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Musikleben im Umbruch zwischen Provinz und Metropole

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Bleibt Mainz wirklich Mainz? Eine kulturpolitische Umschau von Andreas Hauff
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„Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht!“ Kaum etwas aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sich so tief ins bundesdeutsche Bewusstsein eingegraben wie die Fernsehfastnacht. Nicht ohne Zutun der Mainzer allerdings: Oberbürgermeister Jens Beutel zum Beispiel feierte die Mainzer Hofsänger zu ihrem 75-jährigen Jubiläum als „Inbegriff für Mainzer Lebensgefühl und Lebensart“. Hat Lars Reichow, der erfolgreiche junge Mainzer Kabarettist, Recht mit seinem Hymnus auf die Stadt? „Denkst gern an die Zukunft / doch fehlt dir die Vision / ein Blick nach vorn / und zwei zurück zur Tradition.“ Die Stadt ist sichtlich im Umbruch; etliche Bauprojekte der letzten Jahre dokumentieren die Tendenz zu einem rigorosen Stadtumbau, der sich weniger an den so gerne gepriesenen menschlichen Dimensionen der Stadt zu orientieren scheint als an dem Bedürfnis, im Konzert der Großstädte des Rhein-Main-Gebietes endlich gleichberechtigt mitzuspielen. „Mainz bleibt Mainz“ – aber wie?

„Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht!“ Kaum etwas aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sich so tief ins bundesdeutsche Bewusstsein eingegraben wie die Fernsehfastnacht. Nicht ohne Zutun der Mainzer allerdings: Oberbürgermeister Jens Beutel zum Beispiel feierte die Mainzer Hofsänger zu ihrem 75-jährigen Jubiläum als „Inbegriff für Mainzer Lebensgefühl und Lebensart“. Hat Lars Reichow, der erfolgreiche junge Mainzer Kabarettist, Recht mit seinem Hymnus auf die Stadt? „Denkst gern an die Zukunft / doch fehlt dir die Vision / ein Blick nach vorn / und zwei zurück zur Tradition.“ Die Stadt ist sichtlich im Umbruch; etliche Bauprojekte der letzten Jahre dokumentieren die Tendenz zu einem rigorosen Stadtumbau, der sich weniger an den so gerne gepriesenen menschlichen Dimensionen der Stadt zu orientieren scheint als an dem Bedürfnis, im Konzert der Großstädte des Rhein-Main-Gebietes endlich gleichberechtigt mitzuspielen. „Mainz bleibt Mainz“ – aber wie?Natürlich gehört Johannes Gutenberg zum Gepäck, das der „Medienstandort“ Mainz, Sitz des ZDF, ins 21. Jahrhundert mitnehmen möchte. Am Ende des mit hohen Erwartungen ausgerufenen „Gutenberg-Jahres“ 2000 stand eher Enttäuschung über die geringe Resonanz von Auswärts. Für das Musikleben jedoch gab es reiche Impulse: Neun Kompositionsaufträge vergab die Stadt Mainz an zeitgenössische Komponisten; übers Jahr verteilt gab es Uraufführungen an den verschiedensten Orten mit verschiedenen Mainzer Künstlern und Ensembles. Am innovativsten war davon sicher die multimediale „Konzertante Ausstellung“ im Kleinen Haus des Staatstheaters mit Uraufführungen von Peter Eötvös, Peter Knodt und Georg Birner. Hier wirkten neben dem Staatstheater das Peter-Cornelius-Konservatorium, der Fachbereich Musik der Universität und der Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Wiesbaden mit – ein ungewöhnliches „Crossover“-Projekt in einer Stadt, deren Musikleben traditionell aus lauter voneinander getrenn- ten Nischen zu bestehen scheint.

