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Yuval Gotlibovitch. Foto: Stefan Brehmer
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Die Kluft zwischen Komponist und Publikum schließen

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Ein Interview mit dem Bratscher und Komponisten Yuval Gotlibovitch
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Wir treffen Yuval Gotlibovitch bei den Proben innerhalb des Workshops Neue Musik während des diesjährigen Kuhmo Chamber Music Festivals im Nordosten von Finnland. Der Starbratscher aus Israel, der auf dem Festival selbst mit einer seiner Kompositionen vertreten war, erarbeitete in einem Workshop zwei Wochen lang mit Studenten Neue Kammermusik – für das Festival eine Premiere. neue musikzeitung: Während des Kammermusikfestivals in Kuhmo gab es dieses Jahr das erste Mal einen Workshop, in dem Studenten in unterschiedlichen kammermusikalischen Formationen Stücke neuer Musik erarbeiteten. Wie kam es dazu?

Yuval Gotlibovitch: Ich wollte einen Workshop zu neuer Musik als mein Lehrangebot für das Festival verstanden wissen. Und die Organisatoren haben sich darauf eingelassen. Also habe ich im Vorfeld zeitgenössische Komponisten angeschrieben, und sie gebeten, Stücke einzureichen. Es war überwältigend, wie viele Einsendungen es gab; annähernd hundert. Teilweise hatten sie die Stücke extra für uns geschrieben. Ja, schade, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt spielen konnten. Aufgeführt haben wir unter anderem das Streichquartett „In the night“ einer ganz jungen finnischen Geigerin und Komponistin – der 17-jährigen Iiris Kaasinen aus Helsinki – und „Concertante op. 41“ des 1960 geborenen Norwegers Wolfgang Plagge. Es ist immer spannend, zu sehen, wie diese Musik ankommt – in der großen Halle des Festivals vor normalem Publikum.

nmz: Vor „normalem Publikum“ – das klingt, als bräuchte Neue Musik ein „anderes“ Publikum …

Gotlibovitch: Nein, das ist ein Scherz. Aber die Menschen sollten schon einen offenen Geist haben. Wer Neuer Musik ohne Vorurteile begegnet, kann sehen und hören, wie schön und organisiert diese Musik ist – genau wie bei Schubert oder Mozart. Anders ist es wahrscheinlich für jemanden, der nur schöne Melodien hören will – der wird nicht ganz zufrieden sein.

nmz: Sie geben weltweit Konzerte, haben Professuren in Lugano und Barcelona. Was reizt Sie an Neuer Musik?

Gotlibovitch: Zunächst stellt sich mir die Frage, was Neue Musik eigentlich ausmacht – abgesehen davon, dass sie sozusagen kürzlich erst geschrieben wurde. Hätten wir zu Mozarts Zeit gelebt, dann hätte uns vielleicht eine Sonate gereicht, um wiedergegeben zu sehen, was wir denken und fühlen. Heute sind die Formen vielfältiger, auch wenn die Menschen Musik vielleicht immer noch einteilen in „mag ich“ und „mag ich nicht“. Als Musiker und Komponist liebe ich es, wenn sich Künstler mit allem Aspekten von Musik befassen und in ihnen ausgebildet werden. Zugegeben, das ist nicht immer einfach. Viele zeitgenössische Komponisten schreiben Musik, die sehr schwer zu spielen ist. Und die auch sehr schwer anzuhören ist …

nmz: Vladimir Mendelssohn, der künstlerische Leiter des Festivals, mahnte bei der Eröffnung ein wenig zur Vorsicht bei Neuer Musik, vor allem, wenn es sich nur um „intellektuelle Spielereien“ handele …

Gotlibovitch: Man weiß vorher – allein durch das Lesen der Partitur – nie, welche Qualität ein Stück hat. Ich denke, wir müssen die Musik spielen. Auch wenn sich am Ende ein Stück als nicht gut erweist. Als Musiker müssen wir da durch. Es gibt pro Note einfach viel mehr Informationen als in der alten Musik. Alte Musik interpretieren wir intuitiv. Neue Musik ist eher wie ein Animationsfilm. Erst ein Strich, dann der nächste. Und am Ende wird durch die schnelle Abfolge daraus der Film oder, auf ein Stück übertragen, es wird daraus Musik. Unsere Verantwortung als Musiker ist es, dem Publikum eine präzise Arbeit abzuliefern, um diese Kluft zwischen Komponist, Musikern und Publikum schließen zu helfen, die es bei der neuen Musik zweifellos gibt. Gleichzeitig kann ich Vladimir Mendelssohns Aussage auch verstehen: It takes a lot of grass to grow a flower …

nmz: Und was macht die Blume aus?

Gotlibovitch: Ihre Einfachheit. Das ist wie überall in der Kunst: Das Beste ist meistens das Einfache. 

nmz: Nun spielen Sie neue Musik nicht nur, Sie komponieren auch. 

