Regietheater ist doch kein Schimpfwort, denn was wäre Theater ohne Regie? Peter Konwitschny gilt als Meister des Regietheaters, wird dafür geliebt und gehasst. Gestern feierte der fünfmalige „Regisseur des Jahres“ seinen 70. Geburtstag.
Peter Konwitschny lässt sich Zeit. In diesem Jahr geht er die Salzburger Festspiele an und debütiert dort mit Wolfgang Rihms Oper „Die Eroberung von Mexico“ (Premiere am 26. Juli). Ob auch Bayreuth noch kommt? Vielleicht später, wenn man sich dort mehr auf Inhalte und den ursprünglichen Werkstattcharakter besinnt. Man müsste jedoch am Grünen Hügel „die Reise zum Werk Richard Wagners wieder mehr in den Mittelpunkt stellen“, bekannte der Regisseur vor sechs Jahren im nmz-Interview. Sein damaliges Statement darf gewiss als eine Art Selbstvergewisserung gelten: „Der Ausgang der Tristan-Geschichte sagt also nicht, wer zuviel liebt, muss sterben, sondern wer lieben – auch: sich lieben – will, muss aufhören, sich Systemen zu unterwerfen, die lieblos sind und in denen wir nur zu funktionieren haben.“
Peter Konwitschny, der gestern vor 70 Jahren in Frankfurt am Main geboren wurde, scheint dies zum Prinzip seines Lebens erhoben zu haben. Das machte den Umgang mit ihm nie einfach, die Zusammenarbeit schwierig bis reizvoll und die ihm zu verdankenden Produktionen unvergesslich. Was beinahe ausnahmslos allen Konwitschny-Inszenierungen nachzusagen ist und worin sie sich von allzu vielen anderen Bühnenereignissen unterscheiden – man kann noch nach Jahren über sie diskutieren, Details deuten und den spezifischen Ansatz bestaunen. Sie haben sich eingeprägt als wertvolle Unikate, während so viel sonstige Beliebigkeit rasch wieder vergessen werden muss. Konwitschny hat mit seiner genauen Werkanalyse und dialektischem Herangehen stets den humanistischen Kern des Theaters gesucht, das er nach wie vor als moralische Anstalt versteht. Sein Musiktheater war und ist immer ein Theater aus dem Geist der Musik. Davon versteht er etwas, denn als Sohn des Dirigenten Franz Konwitschny gab es für ihn nie ein Leben ohne Musik.
Keinem anderen Regisseur ist so sehr wie ihm das Wort vom Regietheater angeheftet worden, nicht selten als Schimpfwort. Und dann offenbar unüberlegt. Denn könnte es Theater ohne Regie überhaupt geben? Ausgerechnet dieser Künstler, der die Menschen verbinden und am liebsten noch immer die ganze Welt retten will, gerät mit diesem Herangehen zum Spalter: Sein Publikum verehrt ihn heftig oder lehnt ihn gründlich ab. Zwischen glühenden Anhängern auf der einen und empörten Protestlern auf der anderen Seite gibt es beinahe nichts, denn Konwitschny-Deutungen sind nie beliebig, sondern stets berührend. So oder so.
Dass zum 70. Geburtstag von Peter Konwitschny viel Rückschau betrieben wird, liegt auf der Hand bei einem Regisseur, dessen Lebenswerk nun schon ein halbes Jahrhundert umfasst und der sein Publikum damit immer wieder zu ergreifen versteht. Ob Sprechtheater, Oper oder Operette, ob Klassiker oder Moderne: Konwitschnys Inszenierungen tragen in jedem Fall Diskussionsstoff in sich, fordern zum Nachdenken auf, punkten mit psychologischen Feinheiten und können in diesem Sinne als Entdeckungsreise empfunden werden, müssen also geradezu polarisieren. Nur schade, dass so viele Meilensteine dieser Auseinandersetzung mit dem Theater schon abgespielt sind.
Einige Häuser, denen Peter Konwitschny besonders verbunden war, hätten durchaus Chancen gehabt, sich zu international gefragten Pilgerstätten dieses besonderen Regietheaters zu erheben und die im Lauf der Jahrzehnte hervorgebrachten Arbeiten gründlich zu pflegen. Es muss ja nicht gleich ein Peter-Konwitschny-Museum daraus werden. Doch weder in Dresden, Halle oder Leipzig noch in Graz, Hamburg oder Stuttgart haben Intendanten je die Größe besessen, ein ihnen ja jeweils nur eine Zeitlang anvertrautes Haus solchen Ikonen zu widmen. Dennoch ist mit der frühzeitigen Händel-Pflege in Halle, den Verdi-Sichten in Graz sowie den Wagner-Interpretationen in Dresden, Hamburg und Stuttgart wertvolle Bekenntnisarbeit geleistet worden. Die wohl glücklichste Zeit dürfte die mit Ingo Metzmacher gewesen sein, die das hanseatische Publikum erst nach und nach begreifen ließ, welche Perlen ihm da mit „Lulu“ und „Wozzeck“, mit „Mahagonny“ und „Meistersingern“ serviert wurden.
Dresdens Semperoper hat gerade nochmal den packenden „Tannhäuser“ abgespielt. Seit dem juristischen Streit um seine „Csárdásfürstin“, die er mit kopflosen Grabenkämpfern in der Entstehungszeit des 1. Weltkriegs ansiedelte, woraufhin sich der damalige Intendant inszenatorische Eingriffe anmaßte, hat Konwitschny im dortigen Traditionshaus freilich nichts mehr zu schaffen gehabt. Immerhin zeigt die Oper Leipzig noch immer Puccinis Gefühlsklassiker „La Bohème“ in der vor fast einem Vierteljahrhundert entstandenen Deutung, die an ihrer Emotionalität nichts eingebüßt hat. Die „Csárdásfürstin“ übrigens läuft noch immer in Graz, ganz ohne Aufruhr.
Manche Produktionen, etwa die „Elektra“ von der Eröffnung des Opernneubaus in Kopenhagen, wurden zu anderen Bühnen umgesetzt, einige, so die Stuttgarter „Götterdämmerung“ und der Hamburg/Wiener „Don Carlos“, gibt es glücklicherweise bleibend auf DVD.
Nach Phasen der Krise, die sich auch auf das kreative Schaffen auswirkten – bedingt nicht zuletzt durch den üppigen Scherbenhaufen, den Ende 2011 die Vertragsauflösung des ab 2008 als Chefregisseur in Leipzig agierenden Konwitschny hinterließ, stand der Regisseur immer wieder gestärkt da und scheint kreativer denn je. Offenbar ist ein Vagabund wie er weder für feste Bindung noch für Posten gemacht. Seine beachtliche Karriere führte ihn von Barcelona, Basel und Berlin über Montepulciano, Moskau und München bis hin nach Paris, Tokyo und Wien. Er ließ er sich weder auf Händel noch auf Wagner festlegen, auch nicht auf die Moderne von Bartók und Berg, Janácek und Nono, Schönberg und Weill. Bei allen hat er tiefgründig geschürft und Substanz freigelegt, was mitunter verblüffte und die Werke keineswegs zerstört hat. Dass er just zum Geburtstag an einer doppelten Uraufführung arbeitet, die er dem Komponisten Johannes Harneit in Auftrag gab – „Abends am Fluss / Hochwasser“ haben am 6. Februar in Heidelberg Premiere –, stimmt absolut hoffnungsvoll.