Die konservative Grundhaltung des Mainzer Publikums spiegelt sich in den Programmen der Sinfoniekonzerte der Mainzer Konzertdirektion in der Rheingoldhalle und des Philharmonischen Orchesters am Staatstheater. Am Staatstheater dürfte Catherine Rückwardt, die zur kommenden Saison die Nachfolge des scheidenden GMD Stefan Sanderling antritt, neue Impulse setzen. Als das größte Defizit das Mainzer Konzertlebens empfindet man indes allgemein das Fehlen eines akustisch günstigen, atmosphärisch angenehmen und räumlich unterteilbaren Konzertsaals. Aus dieser Not geboren, entstand eine zunehmend erfolgreiche sommerliche Konzertreihe. Unter dem Motto „Klassische Musik im Klassischen Raum“ gelang es der im städtischen Auftrag arbeitenden Mainzer Konzertdirektion, etliche attraktive Konzertorte für ein Sommerfestival zu erschließen, mit dem die Stadt Mainz dem erfolgreichen Rheingau-Musik-Festival auf der hessischen Rheinseite ein durchaus attraktives Pendant zur Seite stellt.

In puncto Kammermusik sei vor 30 Jahren in Mainz noch völlig „tote Hose“ gewesen, erinnert sich Volker Müller, Musikreferent im Kulturdezernat. Mittlerweile gibt es Kammermusik nicht nur im Frankfurter Hof, sondern auch an verschiedenen Veranstaltungsorten der „Mainzer Rathauskonzerte“ und nicht zuletzt in der am Eingang zur Mainzer Oberstadt oberhalb des Hauptbahnhofs angesiedelten Villa Musica. Diese Stiftung der Landesregierung veranstaltet landesweit über 150 Konzerte pro Saison, zum Teil auch in Mainz, und arbeitet zugleich mit einem ausgefeilten Programm an der Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses. Obwohl mit dem Frankfurter Hof, dem KUZ (Kulturzentrum) und neuerdings der „Alten Patrone“, einer ehemaligen Munitionsfabrik im Stadtteil Hartenberg, drei attraktive Konzertorte zur Verfügung stehen, fühlt sich die Mainzer Rock- und Jazzszene von der Stadt vernachlässigt. Man beklagt das Fehlen von Probenräumen, Zuschüssen und Auftrittsmöglichkeiten. Im Kulturdezernat bedauert man die durch den kurzfristigen Wegfall von Sponsorengeldern entstandenen Kürzungen der populären sommerlichen Konzertreihe „Mainz lebt auf seinen Plätzen“, verweist aber zugleich auf die Federführung des Jugenddezernats im Bereich der Jugendkulturarbeit. Kulturdezernent Peter Krawietz verspricht zumindest ein offenes Ohr. „Und den meisten“, sagt er, „wird auch geholfen, wenn sie in der Lage sind, ihr Anliegen klar zu formulieren.“

Aus etlichen Gesprächen wird deutlich: Gerade weil die Jazz- und Rockszene von Spontaneität und Improvisation lebt und in kleine Gruppen zerfällt, tut sie sich schwer mit gegenseitiger Vernetzung, langfristiger Planung und klaren Zielen. Dass am 24. und 25. März im „Haus der Jugend“ unter dem Titel „Töne 2001“ eine aus Workshops und Konzerten bestehende Gegenveranstaltung zur Frankfurter Musikmesse stattfinden soll, erfährt man eher zufällig per Mundpropaganda.

In ähnlicher Weise macht auch eine traditionsreiche, eher in Insider-Kreisen bekannte Veranstaltung von sich reden, die im Zeichen allgemeiner Kommerzialisierung der Alternativkultur als kostbarer Anachronismus erscheint: Ins 27. Jahr geht inzwischen das „Open-Ohr-Festival“, das über Pfingsten auf dem Gelände der Mainzer Zitadelle stattfindet. Alljährlich stehen Musik, Literatur, Kabarett, Theater und Film in programmatischem Zusammenhang mit einem Thema, das in kompetent besetzten Diskussionforen unter intensiver Beteiligung des Publikums bearbeitet wird. Vom 1. bis 4. Juni 2001 wird es um den politischen Extremismus und die Frage seiner Verwurzelung in der Mitte der Gesellschaft gehen.

