Abschied von einer großen Sängerin, die dreieinhalb Jahrzehnte lang das Leipziger Musikleben mitgeprägt hat und auch international erfolgreich war.

Sigrid Kehl: „Ich kann mich für mein Schicksal nur bedanken“
Ältere Opernfreunde, nicht nur in Leipzig, schwärmen noch heute von Sigrid Kehl. Unvergessen sind ihre Stimme, ihre Ausstrahlung, ihre ansteckende Begeisterung für das Musiktheater. Für jüngere Opernfans dürfte es sich unbedingt lohnen, nach Aufnahmen mit dieser Grand Dame zu stöbern, insbesondere natürlich für den sängerischen Nachwuchs.
Von der Bühne hat sich die 1929 in Berlin geborene Künstlerin schon lange verabschiedet, nun heißt es für die Musikwelt, Abschied von Sigrid Kehl zu nehmen. Am 18. Dezember ist sie im Alter von 95 Jahren in Leipzig verstorben.
Sie war zweifellos eine Erscheinung, beherrschte die Bühne und gab auch im persönlichen Gespräch gerne den Ton an. Kammersängerin Sigrid Kehl hat ihr Leben der Musik gewidmet und konnte auf eine erfolgreiche Sängerinnenlaufbahn zurückblicken: „Wenn ich auf die 30, 35 Jahre schaue, in denen ich als Sängerin gearbeitet habe, ist es ist für mich immer noch das größte Erlebnis, dass wir hier den ‚Ring’ aufgeführt haben. Dass ich die Brünnhilden singen konnte.“ Dass es überhaupt dazu gekommen ist, in den 1970er Jahren den nach wie vor als spektakulär geltenden Leipziger „Ring“ von Regisseur Joachim Herz herauszubringen, sei gar nicht so einfach gewesen. Und das just in der Wagner-Stadt! Dort wird noch heute beklagt, dass es keinen Mitschnitt dieses legendären „Rings“ gibt. Auch für die große Wagner-Interpretin Sigrid Kehl ist dies bitter gewesen.
„Leider gab es dann auch kein Gastspiel, wie wir eigentlich gehofft hatten. Aber 300 Mann nach Hamburg exportieren, das war damals einfach nicht opportun.“ Vor allem aus politischen Gründen, steht zu vermuten. Dennoch wurde der Herz-„Ring“ und wurde auch Sigrid Kehl weit über Leipzigs Grenzen hinaus bekannt. Dabei sang sie natürlich wesentlich mehr als nur Wagner.
„Ich habe in den dreieinhalb Jahrzehnten angefangen vom Hirtenknaben über die Priesterin in Verdis ‚Aida‘ so ziemlich alle großen und kleinen Rollen meines Repertoires durchgesungen. Anfangs sogar noch im Altfach, dann das Dramatische, nachher als Mezzo, schließlich und endlich die hochdramatischen Partien. Isolde und Elektra waren dann natürlich die Höhepunkte in meinem Beruf.“
Neben dem deutschen Repertoire sang Sigrid Kehl sehr erfolgreich auch im slawischen Fach, etwa die Küsterin in Janacéks „Jenufa“, sowie in der italienischen Oper, so die Lady in Giuseppe Verdis „Macbeth“. Frühzeitig schon ist die Sängerin eingeladen worden, auch an anderen großen Opernhäusern Europas zu gastieren. „Ich hatte Glück. Es gab Kontakte nach der Schweiz, ich habe als Amneris gastiert, als Küsterin, sang Orff und konnte dadurch immer mal reisen.“ Folglich hat sich der Name Sigrid Kehl rasch herumgesprochen, auch international. „Ich bin auch sonst viel gefragt gewesen“, erinnerte sie sich, schon in fortgeschrittenem Alter, „war in Neapel, Bordeaux, Bologna, in Moskau natürlich sowieso, in Venedig gleich zweimal. Das war immer schön für mich.“
All diese Einladungen stärkten den Ruhm von Sigrid Kehl, fanden aber auch in Leipzig künstlerischen Widerhall „Ich konnte dadurch andere Arbeitsweisen kennenlernen, die Kollegen kennenlernen, konnte so einen Maßstab finden und habe das dann auch gerne wieder zurück mit nach Hause genommen, habe gesagt, ihr seid gut, macht nur so weiter.“
Ein berechtigtes Selbstbewusstsein, das gepaart war mit wunderbarer Bescheidenheit. Die Sängerin hatte mit späterhin legendären Regisseuren und Dirigenten gearbeitet und wusste, worauf es ankam: „Letzten Endes entscheidet es sich immer abends, nicht wer die Person ist, sondern wie man die Rolle gestaltet und wie man das Künstlerische schafft. Aber es ist natürlich ein schönes Plakat für einen selber, wenn man sagt, man hat im Fenice gastiert. Da hätte nur noch Milano gefehlt, aber dazu ist es leider nicht gekommen.“
Sigrid Kehl, sowohl Ehrenmitglied der Oper Leipzig als auch des Leipziger Richard-Wagner-Verbands, hat ihren Beruf geliebt. Er hat ihr Leben geprägt. „Es ist ein herrlicher Beruf. Das ist ein solch schöner Moment, auf der Bühne zu sein, eine Figur zu spielen und ein anderes Leben zu zeigen. Es ist im Grunde genommen jedes Mal eine Erneuerung von einem selbst.“
Sigrid Kehl hat kein Aufheben um ihre Person gemacht. Starrummel wäre ihr zuwider gewesen. Sie hat es stets bescheidener ausgedrückt: „Ich kann mich wirklich nur bedanken für mein Schicksal.“
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