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Uraufführung von Wolfgang Rihms "Samothrake" im Gewandhaus zu Leipzig

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Leipzig - Am 15. März wird "Samothrake - für Sopran und Orchester" von Wolfgang Rihm in Leipzig uraufgeführt. Es singt Anna Prohaska, Ulf Schirmer dirigiert das Gewandhausorchester. Wolfgang Rihm komponierte "Samothrake" im Auftrag des Gewandhauses anlässlich seines 60sten Geburtstages in diesem Jahr. Über sein neues Werk und über sein Schaffen hat das Gewandhaus ein Interview mit dem Komponisten veröffentlicht:

Gewandhaus (GWH): Herr Rihm - der Titel des neuen Werks lässt an Programmmusik denken - liegt der neuen Komposition ein Programm zugrunde?

Wolfgang Rihm (WR):
Der Titel ist der, den Max Beckmann seiner Dichtung gab. Dieser dichterische Text ist die „Grundlage" meiner Komposition. Programmmusik im eigentlichen Sinne ist es nicht.

GWH: Was hat Sie zu dieser mythologisch klingenden Themenwahl inspiriert?

WR: Ebenjener Text. Max Beckmanns künstlerisches Prinzip ist das der Verdichtung. Man kann das selbst in seinen kleinsten bildnerischen Arbeiten erfahren: Er rückt die Dinge in ihrer physischen und psychischen Dimension aneinander, ineinander, übereinander. Und wie in seinen Bildern verfährt er auch in seinen literarischen Äußerungen. Es entstehen psychologische Doppelbelichtungen.

GWH: Liegen ihre Inspirationsquellen häufig außerhalb des Musikalischen oder arbeiten Sie auch an rein musikalischen „Aufgabenstellungen"

WR: Als Komponist arbeitet man immer konkret an der klanglichen Gestalt. Es gibt in der Musik daher auch eigentlich nicht „Abstraktes" - was wäre das Konkrete, wenn nicht die Klangbewegung selbst? „Gegenstände" sind nur über den Umweg der Metapher - also eigentlich „abstrakt" - in das Klanggeschehen hineinzudeuten; sie sind eher das Projekt der Deutung, der Rezeption. Nicht etwas, das dem Komponisten als primäre Motivation innewohnen könnte. Auch bei so bezeichneter Programmmusik ist der Klang das Konkrete. Der etwaige Inhalt ist „abstrakt".

GWH: Was zeichnet den Text aus, der in „Samothrake" vertont wird?

WR: Einerseits das für Beckmann typische Verdichten. Er ist im eigentlichen Sinne ein Ver-Dichter. Dieser Text - eine Art Reflex auf Nietzsches „Dionysos Dythiramben" (alleine deswegen musste ich auf ihn stoßen) - dieser Text also reflektiert die Situation des durch die Kriegs- und Weltlage zersplitterten Wertekonsens. Die Reflexion vollzieht sich auf mythologischen Splittern. Man lese den Text ruhig Wort für Wort: Es taucht die Beckmann´sche Bildwelt, ja sogar die Farbwelt selbst auf. Bis in die individuelle Art des Farbauftrags auf der Fläche ähnelt der Gang der Sprachbilder dem schöpferischen Temperament des Autors.

GWH: Wie ist die Wahl auf Beckmann gefallen?

WR: Die Wahl fiel mir zu, wie schöpferische Zufälle es nur vermögen. Als Mitglied der Max Beckmann-Gesellschaft erhalte ich die Publikationen des Max Beckmann-Archivs. Ich bin seit meinem elften Lebensjahr dem Gegenstand leidenschaftlich verbunden. Ich fand also den bis dato unveröffentlichten Text und war sofort affiziert von - wie schon angedeutet - der Dichte. Hinzu kommt, dass ich vor einiger Zeit einen Ausschnitt aus Beckmanns berühmter Londoner Rede (1938 anlässlich der Ausstellung „Twentieth Century German Art" gehalten) unter dem Titel „Der Maler träumt" vertont hatte. In die Ausdruckwelt dieser Rede schien das Thema von „Samothrake" hineinzuspielen.

GWH: Ist es von Bedeutung, dass der Autor ein Maler ist?

WR: Nur insofern als der Text von Max Beckmann stammt. Dessen schöpferischer Konstitution fühle ich mich nah.
GWH: Wie haben Sie den Text behandelt?

