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Sensationsfund in Sulzbach: der Tangentenflügel von 1790. Foto: Koch
Sensationsfund in Sulzbach: der Tangentenflügel von 1790. Foto: Koch
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Den Reichtum an Varianten zelebrieren

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Mit dem Sulzbacher Tangentenflügel wird eine versunkene Klangwelt erfahrbar
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Georg Ott ist ein Wanderer zwischen den Welten. Gerade hat er noch das historische Spielgerät für den zweiten Konzertteil vorbereitet, da verschwindet der Spezialist für alte Tasteninstrumente im Nebenraum, um eine Computeranimation fertig zu stellen. Schließlich will er dem staunenden Publikum nach dem Konzert möglichst anschaulich erklären, wie er denn nun funktioniert, dieser Sulzbacher Sensationsfund namens Tangentenflügel.

Auch dieses im besten Sinne eigenartige Instrument scheint verschiedenen Welten anzugehören: Sein Klang changiert zwischen barockem Cembalo-Brausen, zerbrechlicher Clavichord-Empfindsamkeit und klassischer Hammerklavier-Sonorität, Gleichzeitig prägt es aber eine unverwechselbare Charakteristik aus, auf deren Spuren man sich nur allzugern begibt.

Diese führen – lässt man einmal die Begriffsverwirrung beiseite, die durch die mehrdeutige Verwendung des Begriffs „Tangente“ entstanden ist – nach Regensburg, wo die Orgel- und Klavierbauer Franz Jacob Späth (oder Spath, 1714–1786) und vor allem wohl Chris­toph Friedrich Schmahl (1739–1814) den Tangentenflügel zu einer ernst zu nehmenden Alternative zum Cembalo und zum Hammerklavier entwickelten. Insbesondere die Mechanik, bei der ein Holzplättchen (die „Tangente“) von unten gegen die Saite geschleudert wird, hatten die Beiden so verfeinert, dass sie auch von späteren Kopisten immer eins zu eins nachgebaut wurde – für den Restaurator Georg Ott ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Konstruktion perfekt, nicht mehr verbesserungsfähig war.

Wenn der gegen Ende des 18. Jahrhunderts sehr populäre Instrumententypus dann dennoch recht bald und unwiderruflich verdrängt wurde, so lag das hauptsächlich an der besseren Dämpfung der Hammerflügel. So ist wohl auch die Aussage Mozarts zu deuten, der die Klaviere aus Regensburg so lange favorisierte, bis er die Hammerklaviere des Augsburgers Johann Andreas Stein (der hatte um 1750 kurze Zeit in Späths Werkstatt gearbeitet) kennen lernte: „Ehe ich noch vom Stein seiner Arbeit etwas gesehen habe“, schrieb er im Oktober 1777 an seinen Vater, „waren mir die spättischen Clavier die Liebsten“. Inwiefern dieses Lob auch die Tangentenvariante miteinschloss, lässt sich nicht ermitteln. Dass man in Sulzbach-Rosenberg den Fund stolz als „Mozartflügel“ bezeichnet, führt also ein wenig in die Irre – schließlich hat Wolfgang Amadé das Instrument nicht bespielt – gleichzeitig hat der Adelstitel aber einen his­torisch belegten Hintergrund.

Einmaliger Erhaltungszustand

Unabhängig davon haben die Sulzbacher allen Grund auf „ihren“ Tangentenflügel stolz zu sein. Das Instrument, dass der Druckereibesitzer und Verleger Johann Esaias von Seidel (1758–1827) seiner Gattin zum Hochzeitsgeschenk machte, landete nach deren Tod in einer Holzkiste verpackt auf dem Speicher der Sulzbacher Druckerei. Als diese vor zehn Jahren von der heutigen Eigentümerfamilie entdeckt wurde, erkannte man den Wert des Fundes nicht sofort, doch als Georg Ott den Flügel begutachtete, wurde schnell klar, dass es sich um einen Glücksfall handelte. Denn unter den weltweit nur knapp 20 erhaltenen Tangentenflügeln ist keiner in einem solch originalen Zustand. Sie wurden entweder noch im 19. Jahrhundert durch Reparaturen oder Umarbeitungen spielbar gehalten oder im 20. Jahrhundert nicht fachgerecht restauriert. Für Georg Ott stand deshalb das Konservieren dieses Zustands im Mittelpunkt seiner Arbeit.

Besonders die für die klanglichen Modifizierungen mit Handzügen und Kniehebeln verantwortlichen Materialien sind, so schwärmt Ott, „fantastisch gut erhalten“: die Stoffbüschel des so genannten Harfenzuges und das Leder, das den Tangentenanschlag dämpft. „Jedes Leder hat bestimmte Eigenschaften, historisches Material lässt sich nicht rekonstruieren, weil da handwerkliche Traditionen eine Rolle spielen, die verloren gegangen sind.“ So säuberte Georg Ott das über 200 Jahre alte Leder und walkte es durch, um es wieder geschmeidig zu machen. Erhalten ist auch das extrem feine Filz, mit dem der die Tangenten führende „Rechen“ bestückt ist.

