Wer nie Musik hört, aber oft ins Kino geht, kennt George Crumb. In William Friedkins 1973 gedrehten Horrorfilm "Der Exorzist" erklingt Crumbs elektrisch verstärktes Streichquartett, das den Titel "Black Angels" trägt. Ein großartiges Stück Musik. George Crumb, in Charleston, West Virginia, in einer Musikerfamilie geboren, wurde nach seinen Studien - Klarinette, Klavier, Komposition - in Europa lange kaum beachtet, obwohl er auch bei Boris Blacher in Berlin studiert hatte.
In den fünfziger und sechziger Jahren dominierte in der Neuen Musik, besonders in Deutschland, der "Geist Darmstadts", ein strenger
Serialismus, für den es nichts Verderblicheres gab als Musik, die ihre Eingebungen von außermusikalischen Impressionen empfing.
Da stand George Crumb nun quer zur herrschenden Tendenz. Seine Musik huldigte der Nacht, dem Mond und den Tierkreiszeichen. Die Partituren waren als "Magische Zirkel" oder „Galaktische Spiralen" notiert. Das abendländische Instrumentarium bereicherte er durch tibetanische Gebetssteine oder chinesische Tempelblocks. Und die Kritik stand seinem Komponieren ratlos gegenüber: Mystiker, Visionär, okkultistischer Spinner waren nur einige der Bezeichnungen, mit denen er bedacht wurde.
Heute sieht man Crumbs Schaffen aus verschiedenen Perspektiven.
Viele Gegenwartskomponisten entdecken die Vergangenheit, nicht für eine Rückkehr, vielmehr als Grundlage des Kontinuums der Musikgeschichte. Beethovens Spätwerk tritt in neuen Kompositionen als Beginn eines neuen Musikdenkens hervor. Schuberts und Schumanns dunkle Romantik findet sich in neuen Stücken wieder, Debussy wird als Ausgangspunkt moderner Klangerkundungen erfahren. George Crumb hat vieles davon in seinem Werk umgesetzt. Chopin, Debussy, Bartók wehen in speziellen Zitiertechniken in Kompositionen hinein, Schubert oder Messiaen klingen auf, auch orientalische und fernöstliche Musikwelten werden beschworen.
rumb selbst begreift solche Rückgriffe nicht als einfaches Zitieren, sondern als Beschwören der Geschichte: Klänge, Geräusche, alle tönenden Erfahrungen des Lebens werden ins Unbewusste aufgenommen und kehren dann in neuer Form in die Realität zurück. Diese Musik weist in ihrer lebhaften, assoziativen Gestik immer wieder in die unterschiedlichsten Richtungen zurück: auf seelenverwandte Musik, auf eine geheimnisvolle Natur, auf einen imaginären Weltenraum, den sie zu erkunden unternimmt.
latons Imagination einer Göttin Fama, die in ihrem Himmelspalast alle Klänge und Geräusche durch tausendfache Öffnungen ihres Hauses auffängt, kommt in den Sinn: Der Schweizer Komponist Beat Furrer hat aus dieser Vision ein faszinierendes Musiktheater gefiltert, das er "Fama" nannte. Bei Crumb erscheinen die empfangenen Klänge amalgamiert, auch die Naturerfahrungen seiner Jugend finden ihren Niederschlag in einer subtilen Klang-Echo-Technik, mit der er feinste Schwingungen einfängt und ausbalanciert - Crumb wuchs in einem Flusstal in den Appalachen auf, in dem nach seinen Bekundungen eine besondere Echoakustik auftritt.
"Gespenstisch" klinge es dort. Eine Vortragsbezeichnung in seinem Klavierhauptwerk "Makrokosmos" heißt denn auch "Hauntingly echoing (like an Appalachian valley acoustic)".
Im Laufe der Zeit ist Crumbs Werk auch in Deutschland bekannter geworden. Mit dem Frankfurter Mutare-Ensemble, das er sehr schätzte, trat er an vielen Orten auf. In Berlin gab es mehrfach spezielle George-Crumb-Konzertabende. So erhielt man allmählich Einblick in ein Werk, das sich durch Eigenständigkeit und eine bemerkenswerte innere Kraft behauptet. Gleichwohl könnte man sich immer noch etwas "mehr Crumb" in unseren Konzertprogrammen vorstellen. Sein achtzigster Geburtstag am 24. Oktober könnte einen entsprechenden Impuls auslösen.