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März 2009: Ursula Mamlok am Flügel. Foto: Simon Pauly

März 2009: Ursula Mamlok am Flügel.

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Jeder Ton am richtigen Platz

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Zum 100. Geburtstag von Ursula Mamlok
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Schade, dass sie ihn nicht mehr erleben konnte. Wer sie kannte, erwartete, dass Ursula Mamlok ihren 100. Geburtstag genauso feiern würde wie ihren 90.: voller Zukunftspläne und Tatkraft, getragen von einem liebenswürdigen, lebenszugewandten Temperament. Doch sie war fragiler, als sie sich anmerken ließ: überraschend starb die Komponistin nach kurzer Krankheit am 4. Mai 2016 in ihrer Geburtsstadt Berlin, mit „nur“ 93 Jahren.

 

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Davor lag ein bewegtes Leben, dessen stabilisierende Komponente die Musik war. Wechselnde Stationen kennzeichnen verschiedene Namen, fast Identitäten: Mamlok, die diesen Namen seit ihrer Heirat mit Dwight G. Mamlok 1947 trug, wurde als Ursula Meyer am 1. Februar 1923 in Berlin-Charlottenburg geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters und der Wiederheirat der Mutter nahm sie den Namen des Stiefvaters Lewy an.

Das Ziel Komponistin hatte sie seit ihrer Kindheit klar vor Augen – zu einer Zeit, als weiblichen Menschen die Fähigkeit des Tonsetzens noch grundsätzlich abgesprochen wurde. Den ersten professionellen Unterricht erhielt sie ab dem zwölften Lebensjahr bei Gustav Ernest, ein in Berlin hochangesehener Pianist, Komponist, Dirigent und Pädagoge. Er weckte in ihr nicht nur die Begeisterung für Johannes Brahms – „heute noch einer meiner Lieblingskomponisten“, wie sie später anmerkte – sondern vermittelte auch ein auf Brahms zurückgehendes kompositorisches Handwerk, das Arnold Schönberg veranlasste, den romantischen Komponisten den „Fortschrittlichen“ zu nennen. Auch die Brahms’sche selbstkritische Haltung, das untrügliche Gespür für Qualität eignete sie sich damals an. Sie ergänzte die Ausbildung durch Konzertbesuche, die sie selbst dann fortsetzte, als ihr als Jüdin das Betreten der Philharmonie und der Oper verboten war. Die Erschließung fremder Werke durch konzentriertes Hören ist für Mamlok zeitlebens eine wichtige Weiterbildungs- und Inspirationsquelle geblieben. Der Grundstein für eine aussichtsreiche Karriere schien gelegt zu sein. Doch mit 16 Jahren musste Ursula ihre Ausbildung abbrechen; die NS-Repressalien häuften sich. In buchstäblich letzter Minute bereitete die Familie die Auswanderung nach Ecuador vor. Trotzdem hielt die Tochter die Musik wie einen Schutzschild vor sich; zwischen gepackten Koffern komponierte sie weiter. Sie trotzte auch der Verzweiflung in der kulturell unergiebigen Fremde – es gelang ihr, ein Stipendium für die Mannes School of Music in New York zu ergattern, wohin die 17-Jährige alleine übersiedelte.

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In den USA erarbeitete sich Ursula Lewis, wie sie sich nun amerikanisiert nannte, mit Fleiß, Hartnäckigkeit und Chuzpe allmählich die Position einer angesehenen Komponistin und Professorin an der Manhattan School of Music. Und zögerte auch nicht, fast siebzig Jahre später, nach dem Tod ihres Mannes, in die ungeliebte Geburtsstadt Berlin – Heimat konnte sie nie mehr sein – zurückzukehren, wo sie sich neuen Auftrieb für ihr Schaffen erhoffte. Sie war 83 Jahre alt. Das aufkommende Interesse einer jüngeren Generation galt beileibe nicht einem „Verfolgten-Bonus“: Kolja Lessing, Hartmut Rohde, Jakob Spahn, Holger Groschopp, Heinz Holliger – mit dem sie ihr Oboenkonzert überarbeitete – entdeckten die Qualität einer Komponistin, die sich unbeirrt die eigene Sprache einer  fantasievoll strukturierten Moderne erarbeitet hatte. Nach Studien bei Jerzy Fitelberg, Gunther Schuller und dem Schönberg-Schüler Stefan Wolpe hatte sie vor allem dessen Schüler Ralph Shapey dazu ermutigt.

