an der Mailänder Scala, 1960 als erster Amerikaner und bis dato jüngster Dirigent bei den Bayreuther Festspielen. 1965 wurde er Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin und Chef des Radio Symphonie Orchesters Berlin. Zur Bilanz seines bisherigen Künstlerlebens gehören mehr als 5000 Opern- und Konzertaufführungen sowie über 300 produzierte Tonträger.
Doch nicht alles lief glatt in Maazels Karriere. So endete sein Engagement als Wiener Operndirektor (1982-1984) im Streit. Dass die Berliner Philharmoniker nach dem Tode Herbert von Karajans den Italiener Claudio Abbado statt Maazel zu ihrem Chefdirigenten beriefen, obwohl er als aussichtsreichster Kandidat galt, muss den zuweilen recht hochfahrenden Musiker geschmerzt haben.
Zumindest von außen betrachtet glanzvoll gestaltete sich dagegen seine fast zehnjährige Ära als Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters. Maazel habe das Orchester technisch auf Spitzenniveau gehievt, sagen die BR-Musiker, schicken allerdings stets hinterher, dass sie die wahre Liebe zu einem Orchesterchef erst mit Mariss Jansons entdeckt hätten.
Als Maazel München verließ, wollte er sich eigentlich verstärkt dem Komponieren und seiner Geige widmen. Dann ereilte ihn jedoch ein Ruf als Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra, dem er bis 2009 vorstand.
Maazel ist in dritter Ehe mit der deutschen Schauspielerin Dietlinde Turban verheiratet und Vater von sieben Kindern. Hauptwohnsitz der Maazels - weitere Wohnungen soll die Familie in Monaco, New York und München besitzen - ist ein Landgut in Virginia.
Den prachtvollen Landsitz öffnete er im Sommer 2009 erstmals für das «Castleton Festival», ein Treffen mit 200 Nachwuchskünstlern aus aller Welt. Maazel leitete die Neuproduktion von Benjamin Brittens Oper «The Turn of The Screw» und eine Meisterklasse für zehn junge Dirigenten. Vielleicht bringt er seine Ideen der Förderung des musikalischen Nachwuchses ja mit nach München.