Die Kunst der Griechen, sie spricht seit alters her in Bildern. „Seit meiner Kindheit“, so sagt es der Komponist Dimitri Terzakis, „bekam ich Ohren für zwei Klangwelten. Eins für die östliche Musik und eins für die abendländische. Die erste erlebte ich in der Kirche, wohin mich mein frommer Großvater immer mitnahm, und die zweite von einem alten Trichtergrammophon sowie vom Radio, das vorwiegend klassische deutsche Musik gesendet hat.“ Ein Medium, das damals in technischer Hinsicht noch in den Kinderschuhen steckte, denn es war in der Zeit der deutschen Besatzung weiter Teile von Griechenland.
In zwei Kulturräumen zu Hause, ein „Wanderer zwischen den Welten“, der sowohl Deutschland als auch Griechenland verbunden ist: der Komponist Dimitri Terzakis. Foto: privat
Vom ketzerischen Mut zur Mikromelodie
Bekanntlich ist der aus dem antiken Urbild der europäischen Demokratie hervorgegangene Staat auch nach dem Kriegsende 1945 politisch nicht zur Ruhe gekommen, sondern musste über Jahrzehnte hinweg Bürgerkrieg und staatlichen Terror durch die Militärdiktatur der Obristen erleiden. Zahlreiche Menschen entschieden sich in dieser dunklen Ära zur Flucht aus der sonnigen Heimat, nicht nur Künstler und andere Intellektuelle mit oppositionellem Gedankengut.
Mit just dieser zwiefach geprägten Vorbildung und musikalischer „Ausrüstung“ kam der 1938 in Athen geborene Komponist Dimitri Terzakis 1965 nach Köln, um dort bei Bernd Alois Zimmermann Komposition und Elektronische Musik zu studieren, einem damals in der Szene bekennender Neutöner sehr angesagten Komponisten. Eines der Ziele von Terzakis sei es gewesen, hellenistische Archaik mit (west-)europäischer Moderne zu verbinden. Damit stand – und steht – er freilich weder für blanken Traditionalismus noch für eine seinerzeit favorisierte Avantgarde mit dem schier absolutistischem Anspruch, alles Harmonische zu überwinden. Dimitri Terzakis sieht sich vielmehr als Brückenbauer zwischen den historischen und den gegenwärtigen Polen Europas sowie den arrivierten Klangwelten aus Vergangenheit und Gegenwart.
„Ich arbeite allein nach dem Instinkt“
In seiner ursprünglichen Heimat hätten ihn insbesondere die Melodien der einstimmigen Gesänge, die nicht im klassischen Sinne temperiert sind, durch ihre melodische und rhythmische Flexibilität fasziniert. In Deutschland wollte er dann: „Meinen eigenen Weg finden. Warum sollte ich arbeiten, wie die jeweilige Mode es vorschreibt. Und dabei, das muss ich so sagen, hat mich Bernd Alois Zimmermann sehr unterstützt.“
Dimitri Terzakis, Sohn eines in Griechenland sehr bekannten Schriftstellers, wollte die Welten verbinden, ohne aber auf Moden zu reagieren. In seiner Musik finden sich immer wieder Einflüsse aus beiden Lebens- und Schaffensräumen, die ihn geprägt haben und prägen. Selbstbewusst bekennt er: „Wenn Sie komplizierte Strukturen in meiner Musik suchen, werden Sie vergeblich suchen. Es gibt nichts. Denn ich arbeite allein nach dem Instinkt.“
Dieser Komponist ist ein überzeugter Europäer, der höchst couragiert antrat, Weltbürger zu werden, um seinen eigenen Platz im musikalischen Kosmos zu finden. Terzakis begann, die Territorien des Südens und der Mitte des Kontinents mit ihren unterschiedsvollen Traditionen miteinander zu verflechten, um aus diesem Gefüge etwas so noch nie Dagewesenes zu kreieren. Ein Komponist mit Konsequenz also. Ein Musiker, der sich nicht anbiedert.
„Mit ‚Ikos‘ begann meine Rebellion“
Ausgerechnet in Deutschland studierte Terzakis später das Tonsystem der Antike: „Es hat mir ungeahnte Möglichkeiten der melodischen Gestaltung eröffnet. Aristoxenos, aber auch Claudius Ptolemäus, Quintilian und einige andere wurden zu meinem Evangelium“, schwärmt der Künstler im Rückblick auf sein bewegtes Leben. „In Köln und in Darmstadt hörte ich die damals aktuelle Neue Musik, die mich sehr interessierte. Doch ich habe sofort festgestellt, dass sie nicht meine Welt war. Das strenge Melodieverbot und als Alternative die akrobatischen melodischen Linien aus Septimen und Nonen passten mir nicht.“ Die klangliche Experimentierfreude wurde seinerzeit ja mitunter tatsächlich ins Korsett strenger formaler Grenzen gesetzt. Die Musik aber verlaufe nun einmal horizontal, davon ist Terzakis überzeugt.
