„Ich könnte mich nie als Entertainer begreifen“ hat Jon Vickers von sich selbst gesagt. Denn da stand in seinen reifen Jahren ein wuchtiges Mannsbild auf der Bühne, dem man das Etikett „Held“ in der Handlung abnahm – und der den Begriff „Heldentenor“ tönend erfüllte.
Wer Oper als Fest des reinen Schöngesangs versteht und liebt, wird nicht so sehr trauern. Doch wer jenseits aller Worte Gesang als zutiefst menschliche Entäußerung versteht - aus berstender Kraft heraus gezügelt, fast mühsam kontrolliert und von im Innern lodernder Emotion, ja Gewalt kündend – der war von Jon Vickers beeindruckt, gebannt und fasziniert. Speziell die leidenden Helden wurden seine Stärke: Aeneas in Berlioz „Trojanern“ schon 1957 in London und opernweltweit immer wieder, der mordend scheiternde Clown Canio 1960 an der New Yorker Met, davor schon Radames, Florestan, Don José, immer wieder auch Otello, nach dem Siegmund dann später vor allem Tristan.
Dabei hat der 1926 im kanadischen Sasketchewan geborene Vickers als tenoraler Leichtfuß begonnen: parallel zu seiner kaufmännischen Tätigkeit sang er in Amateurproduktionen Gilbert-and-Sullivans oder Victor Herberts. Auf Anraten einer Soprankollegin studierte er ab 1949 ernsthaft und debütierte 1954 als Herzog in „Rigoletto“ an der Canadian Opera Company. Nach einem zunächst erfolglosen Vorsingen in Londons Covent Garden wollte Vickers die Sängerkarriere aufgeben.
Doch dann kam 1957 das Angebot zu einem 3-Jahres-Vertrag aus London. Im Sommer 1958 folgte Bayreuth und im November dann die singuläre „Medea“-Aufführung an der Seite von Maria Callas in Dallas: sie hatte eben eine Absage aus New York erhalten und schleuderte ihre ganze Wut und Rachsucht dem Jason von Vickers entgegen – und der war der einzige Tenorheld, der mit ähnlichem Furor entgegnen konnte – ein Solitär im Bereich der Live-Mitschnitte. Damit war Jon Vickers in der obersten Etage der Opernwelt angekommen: über 25 Jahre an der „Met“, noch länger in Covent Garden. Dort war Vickers auch ein ergreifend verlorener Peter Grimes oder ein glaubhafter Samson in Händels Vertonung. Ausgerechnet in der Uraufführungsstadt München blieb es im Herbst 1975 bei einem einmaligen „Tristan“-Gastspiel zusammen mit Birgit Nilsson: Vickers fühlte sich mit seinem sehr Text bezogenen Gestalten des 3.Aufzugs von Wolfgang Sawallisch nicht verstanden und kam nie wieder. Dagegen fühlte er sich auf der Breitwandbühne des Salzburger Festspielhauses sehr wohl – und füllte sie unter Herbert von Karajan: Otello und Tristan sind Gipfel dieser Zusammenarbeit, in denen Pathos, Fallhöhe, Turbulenz im Inneren, losbrechende Gewalt und zerstörerische Leidenschaft zusammenfließen zu grandios heldischem Scheitern. Es sind tönende Spuren, die Jon Vickers hinterlässt, die derzeit noch niemand fortspinnen kann.