Mitten im Zentrum, gegenüber dem Gutenberg-Denkmal an der Ludwigstraße, liegt das Staatstheater. Derzeit wird das 1832 errichtete Große Haus generalsaniert, als Ausweichquartier für das Große Haus dient die Phönixhalle im Mainzer Industrie-Vorort Mombach, die bis zum Abzug der US-Streitkräfte als Panzerwerk gedient hatte. Im Oktober 2000 hätte das Große Haus wiedereröffnet werden sollen; der überraschend marode Zustand des Altbaus und wiederholte Umplanungen nötigten Intendant Georges Delnon jedoch, die Planungen für eine ambitionierte Eröffnungsspielzeit kurzfristig fallen zu lassen und für ein weiteres Jahr mit geschrumpftem Ensemble einen Ersatzspielplan zu konzipieren. Die befürchtete Durststrecke blieb aus. Im Musiktheater stehen zwar mit „Carmen“, „Evita“, „Salome“ und der „Entführung aus dem Serail“ in der Phönixhalle ausgesprochene Repertoirestücke auf demSpielplan, allerdings in durchweg profilierten Inszenierungen. Im Kleinen Haus setzte der Kabarettist Michael Quast sehr präzise seine witzige Version von Jacques Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ in Szene. Jetzt kommt auch das Kabarett-Publikum, und die Visionen sprießen: Müsste Offenbach nicht gerade in Mainz einen Platz haben – mit der historischen Nähe zu Frankreich, mit Staatstheater, „Unterhaus“, Deutschem Kabarettarchiv und Institut Français am Ort? Quast, dem am 4. März 2001 im Unterhaus der Deutsche Kleinkunstpreis in der Sparte Kleinkunst verliehen wird, wirft in der jüngsten Ausgabe der Theaterzeitung einen Stein ins stille Wasser: „Die Spezialisten sind vor Ort, aber – mea culpa – sie reden nicht miteinander.“ Intendant Delnon jedenfalls strebt eine stärkere Vernetzung der Aktivitäten des Theaters an.

Am 14. September 2001 soll mit einer spartenübergreifenden Premiere die Wiedereröffnung des Großen Hauses stattfinden. Dann werden einem durchweg aufgestockten Ensemble nun erstmals drei Bühnen (mit 924, 463 und 99 Zuschauersitzen) zur Verfügung stehen. Die eigentlich für 2000 geplante Uraufführung von Gavin Bryars’ Gutenberg-Oper, einer Auftragskomposition des Theaters, soll im Frühjahr 2002 auf die Bühne kommen, ebenso (als zweite deutsche Aufführung nach der Dresdener Premiere im März 2001) Peter Ruzickas „Celan“. Mit Hanns Dieter Hüsch, dem 75-jährigen Altmeister des Kabaretts, dessen Laufbahn einst in Aula und Musiksaal der Mainzer Universität begann, wird über eine Opernregie verhandelt, die Mainzer Chöre will Delnon an Oratorien-Inszenierungen beteiligen.

Die stärksten künstlerischen Impulse am Theater hat bislang Ballettdirektor Martin Schläpfer gesetzt, der seinen Vertrag gerade bis zum Ende der Saison 2003/04 verlängert hat. Dass schon die ersten drei Produktionen der inzwischen 20-köpfigen Balletttruppe nicht nur für eine neue Tanzbegeisterung in Mainz, sondern auch für überregionale Aufmerksamkeit sorgten, dass das Ensemble in dieser Saison in Weimar, Freiburg und Lübeck gastiert, dass das ZDF für 3sat gar das „Programm III“ im Mainzer Theater (!) aufzeichnete, all das straft den traditionellen Kleinmut Lügen und weckt auch Ambitionen. Auf die Dauer könnte das Staatstheater mit seinem Jahresetat von derzeit noch 45 Millionen Mark nicht nur zum Forum der städtischen Öffentlichkeit werden, es dürfte auch innerhalb der Region starke Ausstrahlung entwickeln.