Gleichzeitig war dieser Originalzustand aber von großen Beschädigungen durch Witterungseinflüsse betroffen, was ein komplettes Zerlegen des Instruments nötig machte. Die größte Herausforderung dabei war, so erläutert Ott, der Resonanzboden: „Ähnlich wie bei Silbermanns Instrumenten haben wir es mit einem sehr dünnen Resonanzboden in einem extrem haltbar gebauten, statischen Gehäuse zu tun. Das führt dazu, dass dieser anders auf äußere Einflüsse reagiert.“

Diese heikle Operation förderte ein Detail Späth’scher und Schmahl’scher Handwerkstechnik zutage, ein Markenzeichen, das – neben der Signierung „Christ. Friedrich Schmahl Regensburg 1790“ – eine eindeutige Zuschreibung ermöglicht: Vor dem Einsetzen des Resonanzbodens wurden dessen Rippen mit einer auch im Orgelbau verwendeten roten Farbe versehen, dem so genannten Bolus. Beim vorläufigen Einsetzen wurden so die Stellen für die Einkerbungen in der Resonanzboden-Auflage markiert.

Um das Instrument künftig statisch ein Stück weit zu entlasten, hat sich Georg Ott für etwas geringere Saitendurchmesser als ursprünglich entschieden, eine Maßnahme, die unter anderem durch schwerere Legierungen ausgeglichen werden kann. 

Konzerteindrücke

Die klingenden Früchte dieses konservatorischen Enthusiasmus konnte Ende August ein hochinteressiertes Publikum in den von der Kulturwerkstatt Sulzbach-Rosenberg für Veranstaltungen genutzten Räumlichkeiten der historischen Druckerei Seidel genießen. Christoph Hammer, der Gründer der Neuen Hofkapelle München, und Sylvia Ackermann vom Claviersalon Miltenberg, wo das Instrument künftig fachgerecht aufbewahrt und auch regelmäßig zu hören sein wird, präsentierten ein Programm zu zwei und vier Händen: Abstecher zu Franz Xaver Sterkel und Johann Friedrich Hugo von Dahlberg eingeschlossen, spannte es den Bogen von frühem Haydn über Carl Philipp Emanuel Bachs empfindsames Fantasieren hin zu Mozarts vierhändiger Sonate KV 381.

Dabei wurde der klangliche Reichtum des Instruments auf faszinierende Weise hörbar gemacht: Seine Tongebung kann durch getrennte Pedalaufhebung des unteren und des oberen Regis­ters sowie durch verschiedene Dämpfungen, etwa des Harfenzugs, und una-corda-Spiel (auch in Kombinationen) variiert werden. Harfenähnlich klingt vor allem der natürliche Klang im Diskant, der Leder-Moderator erinnert an ein stark gedämpftes Hammerklavier, andere Kombinationen haben Cembalo- oder Clavichordcharakter, können dabei aber bis zu einem gewissen Grad anschlagsdynamisch differenziert werden. Gleichzeitig setzt sich das Instrument erstaunlich gut im Raum durch. Georg Ott führt es auf das ausgeprägte Klangspektrum des Tangentenflügels zurück, dass man, anders als bei kurz mensurierten Cembali oder Hammerflügeln, nicht das Gefühl hat, „dass im Bass etwas fehlt“.

Sylvia Ackermann, beim ersten Spielen vom Klang des Instruments fast zu Tränen gerührt, beschreibt das Spielgefühl: „Man braucht praktisch keinen Anschlag, es reicht minimale Bewegung, minimale Kraftanwendung. Je weniger man will, umso besser wird es. Der dynamische Spielraum liegt – neben den Registern – in der Zurücknahme, es geht fast unendlich ins Leise. Mit dieser Arbeit im piano-Bereich muss man sich auseinandersetzen.“

Die Wahl der Register ergibt sich nach Sylvia Ackermanns Einschätzung ganz selbstverständlich aus den Werken: „Es ist klar, wo Abschnitte mit dem Harfenzug kommen, in Menuetten zum Beispiel; das Trio verlangt dann natürlich nach ,una corda‘. Das ergibt sich, man bekommt ein Gespür dafür, wo es passt.“ Gleichzeitig hat der Tangentenflügel ihren Blick auf Komponisten verändert: „Ich habe Haydn neu entdeckt, und auf der anderen Seite Musik, die auf dem modernen Flügel manchmal banal klingt, Johann Schobert zum Beispiel. Das Flirrende seiner Kompositionen ist vielleicht nur mit dem Tangentenflügel darstellbar. Man spürt, dass die Komponisten mit dieser Klangvielfalt rechneten, in ihr lebten und komponierten.“

Ähnlich fiel Christoph Hammers Fazit nach der Begegnung mit dem Sulzbacher Instrument aus: „Wir tauchen in eine Klangwelt ein, die noch keinen einzelnen Tasteninstrumententypus zum einheitlichen Ideal erhobenen hatte, sondern die Vielfalt, den Reichtum an Varianten zelebrierte.“

Etwas von dieser Faszination wollen Sylvia Ackermann und Georg Ott zusammen mit weiteren Mitwirkenden am 25. November auch Studierenden und Zuhörern beim Tangentenflügel-Festival an der Frankfurter Musikhochschule weitergeben: In Konzerten und Vorträgen wird das Sulzbacher Instrument hautnah zu erleben und sein Ohren öffnender Klang zu erfahren sein.

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