Gotlibovitch: Für mich gehört das alles zusammen. Und es ist ja auch nicht abwegig. Schon in der Barockmusik war es üblich, dass Instrumentalisten auch komponieren, etwa beim Improvisieren der Kadenzen. Wenn ich keine vorgegebenen Kadenzen spiele, sondern selbst improvisiere, beginne ich auch das Stück selbst ganz anders zu begreifen. Und immer wieder neu. Das ist so eine kreative Möglichkeit innerhalb von Solo-Konzerten, die meiner Meinung nach jeder Musiker auch nutzen sollte. Meine Arbeit als Musiker und meine Arbeit als Komponist … Nun, wenn ich komponiere, bin ich einsam. Wenn ich aber merke, ein Stück funktioniert so, wie ich es mir vorgestellt habe, dann bin ich sehr aufgeregt. Mehr noch als würde ich ein Violakonzert geben. Selbst wenn du als Komponist allein bist, kann es dir mitunter mehr geben, als als Solist auf der Bühne zu stehen. Irgendwie sind diese beiden Tätigkeiten grundverschieden und doch sehr verwandt. Jede Komposition beginnt für mich mit einer Improvisation im Kopf. Ich empfinde sie nie als abgeschlossen. Im Gegensatz dazu ist ein Konzert final. Was zählt, ist der Moment, aber hinterher bleibt nichts davon, es sei denn in den Zuhörern, eine Erinnerung.

nmz: Auf dem Kammermusikfestival in Kuhmo wurde ein Ausschnitt aus Ihrem Stück „Judit from Behind the Mirror“ aufgeführt. Ursprünglich 13 einzelne Kompositionen zu Filmclips, in denen sich Schauspielerinnen und Schauspieler des dänischen Theaters Odin (Holstebro) bewegen, 2011 uraufgeführt. Für Flöte, Viola und Bass. In Ihren Stummfilmvertonungen von „Dr. Calligari“ und „Golem“ arbeiten Sie auch mit kleinen Ensembles, einmal Viola und Cello, einmal Violine und Cello. Hat das einen Grund?

Gotlibovitch: Kleine Ensembles stehen für mich für das, was Musik ausmacht: Es ist eine Kunst der Zusammenarbeit. Als Solist findet der Dialog mit dem Orchester statt. Aber als Ensemblespieler bevorzuge ich kleinere Gruppen. Die Art, wie die einzelnen Spieler sich gegenseitig aktivieren, das war auch in der Arbeit mit den Studenten während des Festivals sehr faszinierend. Im kleinen Ensemble ist man sich sehr nah.

nmz: Beeinflusst der Komponist Yuval Gotlibovitch den Spieler Yuval Gotlibovitch?

Gotlibovitch: Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich merke, ja, ich habe als Musiker durch das Komponieren dazugelernt. Ich denke, um Musik zu verstehen, ist es generell gut, selbst auch Musik zu schreiben. Das gilt für alle Musiker, auch wenn sie sich nicht explizit als Komponisten verstehen. Demgegenüber erlebe ich oft Menschen, für die jede Weiterentwicklung – eben auch von Musik – immer schlechter ist als alles, was vorher da war. Diese Auffassung teile ich nicht. 

nmz: Ein Beispiel?

Gotlibovitch: Johann Sebastian Bach. Für viele Musiker und ebenso für viele Zuhörer ist Bach „untouchable“. Aber er sollte nicht unberührt bleiben. Bei allem Respekt, den ich vor ihm habe (und der ist unendlich groß) – ich vertraue dieser Musik so sehr. Aber Bach ist nicht heilig. Zusammen mit dem Violinisten Pablo Martos und dem Cellisten Alberto Martos habe ich mich im vergangenen Jahr intensiv mit Bachs „Goldbergvariationen“ beschäftigt. Wir hatten die Idee, Bach so zu bearbeiten, als wären die „Goldbergvariationen“ heute geschrieben worden. Manches entstand in Jam-Sessions, manches in Diskussionen, manches in der Einsamkeit des Komponierens. Am Ende habe ich 14 Variationen re-komponiert. Andere behielten ihren alten Glanz. Es ist wahrscheinlich immer noch eine Provokation, alte Musik so mit neuer Musik zu konfrontieren. Wir werden sehen, wie das Publikum reagiert: Im Oktober veröffentlicht Sony Classical unsere Einspielung der neuen Goldbergvariationen. 

nmz: Und 2013: Werden Sie sich beim Kuhmo Kammermusikfestival wieder für Neue Musik stark machen?

Gotlibovitch: Auf alle Fälle. Selbst wenn sich der diesjährige Versuch als nicht erfolgreich erweisen sollte, werde ich wieder mit Studenten an neuer Musik arbeiten. Ich möchte wirklich versuchen, dass es erfolgreich wird.

Interview: Stephanie Schiller

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