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Alle Artikel kategorisiert unter »Jürgen Oberschmidt«
Resonanzphänomen in optimistischer Variante
14.04.22 (Jürgen Oberschmidt) -
Als ein kleines Mädchen namens Amelia inmitten des Krieges in einem Schutzbunker sang, ging das Handyvideo um die Welt. „Ich spüre diese Kraft, sie ist ein Teil von mir. Sie fließt in meiner Seele und in all die Schönheit hier“, heißt es in dem Lied, das sie singt. Der Text, der für einen kleinen Lichtblick inmitten grauenvoller Bilder sorgte, könnte treffender kaum sein: „Die Kraft, sie ist grenzenlos“, singt eine zarte und doch zugleich resolute Stimme. Beschworen wird ein Vermögen der Musik, das bereits Dietrich Bonhoeffer getragen hat, als er Beethovens Klaviersonaten innerlich hörte, auch wenn es keinen Weg aus der für ihn ausweglosen Situation mehr geben sollte. Die Kraft der Musik ist eben nicht grenzenlos, sie macht auch nicht alle Menschen zu Brüdern und Schwestern, Bettler werden auch keine Fürstenbrüder, wo ihr sanfter Flügel weilt. Genauso wenig können der Erzengel Michael und der Apostel Andreas als Schutzpatrone einer Stadt ausrichten, wenn das Handeln einzig im Zeichen menschlichen Terrors steht.
Ohne Diskriminierung keine Inklusion
19.01.22 (Jürgen Oberschmidt) -
Die Debatte um Inklusion hat gerade im letzten Jahrzehnt Fahrt aufgenommen, und der moralische Druck lässt durch den Kontext einer Menschenrechtsdiskussion gar keine offene Diskussion zu den sich hier stellenden Fragen mehr zu. Inklusionslogiken sprechen vom Drinnen und Draußen, von geschlossenen Systemen, in die zu inkludieren sei und die sich so gastfreundlich geben, dass man ihren Einladungen gerne folgt. Vorausgesetzt wird dabei, dass alle Menschen die Aktivierungsversuche zur Hebung ihres Potenzials auch dankbar annehmen. Allein die Aussicht auf Teilhabe scheint hier schon die gute Tat zu sein. Aversionen gegen solche Konformitätserwartungen bleiben jedoch in allen Lebensbereichen bestehen, ein Gefühl der „Abgetrenntheit“ kann bereits entstehen, wenn man das Gefühl hat, nur „wenige Schritte abseits der Herde“ zu stehen (Erich Fromm).
Anspruch und Wahrhaftigkeit
21.12.21 (Jürgen Oberschmidt) -
Es war einmal im Jahre 1897, als der Komponist und Volksliedforscher Franz Magnus Böhme in seiner zweibändigen Sammlung „Deutsches Kinderlied und Kinderspiel“ das Ergebnis seiner Sammelleidenschaft nüchtern zusammenzufassen wusste: „Von der Musik der Volks-Kinderlieder darf man sich freilich keine hohe Vorstellung machen. Der wahre Kindergesang ist im Ton und Takt höchst einfach. Alle Kindermelodien haben in allen Gegenden Deutschlands und so in anderen Ländern eine stereotype Form. Der Kindergesang […] kennt eigentlich nur eine einzige Melodie. Diese geht aus Dur, hat zwei Zweivierteltakte und ist die beständige Wiederholung von zwei Takten.“ Wie weit entfernt ist diese Situationsbeschreibung vom Kinderlieder-Maxi-Mix unserer Tage, der uns täglich davon erzählt, welche erstaunlichen Klangfarben das Singen annehmen kann und uns immer wieder dazu ermuntert, den einfachen und wesentlichen Lebensäußerungen den nötigen Raum zu schenken. Seit dem Orpheus-Mythos hat das Singen die Philosophie und Literatur geprägt, warum sollte es sich nicht auch mit entsprechenden Mitteln am Niedergang des Abendlandes beteiligen wollen?
