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Mit Musik ein lebbares Morgen gestalten!

Untertitel
22. Bundesbegegnung „Schulen musizieren“ in Erfurt und Weimar
Vorspann / Teaser

Seit über vier Jahrzehnten gibt es die Bundesbegegnung „Schulen musizieren“. So wie sich in dieser Zeit Musikkulturen und -praxen verändert haben, hat sich auch dieses Festival der schulischen Musikensembles weiterentwickelt. Ungebrochen über die Zeiten hinweg zeigt es jedoch, was an Schulen aller Schulformen musikalisch möglich ist.

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Vom 19. bis 22. Juni 2025 fand die 22. Bundesbegegnung erstmals in Thüringen in den wunderbaren Gastgeberstädten Erfurt und Weimar statt. Schulchöre, Orchester und Bands in ihren verschiedensten Formationen kamen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen und boten in Begegnungskonzerten und auf der Open-Air-Bühne auf dem Erfurter Domplatz beeindruckende musikalische Darbietungen. Hier zeigte sich wieder einmal, dass die schulische Ensemblearbeit einen wichtigen Kern der musikpädagogischen Arbeit darstellt, über den sich das Selbstverständnis der Schulmusik ganz wesentlich definiert. Ein großer Dank gilt daher allen engagierten Musiklehrerinnen und Musiklehrern, die Musik für ihre stets fluktuierenden Ensembles arrangieren und die jungen Musikerinnen und Musiker über den Fachunterricht hinaus über ihre gesamte Schulzeit hinweg begleiten. Ohne solch feste Bindungen funktioniert die musikalische Arbeit an Schulen nicht.

Musikalische Bildung ist kein Dienstleistungsunternehmen

Seit der Einführung des Thüringer Schulbudgets wird von vielen Schulleitungen argumentiert, Arbeitsgemeinschaften sollten zukünftig über dieses finanziert und von externen Kräften durchgeführt werden. Der Lehrkräftemangel lässt sich damit nicht wie erhofft kompensieren, weil gerade die hochqualifizierten Absolvierenden, die sich in ihrem Studium oft noch besonders vertieft dem Schwerpunkt der Chor- und Ensemblearbeit gewidmet haben, lieber in andere Bundesländer auswandern oder einen ganz anderen Berufsweg einschlagen. Die Bildungspolitik schiebt den schwarzen Peter den Schulleitungen zu, die sich dann entscheiden müssen zwischen einer Bigband, die bei der Zeugnisübergabe spielt, und dem Regelunterricht. Dabei zeigt sich gerade in der Ensemblearbeit, wie hier ein Zusammenhalt über Klassenstufen hinweg entwickelt wird, der den Kindern und Jugendlichen eine Identifikation mit ihrer Schule ermöglicht.

Dass diese Entwicklung zu einem faktischen Abbau der AG-Arbeit führt, ist in Thüringen bereits festzustellen. Umso mehr muss man sich darum sorgen, dass diese Praxis in andere Bundesländer übergreift: Längst wird Schule an vielen Stellen reduziert auf das für lebensnotwendig gehaltene Pflichtprogramm. Dabei ist das Bekenntnis der Kultusministerien zum Stellenwert des Fachs Musik und zur schulischen Ensemblearbeit in den meisten Fällen durchaus ernst gemeint. Der thüringische Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Christian Tischner, vertrat dieses auch bei seiner Eröffnung der von seinem Haus großzügig geförderten 22. Bundesbegegnung und zeigte sich angesichts der ausgestrahlten Begeisterung sichtlich bewegt. Wenn aber mangels kreativer Lösungsideen das Problem des Lehrkräftemangels auf die Schul­ebene verlagert wird, dann nützen solche Bekenntnisse am Ende herzlich wenig. Darf man zukünftig nur noch Schulen beglückwünschen, an denen Ensemblearbeit gelingt, weil engagierte Lehrkräfte hier auf eine ebensolche Schulleitung treffen? Neues aufzubauen, wird unter solchen Zufälligkeiten wohl schwerlich gelingen. Zwar verfügen die Thüringer Schulen zumindest über ein Budget, mit dem sie AG-Angebote außerhalb des Deputats finanzieren können, doch lebt die schulische Ensemblearbeit gerade von der engen Beziehung zwischen Lehrkräften und den Kindern und Jugendlichen: Beim Musizieren erleben sich Lehrende und Lernende in Rollen, die über reine Wissensvermittlung hinausgehen; hier wachsen sie hinein in ein kreatives und kooperatives Arbeiten. Was im Regelunterricht angebahnt und vorbereitet wird, lebt in den Arbeitsgemeinschaften weiter und wird aus diesen immer wieder in den Unterricht zurückgespiegelt. 