Vom Theater zum Peter-Cornelius-Konservatorium im traditionsreichen Dalberger Hof ist es nicht nur geografisch ein kurzer Schritt. Auch Konservatoriumsdirektor Gerhard Scholz, seit drei Jahren im Amt, bemüht sich mit den verschiedensten Projekten um die vielfältige Vernetzung sei- u unes Hauses. Auch er musste im Jahr 2000 wegen der Bauverzögerungen am Theater ein ambitioniertes Gutenberg-Projekt verschieben, weil die Phönixhalle als geplanter Spielort nicht zur Verfügung stand. Im April 2001 wird – in Kooperation mit der FH Mainz – nun das Gutenberg-Musical „Das Geheimnis des schwarzen Giftes“ (Buch: Christian Schidlowsky, Musik: Guus Ponsioen) zur Aufführung kommen.

Musik werde zu sehr als Teil der „Highlight-Kultur“ angesehen, äußert Direktor Scholz im Gespräch; ihm komme es dagegen auf eine stärkere Verankerung in der Alltagskultur an; sie müsse wieder zum „lebendigen Bestandteil der Gesamtgesellschaft“ werden. Er verweist auf das besondere Profil der Ausbildungsstätte Peter-Cornelius-Konservatorium, die mit Berufsausbildung und Musikschule zwei sich gegenseitig ergänzende Standbeine besitze, die in Zukunft noch stärker zu verbinden seien. Mit dem Fachbereich Musik der Universität ist ein Kooperationsvertrag in Vorbereitung. Beide Häuser haben sich nach jahrzehntelanger Rivalität nicht nur auf einen gemeinsam verantworteten Diplom-Studiengang Musik verständigt, sondern zum Wintersemester 2000/2001 auch einen innovativen Bachelor-Studiengang eingerichtet (siehe nmz 2/2001, S. 24).

Eine stärkere Vernetzung und Kooperation im Musikleben der Stadt wünscht sich auch Kulturdezernent Krawietz, gibt aber zu bedenken, dass Künstler zumeist Individualisten seien. Kulturpolitik müsse sich vor Dirigismus hüten; sie solle das ermöglichen, was die kreativen Kräfte in der Stadt bräuchten; auch das spezifische Gesicht des Mainzer Musiklebens innerhalb des Rhein-Main-Gebietes könne nur aus dem in der Stadt arbeitenden kreativen Potenzial entstehen. Zwischen dem umfangreichen Forderungskatalog des 1999 erarbeiteten Stadtleitbildes und den Finanzierungsmöglichkeiten der Stadt klaffe allerdings ein Abgrund, und immer wieder stoße das personell unterbesetzte Kulturdezernat auf seine Grenzen. Den allseits vermissten neuen Konzertsaal wird es freilich geben – allerdings als „Nebenfolge“ des aufblühenden Kongresswesens im Zuge der Erweiterung der Rheingoldhalle.
Krawietz, der die Stadt Mainz im Arbeitskreis Kultur der Regionalkonferenz vertritt, plädiert für verstärkte Kooperation innerhalb des Rhein-Main-Gebiets und für das „interregionale kulturelle Reisen“ zwischen Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt, Hanau und Offenbach. – In der Tat: Mainz, so provinziell es sich mitunter noch gibt, ist nicht mehr Provinz. Erst kürzlich verabschiedeten Spitzenmanager und Wissenschaftler in Frankfurt den Aufruf zu einer Stiftungsiniative, die eine Strukturausstellung „Urbane Metropole Rhein-Main“ vorantreiben soll. Die in diesem Zusammenhang zitierte Äußerung, im Umkreis von 50 Kilometern um Frankfurt gebe es vier oder fünf Opernhäuser, die alle den gleichen Anspruch hätten, ihn aber nicht erfüllten, zeugt allerdings eher von Arroganz als von Sachverstand. Ob die Wirtschaft die Kultur zum Standortfaktor degradieren wird, oder ob es der Kulturszene gelingen wird, den Götzen „Wirtschaft“ auf den Prüfstand zu stellen, ist – gerade in Rhein/Main – eine spannende Frage. Mainz wird jedenfalls nur dann Mainz bleiben, wenn es sich ändert. Ob der Wandel gestaltbar bleibt oder die Stadt überrollt, ist hier, wie andernorts, die Frage.

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