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Die Orgel als Inspirationsquelle. Foto: Kunst-Station Sankt Peter
Die Orgel als Inspirationsquelle. Foto: Kunst-Station Sankt Peter
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Raum für Neue Orgelmusik

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Die Kunst-Station Sankt Peter in Köln und das Festival „orgel-mixturen“
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Orgelkonzerte sind im allgemeinen Musikbetrieb immer irgendwie etwas Spezielles. Vielleicht deshalb, weil solche Veranstaltungen aus naheliegenden Gründen nicht in erster Linie im Konzertsaal, sondern überwiegend in Kirchen stattfinden. Vielleicht liegt es auch am Charakter der Musik, die oft als „geistlich“ empfunden wird, auch wenn viel Orgelmusik spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts längst profan gemeint ist. Orgelkonzerte ziehen auch eine bestimmte Hörer-Klientel an, die sich aus Menschen zusammensetzt, von denen sich nicht wenige durchaus als Orgel-Experten bezeichnen würden, die aber oft aus dem Milieu des Ins­truments stammen. Aus diesem Grund gibt es wenig Außenkontakt der Orgelszene und kaum Berührungspunkte mit aktuellen Komponisten.

Um diese eingefahrenen Wege zu durchbrechen, kreierte der Jesuitenpater Friedhelm Mennekes 1987 die Kunst-Station Sankt Peter im Herzen von Köln. Er hat Sankt Peter zu einem Umschlagplatz für moderne (bildende) Kunst gemacht, zu einem Diskussions-Ort, zu einem Ort intensiver Auseinandersetzung mit Bildern, Skulpturen, Installationen, Meinungen und zeitdiagnostischen Analysen – und eben auch der Begegnung mit Musik! Und zwar ausschließlich mit solcher, die nach 1945 komponiert wurde. Dies ist eine künstlerische Entscheidung, die der Organist und Komponist Peter Bares bereits Mitte der 1970er getroffen hatte, als er im rheinischen Sinzig die legendären „Internationalen Studienwochen für neue Geistliche Musik“ gründete. Als es 1985 in dem beschaulichen Städtchen im Landkreis Ahrweiler zum Bruch mit den Verantwortlichen der örtlichen Kirchengemeinde und Peter Bares kam, exilierten die Studienwochen zunächst in die Bonner Kreuzkirche, dann in die Kölner Kunst-Station, wo Bares 1992 Kirchenmusiker wurde und die Orgel zu einem Avantgarde-Instrument umbaute. Zusammen mit Mennekes formte er aus der Sinziger Idee 2005 den Konzertzyklus „orgel-mixturen“.

Dominik Susteck als Nachfolger von Peter Bares setzt dieses Festival seit 2007 Jahr für Jahr fort, wobei inzwischen so etwas wie eine „eigene Handschrift“ des 1977 in Bochum geborenen Musikers deutlich wird. So erweiterte er den Kreis der Interpretinnen und Interpreten um neue Namen, animierte Kolleginnen und Kollegen, Zeitgenössisches in ihr Repertoire aufzunehmen und für Sankt Peter einzustudieren.

Die Liste der bislang aufgeführten Werke des neuen Festivals umfasst inzwischen mehr als 150 Stücke, rund 50 davon erfuhren in der Kunst-Station ihre Uraufführung. Deutlich wird der Anspruch, aktuelle Komponisten für die Orgel zu interessieren. Äußerst fruchtbar ist sicher die Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk, der seit 2008 Konzerte aufzeichnet und CD-Produktionen unter anderem mit Portraits von Iranyi, Kagel, Ligeti, Stäbler, Stockhausen, Herchet, Hölszky und Rihm ermöglichte, demnächst erscheint eine Einspielung mit Werken von John Cage und Toshio Hosokawa.

Auch das Projekt des „Composer in Residence“ geht auf die Zusammenarbeit von Sankt Peter und den Deutschlandfunk zurück: ausgewählte junge Komponisten werden eingeladen, sich intensiv mit dem Instrument Orgel und seinen Möglichkeiten auseinander zu setzen, sich von ihnen anregen zu lassen und Stücke zu schreiben, die im Rahmen der „orgel-mixturen“ präsentiert werden, darunter sind Namen wie Peter Köszeghy, Luis Antunes Pena, Joanna Wozny, Samir Odeh-Tamimi oder Martin Schüttler. 2017 ist es der 1977 in Israel geboren Eres Holz. Für ihn wie für alle bisherigen „Composer in Residence“ dürften selbstverständlich die einzigartigen Klangspezifika der Orgel der Kunst-Station eine besondere Herausforderung gewesen sein, aber auch einen großen Reiz gehabt haben. Neben dem „klassischen“ Registerkanon einer Orgel mit neobarocker Klangcharakteristik stehen etliche „Spezialregister“ wie Septime, None, Elfte bereit – und vor allem ein geradezu unerschöpfliches Arsenal an Schlagwerken, Zusatzregistern wie Harfe und Physharmonika, Psalterium, Jauler und Sirene, Spielhilfen wie Tastenfessel und Intervallsetzer, nicht zu vergessen die Winddrosseln. Für Komponisten gewiss eine Quelle der Inspiration – für Interpreten die unausweichliche Aufforderung, sich mit diesem Instrument vor den Konzerten genau zu beschäftigen. Denn etliche der Zusatzeffekte gibt es einzig und allein hier in Sankt Peter und wollen erkundet werden! Wer bereits gründlich Erfahrung mit ihnen gemacht hat, ist Altmeister Zsigmond Szathmáry aus Freiburg, der in der Vergangenheit mehrfach bei den „orgel-mixturen“ zu Gast war und auch den aktuellen Zyklus bereichern wird. Neben Organisten der mittleren Generation wie Pier Damiano Peretti (Wien) und Stefan Baier (Regensburg) gestalten mittlerweile vor allem jüngere Interpreten wie Kensuke Ohira (Stutt­gart), Age-Freerk Bokma (Berlin) und Tobias Aehlig (Paderborn), aber auch der Messiaen-Nachfolger Thomas Lacôte (Paris) das Programm.

Schon im letzten Jahr sind die „orgel-mixturen“, was die Zahl der Konzerte angeht, gewachsen: die ohnehin bereits länger in Sankt Peter angebotenen Lunchkonzerte – 30 klingende Minuten am Samstag Mittag bei freiem Eintritt – wurden in das Festival integriert und mit den „großen“ Orgel-abenden (mit etwa einstündigem Programm) verknüpft. Schön für die interessierte Öffentlichkeit, die auf diese Weise noch mehr Begegnungsmöglichkeiten mit der Orgel-Avantgarde bekommt und die Kunst-Station noch einmal mehr attraktiv macht als einen Ort, an dem man die Geschichte, Entwicklung und Weiterentwicklung Neuer Orgelmusik von 1945 bis morgen nachvollziehen und live erleben kann. Bis zum 5. November werden es dann acht Uraufführungen sein, die das Repertoire für Orgel bereichern. Werke von Yasutaki Inamori, Eres Holz, Eduardo Flores Abad, Mesias Maiguashca und Kosuke Ito sind zu hören – hier öffnet sich ein Raum für das absolut Neue in Sachen Orgel.

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