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Mikis Theodorakis 1996 in den Bauer Studios, Ludwigsburg. Foto: Hans Kumpf

Mikis Theodorakis 1996 in den Bauer Studios, Ludwigsburg. Foto: Hans Kumpf

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Die Einheit von Leben und Kunst – Zum 100. Geburtstag von Mikis Theodorakis

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Ein hochgewachsener Mann betrat die Bühne. Seine Aura füllte sofort den Saal. Schwarzer Anzug, schwarze Mähne. Auf dem Podium breitete er seine Arme weit aus, holte zum ersten Taktschlag aus – und binnen weniger Augenblicke waren alle im Saal in Bann geschlagen … ein Adler flog … nach vielen Zugaben, Gesang, Tanz und Jubel flossen fast immer Tränen, auch bei … 

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Obwohl es gerade mehr als bitter nötig ist, gilt leider noch „politisch Lied“ meist als „garstig Lied“ … weil man ja Goethes „Faust“ anführen kann, wenn auch nur das Faust-Fragment.

Vom Musiker zum Widerstandskämpfer

Fragment blieb nur weniges im Leben dieses künstlerisch Erwählten, der eben darum keine Wahl hatte. Die Eltern erkannten seine Begabung, ließen ihm ersten Unterricht geben, denn Mikis begann als Kind zu musizieren, komponieren und dirigieren. Vom Gymnasium in Athen schaffte er im zweiten Anlauf den Sprung auf das Konservatorium. Dort war er von lauter Köpfen umgeben, in denen alles Gedankengut von „Freiheit“, „Gleichheit“ und speziell Anti-Faschismus nur so gärte. Prompt schloss sich der 18-jährige Mikis dem Widerstand gegen die NS-Besatzung an. Widerstandslieder und das Oratorium „Dritter September“ entstanden, seine lebenslange links-soziale Orientierung ohne Festlegung auf Marxismus oder andere Ideologien, wuchs. So führte sein jugendlicher Weg zum Kampf gegen die Briten in der Befreiungsarmee EAM, 1947 zu seiner Verhaftung und einer schweren gesundheitlichen Schädigung im berüchtigten griechischen KZ Makronissos. 1949 freigekauft vom Vater, legte er vor 1954 sein Examen am Athener Konservatorium ab und konnte mit Stipendien dann in Paris unter anderem bei Olivier Messiaen weiterstudieren. Doch die Bindung an die traditionelle griechische Musik blieb, auch wenn er europäische Formen wie Sonatinen und Symphonien komponierte. Stardirigent Dimitri Mitropoulos wurde aufmerksam, durfte aber in den USA kein Werk dieses „Kommunisten“ aufführen. 

1961 kehrte Theodorakis nach Griechenland zurück, komponierte die künstlerisch zunächst umkämpfte „neue Volksmusik“ und weitete dies zur „metasymphonischen Musik“ in der Verschmelzung von Symphonieorchester mit griechischer Harmonik und Instrumenten wie der Bouzouki: zwei Takte von ihr genügen und weltweit werden Musikfreunde sagen: „Jaja, Sirtaki! Alexis Sorbas!“ 

Vom Freigeist zum Volkshelden

Theodorakis vertonte aktuelle und politische Lyrik, entdeckte über Melina Mercouri hinaus eine singuläre Sängerin wie Maria Farandouri, die ab 1965 seinem „Mauthausen Zyklus“ Weltgeltung verschaffte. Er zog aufgrund seiner Popularität kurz ins griechische Parlament ein – und der vom Freigeist zum Volkshelden avancierte Weltstar wurde 1967 bei Beginn der „Obristen-Diktatur“ sofort verhaftet und erst 1970 durch starken internationalen Protest von Leonard Bernstein über Harry Belafonte bis Dmitri Schostakowitsch abermals schwer erkrankt entlassen. Seine Musik war zuhause verboten, doch die Kunst der 1970er Jahre fand eben nicht im Saale statt, sondern blieb in kleinen, geheimen und dauernd wechselnden Clubs populär – während sein Weltruhm durch Filmmusiken wie „Alexis Sorbas“, „Z“, „Der unsichtbare Aufstand“ oder „Medea“ immens war. 

Auch der junge Günther Wallraff fühlte sich „herausgefordert“, reiste im April 1974 nach Athen, verteilte Flugblätter und kettete sich auf dem Syntagma-Platz an eine Laterne an – seine Folter und Haft endeten erst nach langem Protest. 

Der Künstler und entschieden linke Politiker Theodorakis wurde über zwanzig Jahre von allen Präsidenten weltweit empfangen, brachte den Türken Erdoğan mit dem Griechen Papandreou ins Gespräch – und versprach etwa Nobelpreisträger Pablo Neruda dessen „Canto general“ gegen den amerikanischen Wirtschaftsimperialismus in Südamerika zu vertonen – herausragend aus seinen über 1000 Kompositionen. 

Zwar zog er sich nach zahllosen Konzertauftritten und zwei Welttourneen vor der Jahrtausendwende aus dem öffentlichen Leben zurück – protestierte aber sofort, wenn es für ihn unumgänglich war: gegen die NATO-Bombardierungen in Jugoslawien 1999, gegen die Behandlung des gekidnappten Kurdenführers Abdullah Öcalan, gegen die US-amerikanische Regierung unter George W. Bush und den Irakkrieg 2003, für die Palästinenser. 

Internationale Ehrungen hielten Theodorakis nicht davon ab, gegen die inhumane Griechenland-Politik der „Troika“ zu protestieren: 2012 ließ er sich noch im Rollstuhl zur Demonstration fahren und wurde dabei schwer verletzt. Bis zuletzt pflegte er Kontakte und gab engagierte Interviews, während seine Musik weltweit tönte: nach Edith Piaf, Nana Mouskouri und und und sang auch ein Opernweltstar wie Agnes Baltsa seine Lieder – und derzeit schlägt ein Konstantin Wecker seine Töne an. Da tönt ein Feuer, da strahlt eine Emotion, da fegt ein Rhythmus an – da ist an den Grabspruch des anderen Unangepassten, an Nikos Kazantzakis zu denken „Ich hoffe nichts, ich fürchte nichts – ich bin frei“ – doch halt: Theodorakis hat doch immer eine Hoffnung unerschütterlich hochgehalten: auf eine gerechtere Welt für alle Opfer! Damit bleibt er unsterblich!

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