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Peter Neumann. Foto: Kölner Kammerchor

Peter Neumann. Foto: Kölner Kammerchor

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Kostbare Momente, große Übergänge

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Nachruf auf Peter Neumann
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Der Kölner Kirchenmusiker, bedeutende Chorleiter und Dirigent Peter Neumann ist im Alter von 85 Jahren wenige Tage vor dem 70. Geburtstag von Helge Schneider gestorben. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, bis auf dass beide große Musiker sind? Ein kleines Bisschen. Ende Juni vor zwanzig Jahren kamen beide, unerkannt Rücken an Rücken an verschiedenen Tischen, an einem Freitagabend im „Amalfi“ in Essen-Werden einmal zusammen. Schneider kam wohl von Mülheim-Saarn kurz rüber, Neumann hatte zuvor mit dem ChorWerk Ruhr in der Folkwang Hochschule geprobt. Letzterer, kein großer Esser, ließ sich seine Reste einpacken, „für den Papagei“; der alte Haydn besaß ebenfalls einen, den er als größten Schatz aus London mitgebracht hatte. Ersterem hätte das mit dem Papagei, allein dem „Meisenmann“ oder der „Vogelhochzeit“ wegen, bestimmt gefallen, wie andersherum Neumann den Humor und die geniale Musikalität Schneiders geschätzt hätte. Jedoch, der Moment blieb singulär und verschwand im gestaltlosen Gang der Dinge.

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Musik indes als Abfolge strukturierter, er- oder gefundener Klangereignisse in der chronologischen Ordnung der Zeit wiederholt diese mal mehr, mal weniger frei, holt sie verändert zurück oder lässt sie ganz fahren; sie lässt gestaltend ihre eigene Zeit vor- und zurücklaufen. Wäre Musik dann so etwas wie Erinnerungsarbeit anhand beziehungsreicher Momente, deren Fülle sie ausspinnt und fortträgt, so war Peter Neumann einer ihrer strengsten wie auch liebevollsten Arbeiter, der mit Ernst und Hingabe beinahe an jedem einzelnen Ton feilte, feinste musikalische und sinnliche Bezüge suchend, das Große im Kleinen, sodass sich Musikereignisse einstellten, die hoch und weit trugen. Die Arbeit mit den von ihm gegründeten Ensembles souverän gehandhabter historischer Aufführungspraxis, dem Kölner Kammerchor und dem Collegium Cartusianum, war kleinteilig und anstrengend. Es machte aber den großen Musiker, der er war, aus, dass sich in Aufführungen die Werke zu eindrucksvollen Bögen schlossen dank wundersamer Kräfte, welche aus der eher zierlichen Gestalt stoben. Exemplarisch bei Bachs Passionen, wo es Neumann, neben Klarheit aund Ausdruck vor allem auf feinste Anschlüsse und tief empfundene Passagen ankam, damit der Übergang vom Leben zum Tod nicht zur Abfolge einzelner Nummern geriete, sondern musikalisch bedeutend und innerlich bewegend in einem Atemzug schier.

Mit solcherlei Tugenden erschloss er, ohne Schütz, Schubert, Schumann, Brahms zu vernachlässigen, die zwei Fixsterne seiner Laufbahn neu: Händel und Mozart. Seit den 80-er Jahren nahm er sich des Ersteren Oratorien nacheinander vor und legte die Dramen und inneren Nöte frei, die deren gelegentlichen Pomp und die glänzenden Oberflächen sehr menschennah grundieren. Damit wurde Peter Neumann zum Urheber einer neuen Händel-Renaissance in Deutschland, dessen Dabringhaus & Grimm-Einspielungen von „Saul“, „Joshua“, „Belshazzar“ und anderen in Händels Wahlheimat stets als die einzig ernstzunehmenden vom Kontinent galten. Was umfassender für seine Gesamtaufnahme der Messen und anderer geistlicher Werke Mozarts gilt: Ein diskographischer Meilenstein aus Zeiten, als es eine EMI, zumal eine EMI Deutschland und deren verdienstvolle „Reflexe“-Reihe gab. Selbst in angeblichen Salzburger Gelegenheitsstücken wie den „Litaniae de venerabili altaris Sacramento“ KV 243 legte Peter Neumann das fulminante Großwerk frei.

Und dabei blieb er, trotz der vielfach preisgekrönten Aufnahmetätigkeiten, etlicher Tourneen seiner Ensembles und der Professur an der Kölner Hochschule, über 40 Jahre Organist und Kantor der südstädter Kartäuserkirche und fehlte nicht einen einzigen Tag im Dienst den er gelegentlich mit Messiæn nachschärfte. Die Anerkennung durch die Leipziger Bach-Medaille 2015 war überfällig, ebenso das späte Debüt an der Kölner Oper mit Händels „Alcina“ drei Jahre zuvor. Es betrübt, dass dieser hochsensible Arbeiter an der Geistlichen Musik als einer solchen, die im rituellen Angedenken gleichermaßen das musikalische Denken feiert, seine letzten zwei Jahre immer tiefer ins Vergessen sank und die allerletzte Passage ungestalt erlebte. Umso heller leuchten die Momente und Übergänge, denen Peter Neumann durch sein Musizieren ganz eigene Gestalt gab.

 

  • Lesenswert: Unser Autor zu Peter Neumanns 70. Geburtstag, nmz März 2020 oder www.nmz.de

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