„Warte doch bitte einen Moment“, haucht Vonda Shepard mit sanfter Soul- Balladen Stimme und für 9.00 Uhr morgens – Ortszeit Los Angeles – ins Telefon, um sofort eine Erklärung hinterher zu schicken: „Ich hole mir noch einen Kaffee und setz’ mich auf die Terrasse“. Man möchte vor Neid platzen. Erstens, weil Vonda Shepard in Los Angeles Kaffee trinkt und zweitens, weil sie ihn alleine trinkt. Der Traum geht weiter: Am frühen kalifornischen Morgen mit Vonda Shepard bei Smog, Autokarawanen und in unmittelbarer Nähe zu Hollywood über ihr im Juni erscheinendes Livealbum „Vonda Shepard Live – A Retroperspective“ und die zugehörige DVD zu parlieren. Denn ein „best of“ Album nach gefühlten acht Alben (zählt man ihre Soundtrackarbeiten zur Gerichtsserie „Ally McBeal“ mit) zu veröffentlichen, entspricht einer längst ausgestorbenen Phono-Tradition.
Schließlich gibt es Künstler, die sich nach zwei Alben völlig verausgabt haben und mit dem dritten Album ein „best of“ feilbieten. Gehört Vonda Shepard zum alten Eisen, dem man nach acht Alben eine Kompilation zugesteht? „Ich verstehe, was Du meinst“ lacht sie, „aber wie Du bereits erwähnt hast, kommt es darauf an, wie man die Alben zählt und lässt man die ‚Ally McBeal’- Alben weg, wären es fünf.
Und nachdem ,Ally McBeal’ als Serie beendet wurde, dachte ich, es wäre Zeit für einen Rückblick. Es hat sich jede Menge Songmaterial angesammelt, das musste ich mal ordnen. Dabei möchte ich das Album nicht als Rückblick einstufen. Für mich ist es ein Ausschnitt dessen, was ich bisher geleistet habe“. Wobei Vonda Shepard betont, dass „der Zeitpunkt absolut passend war, die ,Greatest Hits’ heraus zu geben“. „Am deutlichsten wird das auf der DVD“, erklärt sie, „denn wenn ich sehe, mit wie vielen Künstlern ich gearbeitet habe, kommt mir meine Karriere verdammt lang vor“. Eine Karriere, die fast nicht zu Stande gekommen wäre, hätte Vonda Shepard nicht Alles Ersparte zusammen gerafft, ihr Soloalbum im Alleingang aufgenommen, den Produzenten der Serie ,Ally McBeal’ kennen gelernt und nicht eine Rolle als schauspielernde Bar-Musikerin bekommen. Über diesen Umweg wurde die Phonindustrie aufmerksam und über die Serienrolle liefen plötzlich ihre vorherigen Soloalben. „Ja, das mit Ally McBeal wird immer ein komisches Gefühl bleiben“, meint eine nachdenkliche Vonda Shepard. „Einerseits muss ich mit diesem ,Markenzeichen’ zu Recht kommen, andererseits hat mir die Serie eine Karriere in vielen Ländern ermöglicht. Aber ich kann Dir versichern, dass ich ständig in einem Konflikt stecke, weil ich so mit der Serie personifiziert werde, dass es mich eine Menge Mut kostet, die Konzertbesucher aufzufordern, von dieser Assoziation abzurücken. Darin habe ich Fortschritte gemacht und es geschafft, das Publikum für meine Musik außerhalb ,Ally McBeals’ zu gewinnen. Dieser Zwiespalt ist nach wie vor verwirrend“. Verständlich, wenn die Plattenfirma jedes Soloalbum mit dem Hinweis „The star from ,Ally McBeal’“ brandmarkt.
Eng verbunden mit den positiven Erfahrungen ihrer Karriere ist das düstere Gedankengut der „was wäre wenn“ Abteilung. Wie oft dachte Vonda Shepard nach, was ohne ,Ally McBeal’ geschehen wäre? Kann sie sich an den schlimmsten Gedanken erinnern? „Sehr wohl“, antwortet Vonda Shepard nach kurzem Zögern. „Ich hatte Angst unglücklich und unausgefüllt zu sein, funktionierte es nicht mit der Musikkarriere. Dennoch bin ich eine Kämpferin und hätte eine Aufgabe gefunden. Leicht wäre es mir nicht gefallen. Als ich die Rolle in,Ally McBeal’ bekam, war ich 32. Ein Alter, in dem man nicht noch mal zur Schule gehen möchte.“ Ein Kapitel, das Vonda Shepard erspart blieb.
Dabei wäre es jetzt, da sie sich den Starruhm verdient hat und Künstlern als Vorbild dient, wichtig als Vonda Shepard und mit Kollegen an Schulen zu gehen. Dort könnte man den Kindern aufzeigen, wie schwer ein Start in diesem Business fällt. „Da hast Du Recht. Deswegen versuche ich in Interviews fest zu halten, dass ich die Casting Geschichte nicht unbedingt gut heiße und gebe Einblick in meine harten Anfangsjahre. Für einen Künstler bedeutet dies die Zeit, in der er sich durchbeißen muss und die Grundlagen der ,Star-Reife‘ erwirbt“. Basiskenntnisse, die Vonda Shepard noch täglich hinterfragt. „Ich arbeite gerade an neuen Songs und immer wieder entwickelt sich dieser Teil zur größten Herausforderung. Sind die Songs gut genug und was mache ich da überhaupt? Erst wenn man diese Fragen über Jahre besteht, kann man zum ,Star‘ gemacht werden“.
Wobei Vonda Shepard diese Auseinandersetzungen mit dem eigenen Ich nicht nur auf ihre Retro-Perspektive der letzten Musikerjahre bezieht, sondern auch für die Zukunft an erster Stelle sieht. „Ich möchte noch ein reines Piano/Vocal- Album machen. Und außerdem stelle ich live jedes mal fest, dass mir Up-Tempo Songs, die ich selbst geschrieben habe, im Repertoire fehlen. Das sind die zu bestehenden Aufgaben der Zukunft“. Fast bescheidene Ziele der Vonda Shepard in Los Angeles. Ohne Allüren, ohne Pauken und Trompeten. Und: Das alles ohne „Ally McBeal“. Kein Einspruch, Euer Ehren.