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Ein kleines Zeichen der Solidarität

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Schweigeminute für die Kolleg*innen in der Ukraine am 24. Februar 2023
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Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen seit dem kriegerischen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Als Komponistinnen und Komponisten sind wir mit der ganzen Welt kulturell und freundschaftlich vernetzt, dazu gehören auch viele Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine. Es ist wichtig, trotz der medialen Präsenz des Krieges, auch immer wieder auf die menschlichen Aspekte der Invasion hinzuweisen.

Der Musik kommt dabei eine besondere Rolle zu, da ukrainische Musiker:innen weiterhin unter schwierigsten Umständen Konzerte veranstalten und damit ihrem Volk überlebenswichtige Hoffnung und Unterstützung geben. Da wir immer wieder erfahren, wie wichtig es ist, unseren Kolleg:innen Solidarität auch in Form von Gedanken zu zeigen, möchte der Deutsche Komponist:innenverband ein Zeichen setzen und für den 24. Februar 2023 einen „Aktionstag Ukraine“ ausrufen, an dem mit einer Gedenkminute vor Kulturveranstaltungen unsere Solidarität mit diesen Kolleg:innen zum Ausdruck gebracht werden soll.

Die Idee hierzu kam aus unseren Landesverbänden Hessen und Nord­rhein-Westfalen; Auslöser war ein ComposerTreff am 8. November 2022, bei dem die ukrainische Komponistin Nataliya Pavlyuk und der Dirigent Roman Kreslenko zu Gast waren. Der ComposerTreff ist ein Veranstaltungsformat, das vor einigen Jahren der Komponist und Vorsitzende des Landesverbandes NRW Robert HP Platz ins Leben gerufen hat und das in unregelmäßigen Abständen in Köln stattfindet – seit Corona auch in hybrider Form, so dass inzwischen auch Menschen aus anderen Regionen online daran teilnehmen können. Hier werden Komponist:innen und ihre Arbeiten vorgestellt – Gespräche mit den anwesenden Fachkolleg:innen sind ausdrücklich erwünscht.

Der ComposerTreff mit Nataliya Pavlyuk und Roman Kreslenko war dem Dirigenten Yuriy Kerpatenko gewidmet, der in Cherson von russischen Okkupanten ermordet wurde, da er sich geweigert hatte, an einem von den Russen angeordneten Konzert zum „Tag der Musik“ am 1. Oktober teilzunehmen.

Die 1992 in Ternopil geborene Nataliya Pavlyuk hatte 17-jährig ein Stipendium für ein Studium an der American University in Bulgarien erhalten, ehe sie 2017 nach Norwegen ging, wo sie ihr Studium mit den Hauptfächern Komposition und Klavier an der Universität Agder in Kristiansand fortsetzte. Dort begann sie, eines ihrer ers­ten Orchesterwerke zu komponieren: Dies Jovis, inspiriert durch das Gemälde Blått raseri (Blue Rage) des norwegischen Malers Jakob Weidemann. Im Januar 2022 vollendete sie das Werk und arrangierte es anschließend für Streichorchester, um damit am internationalen Kompositionswettbewerb Musica per Archi des KLK Neue Musik teilzunehmen. Das Stück wurde für das Abschlusskonzert angenommen, das am 22. März 2022 in Lwiw hätte stattfinden sollen, allerdings wurde der Wettbewerb kriegsbedingt abgesagt. Als Geste der Solidarität und Unterstützung für die Ukraine wurde Dies Jovis kurzerhand vom Stavanger Symfoniorkester ins Programm genommen, doch dann wurde bekannt, dass der Wettbewerb trotz des Krieges im April stattfinden solle. Kurzentschlossen fuhr Nataliya Pavlyuk nach Lwiw.
Trotz zahlreicher Raketeneinschläge, denen viele Zivilisten zum Opfer fielen, probte der Dirigent Roman Kreslenko mit dem KLK String Orchestra Lwiw für das Abschlusskonzert des Wettbewerbs, bei dem Nataliya Pavlyuk übrigens allein im Publikum saß. Ihr Stück Dies Jovis wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Gewidmet hat sie es den ukrainischen Kindern, ihrer Mutter Anna, den Musikern des KLK String Orchestra in Lwiw, ihren Musiklehrern und Freunden und der gesamten ukrainischen Nation.

Wir können Stellenwert von Kunst und Musik gar nicht hoch genug schätzen, denn sie prägen die kulturelle Identität! Ein Dirigent wird erschossen, weil er sich nicht instrumentalisieren lässt. Eine couragierte Komponistin, die sich nebenbei im Vorstand einer NGO für Geflüchtete engagiert und die Plattform „Musicians & Artists in Ukraine. Helping Hand in Times of War“ gegründet hat, reist in ein Kriegsgebiet, um die Musiker:innen, die dort unter Lebensgefahr eines ihrer Werke aufführen, zu unterstützen. Das Abschlusskonzert eines Kompositionswettbewerbes findet statt, obwohl der Ort unter Raketenbeschuss steht.
Wir wissen nicht, was die kommende Zeit bringen wird, aber wir hoffen, dass die Kultur ihre Stimme nicht verliert und sich weiterhin stark artikuliert, allem Widerstand zum Trotz. Wir sollten all die kulturellen Kräfte unterstützen, die sich gegen den Krieg und die Aggression stellen.

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