„Musical Turn“ statt Hochfahren des Systems
03.09.21 (Jürgen Oberschmidt) -
Gesprochen werden soll zunächst von einer Zeit, in der nichts mehr so sein sollte, wie es einmal war. In mehreren Wellen entvölkerte eine Pandemie ganze Landstriche, prägte unser kollektives Bewusstsein von Ohnmacht und Untergang, alle Welt sprach von der Seuche, lat. pestis, für Albert Camus wird die Pest gar zur Metapher unserer menschlichen Existenz. Die Seuche nahm Einfluss auf politische Verhältnisse, Quarantänemaßnahmen riefen Pest-Leugner und Verschwörungstheoretiker auf den Plan, Gerüchte über dunkle Machenschaften der Regierungen verbreiteten sich.
Relevant im Spiel der Systeme
19.07.21 (Jürgen Oberschmidt) -
„Wohl dem, der, wann der irdische Boden untreu unter seinen Füßen wankt, mit heitern Sinnen auf luftige Töne sich retten kann“, so ruft der „Tonkünstler“ Joseph Berlinger in Wackenroders „Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1797) aus. Seine Weltflucht ist eine Reaktion auf das poesielose Gefühl und die rastlose, ausschließlich vom „gemeinen Zweck und Nutzen“ bestimmte Prosa jener Welt, der man zu entkommen suchte.
Musikunterricht neu denken!?
29.06.21 (Carl Parma) -
Mit seiner programmatischen Schrift Musikerziehung und Musikpflege (1921) leitete Leo Kestenberg eine fundamentale Neubestimmung des Musikunterrichts ein, die unser Fach- und Professionsverständnis bis heute entscheidend geprägt hat und „die am authentischsten seine eigene musikpädagogische und musikpolitische Haltung widerspiegelt“ (Wilfried Gruhn).
Wie stark ist nicht dein Zauberton?
10.04.21 (Jürgen Oberschmidt) -
Es war einmal im Jahre 1817, als Ignaz von Seyfritz, der als Teenager die Uraufführung der Zauberflöte miterleben durfte, die sogenannte „Bruchtheorie“ zum Spätwerk eines 35-jährigen Tonschöpfers in die Welt setzte: Mozart und Schikaneder hätten mitten im Produktionsprozess ihre Pläne umgeworfen und urplötzlich die Handlung in das freimaurerische Ägypten verlegt. Aus der treusorgenden Mutter wurde dann eine Rachehexe und der finstere Sarastro wandelte sich zum Gutmenschen. Was hat diese Bruchtheorie mit einem Buch „Praxisschock Kompositionspädagogik“ zu tun, das im nüchternen Untertitel „Sachdienliche Hinweise für Schule und Musikschule verspricht“?
Mit Musik lernen, unsere Welt (wieder) zu verstehen
30.03.21 (Jürgen Oberschmidt) -
„Leere Herzen“ heißt der Roman von Juli Zeh, in dem sie bereits 2017 eine Social-Distance-Gesellschaft beschreibt, eine pragmatisch und nüchtern handelnde Gesellschaft einer nahenden Zukunft, die nicht erst in unseren ansteckenden Zeiten zur Gegenwart geworden ist. Wir verdursten an innerer Leere, vor allem jene, die feststellen, dass sich die Würde des Menschen nicht nur über Frisörbesuche definieren oder wiederherstellen lässt. Leer sind die Herzen, seit die Gesundheitsgefahren des Singens hinaufbeschworen wurden, leer sind die Herzen, weil es auf all den kleinen und großen Bühnen des Lebens still geworden ist.
Perspektivwechsel einleiten
26.02.21 (Jürgen Oberschmidt) -
Der „Schulmusiker ist für mich kein Musiker, das ist ein Lehrer mit Fach Musik. Er muß versuchen, eine Musik zu vereinfachen, so daß es jemand, der von nichts Ahnung hat, kapiert. Dabei geht an der Musik so viel kaputt. Wenn wir in der Schule eine Mahler-Symphonie durchgenommen haben, die ich kurz vorher im Orchester gespielt habe, hat mir das fast wehgetan. Musiklehrer [sein] ist eben eine frustrierende Sache, für den Lehrer selbst und für die Schüler“ (Bastian 1987, S. 737).
