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„Regen aus der Erde“: 2006 hob piano possibile die „Elektro-Oper im Wald“ von Klaus Schedl aus der Taufe. Foto: Regine Heiland
„Regen aus der Erde“: 2006 hob piano possibile die „Elektro-Oper im Wald“ von Klaus Schedl aus der Taufe. Foto: Regine Heiland
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Ad absurdum geführte Realitäten

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Symptomatisch für München: das Ensemble piano possibile verabschiedet sich nach 22 Jahren
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Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedete sich Münchens innovatives Ensemble für Neue Musik piano possibile aus der Musikszene. Es läge nahe, in der Musik des allerletzten Abschiedskonzerts im Münchner i-camp entsprechende Bezüge zu suchen. Doch soweit ließ sich das Ensemble nicht herab, die versagte Förderung in einer platten Nummer zum Thema zu machen. Zumindest nicht vordergründig. Nein, der Auftritt sollte vielmehr noch einmal deutlich machen, was München verloren geht.

Im Jahr 2013 hatte Michael Beil sein „exit to enter“ für ein gemischtes Sextett komponiert und visuell konzipiert. Der abgehetzte Musiker, roboterhaft in vielen kurzen szenischen Sequenzen in unentwegt wechselnder Besetzung zu gleicherweise inszenierten Projektionen in Beziehung gesetzt, mimte vor Publikum seine Arbeit, um hinter den Kulissen tatsächlich zu musizieren. Es hatte etwas vom Slapstick, was auch in der Musik mit Humor aufgegriffen wurde. Immer enger interagierten die gleichförmigen szenischen Miniaturen mit den Projektionen – letztere auch untereinander. Realität und Bildwirklichkeit führten einander ad absurdum, zumal schon die Musik, vom Sichtbaren abgekoppelt (Playback), den Begriff der Realität ohnehin hinterfragte.

Dieter Dolezels „de:conducted“ von 2014 blieb konsequent in strukturellen Kategorien verhaftet. Das Publikum, mit Freibier auf die Bühnenfläche gelockt, fand sich umkreist von vier Musikern und eingespielten elektronischen Klängen, die in Echtzeit visuelle Effekte in Wandprojektionen steuerten. Repetitiv vorgebrachte musikalische Figuren und Motive wechselten sich ab, verdichteten oder überlagerten sich voller Spannung. Mit E-Gitarre, E-Bass, verstärkten Streichern (Violine und Violoncello) sowie Einspielungen vermochte das Ensemble orchestrale Größe hervorzubringen und mit seiner Dynamik vernetzte Strukturen in Bildern entstehen zu lassen. Thema dieser Netzstrukturen, geometrischen Figuren und graphischen Systeme war die Positionierung des Individuums im Kontext.

Dem Ensemble piano possibile gelang es in den 22 Jahren seiner Aktivitäten, für die vielbeschworene, zeitgemäße Interdisziplinarität immer wieder zukunftsfähige Konzepte zu finden. Das Gesamtkunstwerk ohne Grenzen zwischen E und U, das mit möglichst allen Sinnen wahrgenommen werden kann, ist wohl auch der einzige Weg, dem zeitgemäßen, meist oberflächlichen Event-Entertainment des 21. Jahrhunderts etwas Tiefsinniges entgegen zu setzen.

Nun trotzdem das Aus, und der Schuldige ist schnell gefunden: die kommunale Bürokratie, die keine adäquate Strukturförderung zur Verfügung stellen kann. Die vom Stadtrat beschlossenen Förderrichtlinien sehen keine grundsätzliche dauerhafte Finanzierung vor. Weil sie auch nicht praktikabel wäre. Wer sollte darüber entscheiden? Man kann sich das öffentliche Entrüsten gar nicht vorstellen, die jede Entscheidung bei den Leerausgehenden und in der Tagespresse hervorrufen würde. Mit Recht, denn solche Eingriffe widersprächen den Prinzipien der freien Entfaltung der Kunst und Kultur.

Das Kulturreferat verwaltet den spärlichen Teil der Steuergelder, die ihm eher unwillig bewilligt wurden, gewissenhaft. Das ist ein Amt dem Bürger schuldig. Und immerhin wurde „de:conducted – eine multimediale Video-Oper“ von Dieter Dolezel mit einem „Projektstipendium Junge Kunst/Neue Medien für Musik 2013“ bedacht. Und auch die beiden Abschiedskonzerte wurden vom Kulturreferat gefördert.

Wo ist also Kritik angebracht? Beim Stadtrat, weil er für Kultur zu wenig (Geld) übrig hat? Beim Ensemble selbst, weil es ihm nicht gelungen ist, nach 22 Jahren geförderter Arbeit auf eigenen Füßen zu stehen? Beim Publikum, weil es nicht im ausreichenden Maße die Qualität der Arbeit des Ensembles gewürdigt hat? Beim Otto-Normalverbraucher, weil ihm Kunst und Kultur am Allerwertesten vorbeigeht? Oder auch beim Bildungssystem, weil es seit Jahrzehnten versäumt, kulturelle Werte fundiert zu vermitteln? Ja, vielleicht beim Münchner Künstler schlechthin, weil er allzu oft vergisst, dass er auch per se einen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Auftrag hat, und nach dahingehenden Versäumnissen nicht mehr ernst genommen wird? Schlussendlich beim Sponsor, weil er oft geist- und gehaltvolle Kulturarbeit vom platten Entertainment nicht unterscheiden kann?

Die Kette ist lang, und nicht nur fürs Ende von piano possibile verantwortlich. Das seit September 2014 tätige Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft beim Münchner Referat für Arbeit und Wirtschaft hat bisher offenbar auch keine sichtbaren Ergebnisse vorzuweisen. Die wenigsten Kulturschaffenden wissen überhaupt um dessen Existenz.

In „Mia san mia“-Manier hat sich München zudem auch vom Rest der Welt abgesondert. Die Chancen, als Münchens zeitgenössischer Künstler über die Grenzen der Stadt hinweg bekannt zu werden, sind eher gering. Und der fehlende Austausch muss zwangsläufig früher oder später zum Stillstand führen. Kurz und gut: Das Ende von piano possibile ist symptomatisch. Und wenn sich Ministerpräsident Seehofer – assistiert von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter – auf gute alte bayerische Gutsherrenart erdreis-tet, einen Konzertsaalbau mit links vom Tisch zu wischen, dann nur, weil er sich dessen sicher sein kann, damit die wenigen Stimmenverluste bei der nächsten Wahl mit weit höheren Zugewinnen unter Kollateralschaden verbuchen zu können. Die meisten Bürger halten doch Kulturförderung für rausgeschmissenes Geld. Es wird Zeit, das Problem beim Namen zu nennen.

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