Ein weiteres Bekenntnis: „Meine melodischen Linien sind für Mitteleuropäer ziemlich ungewöhnlich. Aber dagegen kann ich nichts tun. Ich habe nie die griechische Volksmusik kopiert, nie. Ich habe Elemente verwendet, aber dass ich Elemente benutze, heißt nicht, dass ich Volksmusik schreibe. Jeder benutzt das gleiche System auf seine Weise und dadurch unterscheidet sich der große Komponist vom Mittelmaß.“
Starke Reduktion des Vertikalen
Der Grieche hat sich in seinen frühen deutschen Jahren gewissermaßen selbst ausgegrenzt, um den kanonischen Vorgaben der Dogmaten aus Donaueschingen & Co. zu entgehen. Mit Erfolg, wie er sich erinnert: „1970 wurde beim Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Basel mein Stück ‚Ikos‘ für Chor aufgeführt. Die Zeitschrift Melos und die neue musikzeitung haben mich als die einzige Entdeckung des Festivals bezeichnet. Mit diesem Stück begann meine Rebellion, nämlich mit Melodien zu arbeiten, und zwar mit Mikromelodien, die sich in einem engen Tonraum bewegten. Im Laufe der Zeit begann der Tonraum dann etwas breiter zu werden. Die Vertikale wurde stark reduziert, oft bis zur Einstimmigkeit.“
Einerseits also kein Konformismus im Sinne des westeuropäischen Etablissements, andererseits aber auch keine Übernahme oder gar Fortführung musikalischer Tradiertheit in einem folkloristischen Sinne. Dimitri Terzakis legt bis heute großen Wert darauf, als Komponist nie fremdes melodisches Material verwendet zu haben.
„Melodie ist in der Neuen Musik noch immer verboten“
Die musikalischen Elemente, die Dimitri Terzakis benutzt und schöpferisch umgesetzt hat, sind zumeist altgriechischen Ursprungs. Er fand sie nicht zuletzt an einem originären Ort: „Natürlich habe ich sowohl das altgriechische Tonsystem studiert als auch das byzantinische. In den Klöstern auf dem Berg Athos habe ich sie in echt gehört, und zwar noch dazu in einer unglaublichen Umgebung. Aber jeder weitere Schritt kam dann bei mir geradezu automatisch.“
All diese Schritte, dieses Fortschreiten des Dimitri Terzakis, haben ihn immer wieder zwischen Athen und Leipzig, zwischen seiner griechischen Herkunft und seiner neugefundenen Heimat pendeln lassen. Ein knappes Jahrzehnt lang unterhielt er eine Professur für Komposition an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy, bis zu seiner 2003 erfolgten Emeritierung. Und noch immer geht der Komponist, der seit vierzig Jahren auch deutscher Staatsbürger ist, neue Schritte, sucht und findet neue Wege.
„Jede neue Phase“, erklärt er, „kommt von allein, ganz unbewusst. Und ich stelle fest, dass jetzt eine neue Phase beginnt. Ich prüfe natürlich, ob sie richtig ist, ob sie meinen Vorstellungen entspricht. Aber sie kommt so automatisch. Mit jedem neuen Stück merke ich, ich mache einen Schritt. Vorwärts, rückwärts, weiß ich nicht. Jedenfalls einen Schritt. Und deswegen dürfte es schwierig sein, eine Analyse meiner Werke zu machen. Ich mache keine Strukturen.“
Ist Dimitri Terzakis somit ein Ausnahmemusiker?
Gewiss. Er weiß freilich auch um die Hintergründe dafür. „Der eine ist, dass ich keine abendländische Musik schreibe. Für die westeuropäische oder mitteleuropäische Norm klingt diese Musik vielleicht fremdartig. Das ist eine Vermutung. Die andere Erklärung ist, dass ich in der Welt der Neuen Musik ein Ketzer bin. Warum? Weil ich hauptsächlich melodisch arbeite – und die Melodie ist in der Welt der Neuen Musik immer noch streng verboten.“
Die Kunst dieses griechischen Komponisten, sie spricht in klingenden Bildern. Und hätte es verdient, viel häufiger aufgeführt und gehört zu werden.
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