Lebensnotwendiges im Bildungsnotstand

In seinen berühmt gewordenen Schulreden sprach Friedrich Nietzsche von der Schule als einer „Anstalt der Lebensnoth“. Hier ginge es weniger um „Bildung“, sondern um das, was uns für ein späteres Berufsleben als lebensnotwendig erachtet wird. Bis heute bestärken wir dieses System, das uns lehrt und lernt, was wir zum Leben brauchen.

Die Bildungspolitik bekräftigt dieses Denken, sie beschleunigt und optimiert, verspricht uns gar, das Leben mit G9 wieder um ein Jahr zu verlängern. Und da die empirische Wesensschau zu einem Verhaltensmuster von „Aktion“ und „Reaktion“ verführt, werden zur Beantwortung drängender Fragen neue Fächer eingeführt: Demokratiebildung, Wirtschaft, Medienbildung. In einer Zeit, in der wir uns auch in der Schule immer mehr im Modus einer Ich-AG bewegen, das Lernen individualisieren und auf dieser Suche nach dem eigenen „Ich“ immer weniger zu einem „Du“, geschweige denn zu einem gemeinsamen „Wir“ finden, bleibt uns vielleicht gar nichts anderes übrig, als Nietzsches Kritik positiv zu wenden: Schule ist und bleibt eine Stätte der Lebensnot. Dabei geht es hier nicht um ein bereits von Nietzsche verworfenes Bildungsideal. Im gemeinsamen Musizieren erleben Kinder und Jugendliche, dass ihre Welt nicht nur aus Nullen und Einsen besteht, sie erfahren vielmehr, was für sie lebensnotwendig ist: So fanden im Rahmen der Begegnungskonzerte die musikalische Antworten auf die akuten und diskursiv zu diskutierenden gesellschaftspolitischen Fragen zusammen: In der Weimarer Herderkirche ließen sich Gemeinschaft und Zusammenhalt erspüren, hier durften wir die eigene Freiheit im gemeinsamen Tun erleben, hier entwickeln sich Strategien im Umgang mit Ungewissheiten, mit dem uns Fremd-Vertrauten. Alle, die dem hörend beiwohnen durften, blickten dabei auf das Altarbild von Lucas Cranach. Im Hören der Musik wurde ihnen buchstäblich vor Augen geführt, dass wir Menschen uns all diese Fragen schon sehr lange gestellt haben: Der Weg zu den für uns wirklich existenziellen Dingen hat uns an allen Orten der Lebensnot schon immer durch die Kunst geführt.

An den weltlichen Stätten der Lebensnot ist mittlerweile ein Bildungsnotstand ausgebrochen. Mit dazu beigetragen hat auch, dass es bislang nicht gelingen konnte, die erstarrten Denk- und Verhaltensmuster in einer hier gebotenen Weise aufzubrechen: „Was macht eine lebenswerte Welt aus?“ „Wie wollen wir uns ein lebbares Morgen gestalten?“ Im Rahmen des Fes­tivals haben die Kinder und Jugendlichen eine singend und musizierend dargebotene Antwort auf diese Fragen gefunden. Erfahrbar wurde, was möglich ist, wenn die Welt auch einmal für vier Tage stillstehen darf: Das bedeutet Abkehr von einer Welt, die jeden Menschen zu einem ständigen Sender und Empfänger macht, zu Maschinen, die immer live dabei sein müssen, den privaten und öffentlichen Raum mit Hashtags besetzen, Meinungen anderer mit eigenen Deutungshoheiten besetzen.

Es bleibt zu wünschen, dass die Teilnehmenden die gemachten Erfahrungen in ihr Leben tragen. Mit ihrer intensiven Hinwendung zu ihrer Leidenschaft haben sie bereits Bekanntschaft damit gemacht, dass die Zukunft der Musik nicht von allein entsteht: Sie werden Freiräume für ihr eigenes Tun einfordern, sich nicht mehr mit einem überkommenen Bildungssystem aus „Aktion“ und „Reaktion“ zufriedengeben. Während andere noch danach suchen, die Welt zu verändern, haben sie ihren eigenen Bedürfnissen schon eine Realität gegeben. Sie haben ihr Zeichen dafür gesetzt, mutige Entscheidungen einzufordern: Wir brauchen mehr Schulleitungen mit Courage und der Unverzagtheit ihrer Musiklehrkräfte, um die in Stätten der Lebensnot immer noch vorfindlichen Freiräume für alle Formen des kreativen Ausdrucks zu nutzen, damit allen Kindern und Jugendlichen hier zumindest die Möglichkeit eröffnet werden kann, ihr Leben aktiv mit Musik zu gestalten.

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