Unter Federführung der Dwight  und Ursula Mamlok-Stifung, die jährlich einen renommierten Interpretenpreis abwechselnd in Berlin und New York vergibt, fanden zum 100. Geburtstag zahlreiche Veranstaltungen statt. Eine Grünfläche in Berlin-Schöneberg, unweit von ihrem Elternhaus, wurde „Ursula-Mamlok-Park“ getauft.Im Konzerthaus Berlin war auch das kammermusikalische Frühwerk zu erleben, das noch von der soliden, aber eher konservativen Ausbildung bei Gustav Ernest und später bei George Szell geprägt ist. Ein Konzert des Vereins musica reanimata würdigte das legendäre Black Mountain College, wo Mamlok mit den Vertretern einer Moderne in Berührung kam, nach der sie suchte: Stefan Wolpe und Eduard Steuermann waren darunter. Sie studierte dann eine Saison lang bei Roger Sessions. Höhepunkt der Berliner Veranstaltungen war ein Sinfoniekonzert im Konzerthaus, bei dem ihr orchestrales Hauptwerk „Constellations“ erklang. Pragmatisch, wie sie war, hatte Mamlok kein Interesse, für die Schublade zu schreiben; sie arbeitete nach Auftrag oder im Kontakt mit ihr bekannten oder befreundeten Interpreten. So sind große Orchesterstücke in ihrem Œvre Mangelware, überwiegend verfasste sie Ensemblewerke und Vokalmusik.

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Auch Szenisches findet sich bei ihr nicht, selbst wenn ein Gesangszyklus wie „Der Andreasgarten“ als dramatische Erzählung gelten kann. „Constellations“ entstand 1993 im Auftrag des San Francisco Symphony Orchestra; der Dirigent der Uraufführung war kein Geringerer als Herbert Blomstedt. „Es war klar, dass Ursula diesen Riesenauftrag nutzte, um ihr ganzes Können zu zeigen und ihren kompositorischen Standpunkt ganz deutlich zu machen“, erzählt Hartmut Rohde, Dirigent der Aufführungen in Hamburg und Berlin.

Quasi „in a nutshell“ zeigen sich hier viele Eigenarten ihres Stils: Die Knappheit und Dichte, die sie schon bei Gustav Ernest erwarb: „Schreibe nie eine Note zuviel“ war sein Ratschlag, von dem sie sich zeitweise sogar blockiert fühlte. „Das Komponieren wird dadurch nicht einfacher und geht nicht schneller“ kommentierte sie. Doch unbedingt ist hier jeder Ton am richtigen Platz. Mit einer Fanfare, die in ihrem Intervallaufbau ebenso an „Zarathustra“ von Richard Strauss wie an Schönbergs „Kammersymphonie“ erinnert, verschafft sich Mamlok im ersten  der vier Sätze einen gro­ßen Auftritt.

Rohde weist darauf hin, dass dieses Pathos im äußerst kurzen zweiten Satz gebrochen wird, mit einer grazioso-Stelle, die den Duktus des kinderliedhaften „Einmal hin, einmal her“ aufgreift. „Oh du lieber Augustin“ aus Schönbergs 2. Streichquartett ist da nicht weit. Insgesamt weisen die „Constellations“ eine „zwölftönige“ Ausdrucksgespanntheit auf, deren Farbigkeit chamäleonhaft wechselt. Postmodernen Strömungen hat sich Mamlok niemals angedient, doch ihre Moderne des späten 20. Jahrhunderts ist alles andere als veraltet.

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