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Von links: Laura Hovestadt, Aline Müller, Rebekka Stephan und Anna Neubert. Fotos: Dörthe Boxberg/Stadt Köln

Von links: Laura Hovestadt, Aline Müller, Rebekka Stephan und Anna Neubert. Fotos: Dörthe Boxberg/Stadt Köln

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Ein Netz wechselseitiger Abhängigkeiten

Untertitel
Aline Sarah Müller ist Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendiatin der Stadt Köln
Vorspann / Teaser

Gemeinsames Musizieren ist interaktiv und sozial. Das gilt vor allem für Kammermusik, wo alle Beteiligten solistisch in einem sich selbst organisierenden Kollektiv agieren. Statt über einen Dirigenten kommuniziert man direkt über Hören, Gestikulieren und gemeinsames Atmen. Ein solch zitterndes Netz an wechselseitigen Beziehungen und Beeinflussungen spinnt Aline Sarah Müller wortwörtlich in ihrer Werkserie „Invisible Strings Shivering“.

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Im gleichnamigen Streichquartett laufen Nylonfäden von den Saiten des einen Instruments zum anderen. Statt Geigen, Bratsche und Cello direkt zu bespielen, zupfen und streichen die vier Musikerinnern auf diesen Fäden, deren Vibrationen dann in beiden Richtungen auf Saiten, Steg und Korpus der verknüpften Instrumente hörbar werden. Statt nur das eigene, senkrecht auf die Knie gestützte Instrument bespielt man in diesem symbiotischen Organismus immer zugleich auch die benachbarten. Am Ende wird das Geflecht zerschnitten und alle reiben gemeinsam die zum Cello laufenden Fäden. Weil die Strippen kaum zu sehen sind, wirken die Klänge wie körperlos aus der Luft gegriffen.

Ebenso eng verbunden agiert ein Gitarrenduo. Je zwei Saiten der Instrumente sind mit Nylon verknüpft. Die einander gegenübersitzenden Spieler spannen die Fäden, indem sie die Gitarren zu sich ziehen. Die Konstellation ist konkret physikalisch-klanglich motiviert und zugleich die poetische Inszenierung einer Paarbeziehung. Wechselnde Zugkräfte und über die Saiten fahrende Glasstäbe verflüssigen die Klänge zu mikrotonalen Tonbeugungen und wachsweich fließenden Glissandi. Am Ende werden die Saiten immer tiefer herabgestimmt, bis sie ihre Spannung gänzlich verlieren und die über die Verbindungsfäden fahrenden Finger nicht mehr auf den feinnervig resonierenden Gitarren zu hören sind.

Ähnliche Präparationen hat es seit den 1960er Jahren verschiedentlich gegeben. Doch Aline Sarah Müller geht klanglich und poetisch originell damit um. Die 2001 im Schweizerischen Langenthal geborene Komponistin hat im Sommer das mit 12.000 Euro dotierte Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium der Stadt Köln erhalten. Nun wurde sie bei einem Konzert in der Kölner Kunst-Station Sankt Peter porträtiert. Ihre Musik ist sinnlich, plastisch, nachvollziehbar, konzeptuell, überlegt, hoch artifiziell und hintergründig. In „A Fistful of Smiles Fell on the Floor“ greift Solocellistin Rebekka Stephan mit beiden Händen perkussiv – auch mit Metallfingerhut – auf die Saiten und traktiert unterschiedliche Stellen des mikrophonierten Cellos mit Fingerkuppen, Knöcheln, Handflächen. Das Streichinstrument wird zum Schlaginstrument.

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Jonas Evenstad. Foto: Dörthe Boxberg/Stadt Köln

Jonas Evenstad. Foto: Dörthe Boxberg/Stadt Köln

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„Transparent World Moving Slightly“ spielt Schlagzeuger Jonas Evenstad inmitten einer großen Kugel, wie sie auf Jahrmärkten zum Herumtollen in Wasserbecken dient. Farbe und Abstrahlung der Pulsationen auf Holzblock und Tempelgong werden durch sanfte Drehungen und Dämpfungen an der durchsichtigen Kunststoffhülle modifiziert. Am Ende wird ein Schlitz geöffnet, die Luft entweicht und die tönende Welt fällt in sich zusammen.

Aline Sarah Müller hat Komposition und Violine an der Hochschule der Künste Bern studiert. Gegenwärtig macht sie den Master in instrumentaler Komposition bei Miroslav Srnka an der HfMT Köln, den sie nächstes Jahr abschließen wird. Als Geigerin spielte sie im Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester sowie im Studio Musikfabrik und dem improvisierenden Insub Meta Orchestra. Seit 2023 ist sie Geschäftsführerin der Schweizer Musikedition (SME), einer in Bern ansässigen Plattform für Information, Kommunikation und den Vertrieb von Partituren zeitgenössischer Schweizer Komponierender.

Nachdem ihre Musik in vielen Schweizer Städten aufgeführt wurde, wird sie nun auch international entdeckt. Im Mai wurde ihr Orchesterwerk „Horizon & Heartbeats“ bei der letzten Ausgabe von ACHT BRÜCKEN uraufgeführt. Zwei ihrer Werke erklangen jüngst bei den Darmstädter Ferienkursen sowie beim Festival LIMINA in Salzburg. Im Dezember wird das Ensemble Musikfabrik ein neues Stück von ihr im Rahmen der Kooperationsreihe „Adventure“ der Kölner Musikhochschule spielen.

Und im Januar bringt das Asasello Quartett eine Novität von ihr im Festspielhaus Hellerau Dresden zur Uraufführung. Wie von anderen Talenten des seit 1962 vergebenen Förderpreises der Stadt Köln – seit 1978 als Zimmermann-Preis – wird man sicherlich auch von dieser jungen Komponistin weiter hören.

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