WR: Ich habe nicht in den Text eingegriffen, höchstens, dass es die typischen für das musikalische Darstellen einer Textwelt gelegentlichen Wiederholungen von Worten gibt. Ich habe auch sprachliche Ungereimtheiten nicht geglättet.

GWH: Wenn Sie das Werk in eine formale Gattung einordnen müssten, wie würden Sie es beschreiben?

WR: Ich bin ja kein Musikwissenschaftler, ordne also nicht ein, was ich hervorbringe. Aber ich denke, das Werk spielt im Ausdrucksfeld des Monodrams - ohne jedoch eine primär theatralische Komponente aufzuweisen. Vielleicht doch näher zum Orchesterlied? Kantate?
Ich glaube, dass in „Samothrake" nicht so sehr die individuelle Befindlichkeit einer subjektiv befangenen Protagonistin im Zentrum steht (wie bspw. in Schönbergs „Erwartung").
Es ist eher der Blick in den Weltzustand. Vielleicht artikuliert sich eine Seherin? Das mythologische „Samothrake" ist ja ein sehr durch weibliche Intuition umschriebener Ort: verehrt wurden dort besonders Gottheiten, die unter dem Begriff der „Großen Mutter" figurieren (Aphrodite, Demeter, Hekate)

GWH: Ist es Zufall, dass Sie 2011 auch ein Werk mit dem Untertitel „Szene" komponiert haben? Interessiert Sie diese musikalische Form besonders?

WR: „Szene" ist bei mir oft ein Versuch, den Gattungsbegriff offen zu halten. Außerdem: allein, dass ein zweiter Ton einem ersten folgt - das ist für mich bereits Drama. Also „Szene" pur.

GWH: Was ist der größte Unterschied zu den anderen Werken, die Sie bislang für das Gewandhausorchester komponiert haben?

WR: Es waren bisher instrumental dominierte Kompositionen. In „Samothrake" dagegen umgibt der Klangraum ein vokales Zentrum. Aber die Vokalität bildet auch das Zentrum des Violinkonzerts „Coll´Arco" und in meinen Orchesterwerken der letzten Jahre bin ich vor allem an der „singenden" Weitergabe der musikalischen Energie interessiert. Wo wäre dieses Gesangliche des instrumentalen Spiels besser aufgehoben als bei einem so wunderbaren des Gesangs mächtigen Instrumentalensemble wie dem Gewandhausorchester?

GWH: In welcher Weise nimmt das Uraufführungsensemble Einfluss auf die Entstehung eines Werks?

WR: In diesem Falle habe ich mehr an die Solistin gedacht: An Anna Prohaska, für die ich das Stück komponierte. Ich halte ihre Stimme für ideal, diese von Beckmann visionär verdichtete Ausdruckswelt in vibrierende Gegenwart zu führen. Dass der Farbenreichtum und die bereits erwähnte „Gesangsfähigkeit" des Gewandhausorchesters dabei mitziehen wird, hat mich beim Komponieren mit ruhiger Gewissheit versorgt: ich musste mir darum keine Sorgen machen.

GWH: Wo sehen Sie Ihre künstlerische Entwicklung grade?

WR: Auch hier gilt: Ich bin kein Musikwissenschaftler - der Vogel ist kein Ornithologe. Außerdem bin ich ein schöpferisches Naturell, das sich im Fluss befindet und auch in Fluss bleiben möchte. Mitteilung über meine schöpferische Entwicklung geben die Werke; und deren Prinzip scheint nun seit bald 50 Jahren der Wandel an sich zu sein. In dieser schönen Paradoxie gedeiht meine Arbeit.

GWH: Alleine im Jahr 2011 haben Sie 10 Werke komponiert - haben sich Ihre Erwartungen an die Stücke im Live-Konzert immer erfüllt?

WR: Jedes der Kinder ist einzigartig und wird mit Liebe erwartet und begleitet. So wie es auch aus Liebe erzeugt ist. Auf die Musik bezogen: nichts kann die „Live-Aufführung" ersetzen. Und jede ist anders. So zeigen die Kinder in jedem Moment ihres leibhaftigen („livehaftigen"?) Erscheinens eine zudem andere Gestalt. Sie sehen, ich bin familientechnisch äußerst beschäftigt.
 

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